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Nur scheinbar beste Freunde. Christian Ulmen und Fahri Yardim als „Jerks“.
© maxdome/Pro Sieben/promo

Interview mit Christian Ulmen: „Wir erzählen eine einsame Welt“

Christian Ulmen spielt in der Serie „Jerks“ eine hochnotpeinliche Version seiner selbst. Ein Gespräch über Scham, die Grenzen des Witzes und das Welterbestädtchen Potsdam.

Christian Ulmen, in Ihrer Serie „Jerks“ spielen Sie einen Mann, der Christian Ulmen heißt und in Potsdam lebt. Wie nah ist der Film-Ulmen an dem, der hier vor mir sitzt?

Es geht kaum näher. Ich versuche zwar immer, Selbstreflexion zu vermeiden. Aber „Jerks“ soll das wahre Leben erzählen. Darum vermute ich, dass da sehr viel von mir drinsteckt. Manchmal ist es auch nur eine Version meiner selbst, wie ich gern sein würde.

Ein Vorbild? Ich hätte das Gegenteil vermutet!

(lacht) Naja, es gibt Momente, in denen ich tatsächlich gern so wäre wie in „Jerks“. Es gibt eine Szene, in der ich mit Fahri Yardim im Supermarkt einkaufe, wir begegnen einem Nachbarn, der mich unbedingt zu seiner Gartenparty einladen will, worauf ich aber überhaupt keine Lust habe – und ich sage zu ihm: Ich habe schon genug Freunde. Das würde ich mich in Wirklichkeit nicht trauen, leider.

Diese Ehrlichkeit?

Ja. Wie oft stand ich schon auf Cocktailpartys, nur weil ich zu höflich war, „Nein“ zu sagen. Furchtbar. Und dann hänge ich da und rede Unsinn, um zu überspielen, dass ich eigentlich gar nicht da sein will. Aber auch solche Momente landen in der Serie. Situationen, die ich als qualvoll und peinlich empfinde. Die werden in „Jerks“ geerdet. Das ist das Schöne an meiner Arbeit: Zu sehen, dass all die erlebte Scham schließlich etwas Produktives hat. Sie lässt Serien-Geschichten entstehen. „Jerks“ gibt all meinen Niederlagen nachträglich einen Sinn.

Sie haben „Jerks“ in einem Interview mal als eine Art Therapie bezeichnet.

Ja. Eine Gruppentherapie. Schmerzhafte, schamvolle Lebenssituationen zu teilen. Das hat etwas Heilsames. Für Fahri Yardim, für mich – und auch für den Zuschauer. Es geht mir selbst so, dass ich mich als Zuschauer therapiert fühle, wenn ich zum Beispiel Werke von Ricky Gervais oder Louis CK sehe. Das Gefühl, nicht allein mit seiner Scham zu sein, dass andere dasselbe erleben wie du – das hat etwas Reinigendes. Das Schlimmste am Gefühl des sich Schämens ist ja, dass es ein einsames ist. Alle gucken dich an, du bist der Depp. Da tut es gut zu wissen, dass der Klub der Deppen unzählige Mitglieder hat.

„Jerks“ führt die Darsteller auf zielstrebige, natürliche Weise dahin, wo es wehtut. Wie schaffen Sie das? Es gibt bei „Jerks“ ja vor dem Dreh keine Dialogvorgaben.

Ich glaube, das Natürliche, das „Jerks“ ausmacht, entsteht tatsächlich durch die Improvisation. Das Spiel ohne Text, ohne Vorgabe. Das Script gibt nur das Ziel der Reise vor, keine direkte Rede. Jeder Schauspieler muss für die Handlung, die er vollführt, selbst die Worte finden. Mit Schauspielern, denen diese Spielweise liegt, erzeugt das Wahrhaftigkeit.

Vorlage für „Jerks“ ist die dänische Serie „Klovn“. Wie viel davon ist in „Jerks“ übrig?

Das ist schwer zu sagen. In Prozent würde ich sagen: vielleicht 50. Nehmen wir die Folge, in der Fahri mit einer Schriftstellerin schläft. In „Klovn“ flirtet die FahriFigur mit einem Mädchen, das ihm sagt: Ich brauche noch einen Clown für den Geburtstag meines Bruders. Weil die dänische Fahri-Figur das Mädchen erobern will, bietet er an, den Clown auf der Feier ihres Bruders zu spielen und erscheint dort im Kostüm – aber das Mädchen ist gar nicht bei der Feier. Die Fahri-Figur schläft dann aus Enttäuschung mit der Mutter. Bei uns hat Fahri hingegen einen Komplex, er will als Schriftsteller wahrgenommen werden. Das Einzige, was die dänische Folge und unsere eint, ist, dass Christian und eine Gruppe Kinder Fahri in flagranti erwischen – aber aus jeweils komplett unterschiedlichen Beweggründen.

In der Folge kommt auch etwas zur Sprache, was mir wichtig für die Serie insgesamt zu sein scheint: Der Clash zwischen Hoch- und Populärkultur.

In „Klovn“ gibt es das nicht. „Klovn“ bedient das Infantile noch stärker als wir. „Jerks“ ist sehr viel melancholischer. Und unsere Figuren wissen, dass sie scheitern. Sie leiden darunter. Die dänischen Figuren stecken ihre Fauxpas besser weg. Wir tragen die Wucht der Peinlichkeit noch ziemlich deutlich vor uns her. Christian und Fahri versetzt jede neue Peinlichkeit ein kleines Trauma. In der ersten Staffel gab es eine Szene mit Nora Tschirner, die mich auf dem Dreh zu einer Liebeskomödie besucht und zu mir sagt: „Was spielst du in solchen beschissenen Filmen mit?!“ Midlife-Crisis ist so ein nervig überstrapaziertes Wort, und das trifft es auch nicht – aber es schwingt bei uns immer eine selbstreflexive Komponente mit. Die Figuren fragen sich oft: Was machen wir hier eigentlich?

Und wenn der Film-Christian-Ulmen sich das fragt, schwingt dann auch Ihr Selbstzweifel mit?

Nein. Eigentlich nicht. Eher ein Selbst-Irrlichtern, gepaart mit etwas Selbstmitleid. Es gab so einen ähnlichen Dialog mit Nora Tschirner tatsächlich, allerdings bezog sich der auf Werbung. Nora imponiert mir, was Werbung angeht, mit einer eisernen Konsequenz. Man könnte ihr viele Millionen hinblättern, sie würde nie einen Werbedeal unterschreiben. Ich werde schon bei niedrigeren Beträgen schwach. Und ich mache sehr gerne Werbung. Das ist durchaus ein Streitpunkt bei uns.

Sie drehen Liebeskomödien, produzieren andererseits selbst kleinere, wenig massenkompatible Satire-Formate. Ist „Jerks“ der Versuch, diese verschiedenen Seiten Ihres Berufs zu versöhnen?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber es ist zumindest eine Möglichkeit, mit seinen eigenen Widersprüchen umzugehen.

In einer Folge werden Sie zu einem noblen Abendessen eingeladen, wegen eines peinlichen Missverständnisses tauchen Sie in Jogginghose auf. Als rauskommt, dass Sie fürs Fernsehen arbeiten, rücken die Gäste innerlich zehn Meter ab von Ihnen. Haben Sie solchen Snobismus tatsächlich erlebt?

Absolut. Meine Mutter hat mich bis vor zehn Jahren noch gefragt, wann ich denn jetzt studiere. Als ich mit meiner Firma die ersten Formate vorstellte, fragte mich ein Wirtschaftsjournalist, wie ich das ohne BWL-Studium machen kann. Es gibt eine ungemeine Zertifikatslust in Deutschland. Nach „Herr Lehmann“ wurde ich gefragt, ob ich diesen Filmerfolg nun als Motivation sähe, eine Schauspielschule zu besuchen, um den Beruf dann auch mal richtig zu erlernen. Wenn ich zum Arzt gehe, hoffe ich, dass er sein Staatsexamen hat. Wenn der in seinem Job scheitert, stirbt einer. Wenn ich in meinem Job scheitere, dann habe ich bloß einen Scheißfilm gemacht, vor allem aber dazugelernt. Es gibt für Künstler viele verschiedene Wege, ihr Ding zu lernen. Das klassische Studium ist nur einer davon.

Die ganze Serie ein einziger Ritt durch Peinlichkeiten und Tabus. Rassismus, Sexismus, Fäkalien. Gibt es eine Grenze?

Nein. Zumindest keine Inhaltliche. Es kommt immer darauf an, was das Ziel eines Witzes ist. Wenn ein Lacher darüber generiert wird, dass ein Epileptiker so ulkig zuckt, dann empfinde ich das als Verächtlichmachung und falsch. Aber wenn das Ziel ist, darüber zu lachen, wie idiotisch oder ignorant ein Nicht-Epileptiker mit dem Thema Epilepsie umgeht, dann darf man auch diese Behinderung zur Komik führen.

Nur ist das Ziel eines Witzes ja nicht so leicht auszumachen. Was vielleicht auch der irgendwie prickelnde Spaß bei „Jerks“ ist: dass man oft nicht weiß, worüber man eigentlich lacht.

Das stimmt. Ich kann und will auch keine Anleitung geben, wann und worüber der „Jerks“-Zuschauer lachen soll. Ich kann nur für mich abklären und entscheiden: Erzählen wir, dass es lustig ist, wenn jemand im Wachkoma liegt? Oder erzählen wir, dass es sehr seltsam ist, mit jemandem Sex zu haben, der im Wachkoma liegt? Der Komiker Chris Tall hat mal den klugen, uralten Leitsatz von Herbert Feuerstein „Jeder hat ein Recht darauf, verarscht zu werden“ missbraucht, um rassistische Witze zu legitimieren, einer ging, glaube ich, so: „Schwarze im Publikum sehe ich erst, wenn sie beim Lachen die Zähne zeigen.“ Oder so ähnlich. Der Witz zielt ausschließlich auf die Hautfarbe, er streift nicht mal irgendeine Ebene, die ich lustig finden würde, der Witz ist schlicht rassistisch.

Und wie verstehen Sie Feuersteins Satz?

Was Feuerstein eigentlich meinte: Man darf und sollte sogar jeden Menschen zum Gegenstand humoristischer Betrachtung machen. Man darf Schwarze, Behinderte und sogar Potsdamer in einen Witz einbauen, sie als Arschlöcher oder Trottel darstellen, weil es nunmal auch behinderte Arschlöcher und schwarze Trottel auf der Welt gibt. Erst wenn ich als Komiker einen Bogen um Minoritäten mache, betreibe ich Diskriminierung. Jeder hat das Recht darauf, Teil eines Witzes zu sein. Das heißt aber nicht, dass es keine rassistischen oder diskriminierenden Witze gibt. Die Frage ist immer: Worüber lachst du? „Jerks“ ist oft gar nicht zum Lachen. Irgendjemand hat der Serie mal das Label Comedy aufgeklebt, und ich finde das okay, aber es gibt durchaus Szenen, die gar nicht dazu da sind, dass man über sie lacht. Lachen passiert mitunter aus Versehen – wie ein Schluckauf.

Lachen als Akt der Ratlosigkeit?

Absolut. Als Übersprungshandlung. Es gibt dieses Lachen, das wie eine Ad-hoc-Medizin über dich kommt, weil etwas unerträglich ist. Lachen, damit’s nicht so weh tut. Das ist das Lachen in „Jerks“.

Warum müssen sich eigentlich Fahri und Christian, die zwei Buddys, bei jeder Gelegenheit in den Rücken fallen?

Es ist doch Fahri! Fahri fällt mir in den Rücken! Das müssen Sie ihn fragen! Aber es ist tatsächlich so, dass man peinliche Situationen am besten über den Verrat auflösen kann.

Im Zusehen ist dieser Verrat dann weniger peinlich als extrem bitter.

Sehr. Eigentlich erzählen wir eine einsame Welt. In der Freundschaft nicht existiert. Sie wird zwar zelebriert, ist aber nicht wirklich da. Wenn’s drauf ankommt, ist jeder für sich. Alle Figuren stecken in ihrer eigenen Wahrheit fest.

„Jerks“ ist in Potsdam angesiedelt, wo Sie seit zwölf Jahren leben. Könnte die Serie auch woanders spielen?

Ja, sie ist eigentlich prädestiniert für eine größere Stadt wie Berlin. Aber am Anfang ist die Idee hier zu drehen darüber entstanden, dass ich zu Hause arbeiten wollte. Ich hatte keine Lust mehr aufs Reisen, ich wollte meine Tochter morgens in die Kita bringen. Und natürlich sind die Lokationen hier toll, diese absurd große Villa am Griebnitzsee, in der Fahri lebt. Ich finde auch, dass Peinlichkeit in einer Großstadt viel mehr untergehen würde. Das Thema Kleinstadt potenziert nochmal die Scham – in einer Stadt zumal, die so viel Wert auf Ästhetik legt wie Potsdam.

Herr Ulmen, wenn wir Kleinstadt schreiben, steigen Ihnen die Potsdamer aufs Dach. Eine Frage der Perspektive, oder?

Ja, natürlich. Im Vergleich zu Berlin ist Potsdam ein beschauliches Weltkulturerbestädtchen. Und es ist ein toller Kontrast, wenn unsere derben Themen in dieser schönen Stadt ausgetragen werden.

Von außen wird Potsdam gerne als Prominentenghetto beschrieben. Nehmen Sie die Stadt auch so wahr?

Null. Als mein Sohn geboren wurde, bin ich von Berlin nach Potsdam gezogen. Ich habe es als eine Befreiung empfunden. Was sicher auch daran liegt, dass ich in einer ähnlichen Gegend in Hamburg groß geworden bin. Potsdam ist für mich Entschleunigung. Ich habe früher in der Berliner Vorstadt gewohnt. Da gab es diese Badestelle, wo man im Bademantel hinlaufen konnte. Das ist Potsdam für mich im Grunde: Im Bademantel zum See laufen.

Das Gespräch führte Lena Schneider

„Jerks“ ist online auf maxdome zu sehen und startet morgen auf ProSieben

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Christian Ulmen, geboren in Neuwied (Rheinland-Pfalz), wuchs in Hamburg auf. Schon in seiner Schulzeit moderierte er für Radio und Fernsehen. 1996 wurde er von einem US-amerikanischen Talentscout entdeckt, der ihm einen Job bei MTV Europe verschaffte. 2003 engagierte Leander Haußmann ihn als Hauptdarsteller für den Kinofilm „Herr Lehmann“. Es war Ulmens erste große Rolle als Schauspieler, für die er unter anderem den Bayerischen Filmpreis erhielt. Seitdem war Ulmen in zahlreichen Kinofilmen zu sehen. 2008 gründete er das Unternehmen Ulmen Television GmbH, mit dem er diverse experimentelle Fernsehsendungen und Online- Formate produziert, darunter „Uwe Wöllner trifft “ und „Der 12. Mann“. Seit 2013 ermittelt er im Weimarer Tatort neben seiner ehemaligen MTV-Kollegin Nora Tschirner. 2017 erschien die erste Staffel von „Jerks“, in der Ulmen Regie führt und neben Fahri Yardim die Hauptrolle spielt.

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