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Die Diskussion zum Tanzen bringen. Zum Abschluss des Auftaktabends ließen die Schauspieler Eddie Irle (2.v.l.) und Florian Schmidtke (3.v.l.) die in der Diskussion gefallenen Begriffe noch einmal musikalisch Revue passieren – in einem Live-Slam.
© Stefan Gloede/Hans Otto Theater

„Stadt der Zukunft“ am Hans Otto Theater: Wo ist die DNA der Stadt?

Mit einer neuen Reihe macht sich das Hans Otto Theater auf die Suche nach der „Stadt der Zukunft“.

Die Stadt der Zukunft, wie sieht sie wohl aus? Vielleicht so: Niedrige Häuser, flache, helle Dächer, darüber ein tiefblauer Himmel. Und, Zukunft hat schließlich immer was mit Träumen zu tun, natürlich würde dieser Himmel wolkenfrei sein. So jedenfalls sieht Matthias Müllers Vision der „Stadt der Zukunft“ aus. Für die gleichnamige neue Reihe des Hans Otto Theaters hat der Ausstattungsleiter ein großformatiges Bild entworfen, das sich über die gesamte Seitenwand der Reithalle A erstreckt. Das Erstaunliche, auch unterschwellig Bedrohliche an seiner städtischen Landschaft ist die Ruhe, die von ihr ausgeht. Bedrohlich, denn: Hier sind Dächer und Autos zu sehen, viel Himmel – aber keine Menschen.

Dabei soll es in der neuen Reihe um eben diese Frage gehen: Welchen Platz nimmt der Mensch zukünftig im urbanen Zusammenleben ein? Wie gestaltet man dieses Zusammenleben so, dass es wirklich eines ist? Wie baut man so, dass es für alle bezahlbar ist? Was wird aus einem Begriff wie „Heimat“, wenn sich die Menschen, die in ihr leben, verändern? Wie lebt man so, dass der Planet noch möglichst lange lebt? Nicht zuletzt: Welche Rolle spielt das Theater? Wie wird es, was es sein will: die DNA einer Stadt?

Solchen Fragen will sich die „Stadt der Zukunft“ in dieser Spielzeit zweimal monatlich stellen – in einer „Verbindung aus Kunst und Diskurs“, wie Intendant Tobias Wellemeyer bei der Eröffnung der Reihe am Mittwochabend sagte. Dramaturg Helge Hübner, zuvor für die Reihe Nachtboulevard verantwortlich und jetzt auch Leiter der „Stadt der Zukunft“, beschreibt das angestrebte Programm als „Arena-Format“: „Das Publikum kann, aber muss nicht mitmischen.“ Nur kommen sollte es. Denn was das Theater mit der neuen Reihe vor allem sucht: den Dialog mit dem Potsdamer Publikum. Jedes halbwegs verantwortungsbewusste Stadttheater weiß ja: Nur wenn es an dem Ort, an dem es steht, verwurzelt ist, kann es seinem Namen gerecht werden. In der letzten Spielzeit gab es vonseiten des Hans Otto Theaters bereits Vorstöße in diese Richtung, wie zum Beispiel die Diskussionsreihe „Welches Land wollen wir sein?“. Diese bat prominente Diskutanten aufs Podium, um die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich im letzten Jahr mit „Flüchtlingskrise“, Terrorismusängsten, Pegida und AfD-Erfolgen verstärkt abzeichneten, zu reflektieren. Potsdamer sollten mitdiskutieren, taten das aber nicht immer wie erhofft: Die Reihe lahmte irgendwie. Bei der „Stadt der Zukunft“ soll sie nun fortgeführt und um andere, lockerere Formate ergänzt werden.

Kunst und Diskurs also. Der Auftakt der Reihe am Mittwochabend zeigte, wie eine solche Verbindung aussehen kann. Nach der Begrüßung des Intendanten zunächst eine vom Dramaturgen Christopher Hanf verfasste Collage aus Texten von Autoren wie Paul Auster, Wolfram Lotz, Alfred Döblin, Falk Richter. Auch das biblische Babylon kommt vor, die Urmutter großstädtischer Überforderung. „Die Stadt der Zukunft ist intelligent und vernetzt!“, rufen die fünf Sprecher (Eddie Irle, Florian Schmidtke, Nina Gummich, Frédéric Brossier und Moritz von Treuenfels) immer wieder, ein ironisches Mantra, das das Hippe und Zeitgeistige aufs Korn nimmt, ohne das die öffentliche Debatte um die Zukunft kaum auskommt.

Er fühle sich leicht verhohnepiepelt, sagte dann auch, nicht weniger ironisch, Benjamin Foerster-Baldenius in der anschließenden Diskussionsrunde, die sich hauptsächlich mit der Frage beschäftigte, welchen Themen die neue Reihe besonders nachgehen müsse. Foerster-Baldenius, „darstellender Architekt“, verbindet in seiner Arbeit Architektur und Theater und baut auch Kitas für Flüchtlinge. Auf die Frage nach der eigenen Utopie sagte er den für Potsdam wichtigen Satz: „Meine Stadt der Zukunft ist nicht berechenbar – und sie ist auch das Land.“ Soll heißen: eine Stadt, die ihre natürlichen Ressourcen nutzt, ihr ländliches Umfeld mitdenkt und sich nicht auf das Rechnerische, Vermarktbare reduzieren lässt. Von ihm kam auch der so spitzbübische wie richtige Einwand, dass 8 Euro Eintrittsgeld dem offenen Dialog, den das Theater mit der Reihe sucht, nicht unbedingt zuträglich sind.

Neben Foerster-Baldenius saßen auf dem von Helge Hübner und Christopher Hanf moderierten Podium Marion Detjen vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) und, ein Highlight, Adrienne Goehler, die frühere Berliner Kultursenatorin. Letztere brachte die Sprache immer wieder auf die wichtige Frage, wie lange sich die Politik noch um ein Grundeinkommen für alle herumdrücken könne – der, so Goehler, einzig zukunftweisenden Antwort auf unsere „postindustrielle, postfaktische Realität“ auf dem Arbeitsmarkt. Zudem sei der Mensch ein „Resonanzwesen“, das andere braucht, um zu existieren – weswegen eine Stadt der Zukunft doch bitte auch den Austausch, materiellen wie ideellen, wiederentdecken möge.

Resonanzwesen, Energieeffizienz und DNA der Stadt: Die sprachlich sperrigen Knackpunkte der Diskussion brachten die Schauspieler Eddie Irle und Florian Schmidtke im abschließenden Live-Slam zum Tanzen. „Meine Heimat ist das, wo ich style“, slammte Florian Schmidtke zum Schluss – ein schönes, widerspenstiges Liebeslied an Potsdam. Und ein vielversprechender Auftakt für eine ehrgeizige Reihe. Ob die Folgeabende das Versprechen des ersten halten können, die Zukunft wirds zeigen. Was dieser Abend schon zeigt: Wir können sie formen, die Zukunft.

Nächste Veranstaltungen: „Der literarische Salon“, 23.10., 18 Uhr. „Refugees’ Club“, 24.10., 19 Uhr. Ort: Reithalle A

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