Kultur: Zauberhaft-frische Entdeckungsreise
Das HOT inszeniert den traditionellen Stoff des „Zauberers von Oz“ mit modernen Elementen
Die größten Stärken schlummern ganz tief in unserem Inneren. Manchmal erkennen wir sie sofort, manchmal bleiben sie unentdeckt und manchmal brauchen sie einfach nur ein wenig Zeit, um zu reifen. Von so einem Reifungsprozess erzählt „Der Zauberer von Oz“, das diesjährige Weihnachtsmärchen am Hans Otto Theater, das am gestrigen Donnerstag Premiere feierte und von Regisseurin Kerstin Kusch als zauberhaft-frische Entdeckungsreise inszeniert ist.
Darin wird die kleine Dorothee von einem Wirbelsturm in das merkwürdige Land Oz geweht. Die gute Hexe des Nordens schickt sie daraufhin mit roten Zauberschuhen in die grüne Smaragdstadt zum Zauberer von Oz, der ihr mit seinen magischen Fähigkeiten helfen soll, wieder nach Hause zu finden. Auf ihrem Weg begegnet sie einer Vogelscheuche, die sich Verstand wünscht, einem Blechmann, dem ein Herz fehlt und einem Löwen, der gerne mutig wäre. Gemeinsam suchen sie den Zaubrer auf, doch der verlangt im Gegenzug für seine Hilfe die Vernichtung der bösen Hexe des Ostens.
Das Abenteuer, das dann beginnt, ist genauso bekannt wie der Rest der Geschichte. Besonders die Hollywoodverfilmung mit Judy Garland aus dem Jahr 1939 hat prägende Bilder aus dem Kinderroman von L. Frank Baum herausgearbeitet. Reminiszenzen finden sich auch bei Kuschs Inszenierung. Besonders schön: Gleich zu Beginn erklingt kurz Judy Garlands „Somewhere over the rainbow“, das wohl bekannteste Lied des Films. Auch die Kostüme erinnern teilweise an die Verfilmung, etwa Dorothees Kleid oder auch das glitzernde Outfit der guten Hexe des Nordens. Und es wird auch wird gesungen: Allerdings ein ganz neuer Song, kreiert von Marcel Schmidt, der sich sofort als Ohrwurm einbrennt.
Die Inszenierung ist erfrischend modern: Carolin Schärs Dorothee ist kein weinerliches naives Puppenmädchen mit magischen Glitzerpumps, sondern ein starker eigenständiger Charakter mit praktischen roten Schnürstiefeln, der unerschrocken voran schreitet, um sein Ziel zu erreichen.
Unterstützt wird sie dabei von ebenso frischen Kollegen: Johannes Heinrichs brilliert als Vogelscheuche und zeigt, wie vielseitig Körpersprache und Mimik sein kann, Peter Wagner ist ein herrlich auf dem Boden gebliebener Blechmann und Josip Culjak überzeugt als ängstlicher Möchtegern-Macho-Löwe. Alle Figuren dürfen unter Kerstin Kuschs Anleitung mehr sein als nur stereotype Märchenfiguren. Sie sind eigenständige Personen mit Schwächen und Stärken, die über die Bühne kullern, trampeln und springen.
In der flott inszenierten Vermittlung des Gemeinschaftsgedankens liegt der eigentliche Zauber des Stückes – und im Bühnenbild von Matthias Müller, der auch die Kostüme entworfen hat. Opulent lässt er etwa den grünen Palast des Zauberers mit vielen übergroßen Smaragden entstehen. Ein Bild, das von den jungen Premierenzuschauern tosenden Zwischenapplaus bekam. Das bekannte Motiv des gelben Ziegelsteinweges lässt er hingegen angenehm unauffällig als Drehelement über die Bühne laufen. Das lässt mehr Raum für die Kraft der Charaktere, die es am Ende sogar ganz ohne die berühmten Zauberschuhe schaffen, ihren Weg zu finden. Das ist einerseits schade, verpufft doch so deren am Anfang des Stückes groß angekündigte magische Macht und damit ein traditionelles Symbolbild der Geschichte. Auf der anderen Seite ist es gerade dieser Bruch, der deutlich macht, wie Ziele erreicht werden: nämlich mit innerer Kraft – und das ist sowieso die beste Magie. Sarah Kugler
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