Kultur: Wie eine innere Explosion
Christian Heinze stellt in der Urania Potsdam seine „Erinnerungen an Afrika“ aus
Vielleicht hätte er seine Mappe nie wieder geöffnet und sein Afrika wäre für immer im Verborgenen geblieben. Aber dann kam die Frage von der Urania-Chefin Karin Flegel, seiner ehemaligen Schülerin im Zeichenzirkel des RAW. Sie konnte sich daran erinnern, dass ihr Lehrer einst in Simbabwe war und von dort bildkräftige Erinnerungen mitbrachte. Genau 30 Jahre ist das her. Im tiefsten DDR-Grau machte sich Christian Heinze damals auf die Reise in das lichtgetränkte schwarze Afrika. Das Kulturministerium der DDR hatte den Potsdamer Maler für eine internationale Jury vorgeschlagen, die eine Ausstellung von einheimischen Künstlern in Harare betreuen sollte. Heinze zögerte keinen Moment: Hauptsache raus.
Simbabwe galt damals unter Präsident Mugabe noch als Vorzeigeland, als Land im Aufbruch. Großstädtisch und modern empfing ihn die Hauptstadt Harare – ganz anders als erwartet. Christian Heinze hatte sich sein Bild von Afrika aus Büchern gemalt. Nun war er mittendrin im Gewühle – und fühlte sich oft auch allein. Ihm fehlte die Sprache zur Verständigung in diesem ehemaligen englischen Kolonialstaat. Natürlich füllte er seine Aufgabe als Jurymitglied aus, gab den Studenten auch Zeichenunterricht, aber die größte Inspiration erhielt er in der Nationalgalerie: in Zwiesprache mit der Kunst. Die dort ausgestellten Fetischfiguren und erotischen Plastiken begeisterten ihn, auch wenn er die einheimische Mythologie nur erahnen und nicht erfassen konnte.
Auf seinen Werken, die er damals nach diesen Vorbildern malte und zeichnete und die jetzt in der Urania zu sehen sind, tauchen diese Figuren immer wieder wie stille Begleiter der Vergangenheit auf. Aber man sieht auch Menschen in kraftvoller Bewegung und in selbstbewussten Porträts, die Würde und stolze Präsenz ausstrahlen. „Ich wohnte in einem kleinen Hotel gegenüber dem Bürohaus und beobachtete immer nach Feierabend, wie die schick gekleideten Menschen ihre Arbeit verließen. Ich studierte ihre Körperhaltung, ihren Ausdruck und brachte sie zu Papier.“ Er setzte sich auch auf den Markt, um zu zeichnen – und hörte dabei die entfernten Schüsse im benachbarten Mosambik.
Wenn er über Land fuhr, fühlte sich der gebürtige Dresdner manchmal an die Höhenzüge Thüringens erinnert. „Die Engländer hatten die vulkanische Erde mit ihrer Technik aufgerissen und mit Pinien und Kiefern bepflanzt.“ Christian Heinze nahm alle diese Eindrücke mit nach Hause und begann erstmals an Collagen zu arbeiten. Seine Bilder wurden luftiger, gelöster. Afrika öffnete innere Schranken.
Zwei Jahre später, kurz vor dem Mauerfall, reiste er ein zweites Mal in dieses Land. Er nahm seine Bilder mit, die er in Potsdam gemalt hatte und nun gut verkaufen konnte. Offensichtlich fanden sich die Afrikaner in seinen Grafiken und Collagen wieder. Heinze hatte auch jede Menge Material im Gepäck, um eine alte Radierpresse zu aktivieren und Studenten in diese Grafikform einzuführen. Doch fernab der Heimat hörte er auch, wie scheinbar die halbe DDR über Ungarn auswanderte. Als er am 1. September nach sieben Wochen Simbabwe an den Heiligen See zurückkehrte, rückte Afrika in weite Ferne. Nach einer kleinen Ausstellung im Bernhard-Kellermann-Haus ging es nun um die eigene Existenz.
Christian Heinze schaffte den Schritt ins geeinte Deutschland indes ohne große Probleme. Als er 1990 ein Stipendium im Saarland erhielt, waren seine Afrika-Bilder die große Attraktion und fanden viele Käufer. Aus den laufenden Einnahmen baute er sich ein neues Atelier, nachdem er sein altes in der Villa Rumpf verlassen musste. Eine sichere Bank waren ihm wie zu DDR-Zeiten seine Kalender mit Originalgrafiken, die er seit 1972 ohne Unterbrechung herausgibt: über Potsdam, die Ostsee, das Rhinland. Die Afrikareise stellte sich auch hierbei als großer künstlerischer Gewinn heraus: Sie brachte ihm eine neue Farbigkeit und etwas mehr Abstand zum Gegenständlichen. Die Geschichten der Afrikaner, die sie sich unter einem Baum von Generation zu Generation weitererzählen, wiesen ihm den Weg in eine pulsierende Lebensfreude.
Heinze ist seitdem nicht wieder nach Afrika gereist. Aber die erlebte Farbigkeit war wie eine innere Explosion. Aus den schönen Afrikanerinnen wurden nun die schönen nackten Frauen vom Heiligen See – und aus den kleinen Voodoo-Figuren der Alte Fritz im Hintergrund.
Das Neue ließ ihn klarer auf das Alte zurückblicken: so auf die Fundamente des in der DDR tief vergrabenen Preußens. Er besorgte sich die Grundrisse vom Stadtschloss und von der Garnisonkirche und verarbeitete sie in Collagen. „Inzwischen ist bei mir etwas die Luft raus. Jetzt ist eine neue Generation dran, die den Wiederaufbau der Kirche begleitet.“ Der 75-jährige Künstler hat neue Themen gefunden. Vor allem die Art Brandenburg fordert ihn immer wieder heraus: Gerade weil er einmal von der Jury abgelehnt wurde. Der Stachel saß tief in dem an Erfolg gewöhnten Maler, der bei jeder DDR-Kunstausstellung in Dresden präsent war. Er war kein Oppositioneller, freute sich aber über kleine Seitenhiebe, den verhaltenen Protest. „Wenn die obere Kulturbehörde sagte: ,Malen Sie die Menschen doch ein bisschen freundlicher, ein bisschen farbiger‘, dann malte ich sie noch trauriger.“
Da waren aber auch die Erinnerungen an das harte Leben auf dem Bau und die eigene Selbstzensur. „Durch meine Kalender konnte ich ein normales Leben führen, ohne mich verbiegen zu müssen. Neben Lauschaer Glas und die Nussknacker aus dem Erzgebirge waren meine Kalender ein beliebtes Geschenk für die Verwandten im Westen. In Potsdam drehe ich mich mit meinen Kalendermotiven inzwischen schon im Kreis, aber sie haben mich immer gut ernährt und mir Freiräume für andere Arbeiten ermöglicht.“
Gerade sind es große Farbradierungen vom Havelland mit Rauch- und Wasserzeichen, an denen er arbeitet: einfach strukturiert mit mythologischen Anklängen und ein wenig auch immer in den Farben Afrikas.
Heinze, der Bauchmensch, freut sich, wenn seine Bilder auf das Lebensgefühl der Menschen treffen und sich über dem Canapé wiederfinden: seine Windflüchter und Ostseewellen, seine Preußen-Collagen und auch die träumenden Wasserbüffel und wilden Tänzerinnen aus Harare.
Zu sehen bis 30. Juni in der Urania, Gutenbergstraße 71/72
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