Neues Buch des Potsdamers André Kubiczek: Wie die Hippies aus dem Café Heider
André Kubiczek taucht in seinem Roman „Straße der Jugend“ ein in die 80er Jahre in Potsdam und Halle. Auch ein alter Bekannter ist wieder dabei.
Potsdam - In jedem noch so kleinen Ort in der DDR gab es sie, die „Straße der Jugend“. Schließlich lastete auf den Schultern der jungen Menschen die Verantwortung für das Fortbestehen des real existierenden Sozialismus, und daran sollte mindestens ein eigener Straßenname erinnern.
Dass André Kubiczek seinen neuen Roman nun ebenfalls so nennt, hat mit den Plänen der Republik für ihre heranwachsenden Bürger aber vordergründig erst mal herzlich wenig zu tun. Läuft der 16-jährige René mit einem Mädchen „die Straße der Jugend runter“, dann entfaltet sich einfach nur ein zartes und leicht melancholisches Bild: Jugend, das ist Verliebtsein, im Moment sein, kein Zeitgefühl haben – aber die Jugend ist auch endlich, so wie die Straße, auf der die beiden gehen. „Wir werden uns noch lange an diesen Spaziergang erinnern“, wird das Mädchen später sagen.
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„Straße der Jugend“ ist der Folgeroman von „Skizze eines Sommers“, mit dem der 1969 in Potsdam geborene Kubiczek 2016 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises vertreten war. Leicht und frisch wie eine Sommerbrise, schwärmten Feuilletonisten, und zu Recht wiesen sie auf die gelungene einfühlsame jugendliche Erzählweise hin, mit welcher der Autor den Teenager René seine Geschichte erzählen lässt. Authentizität und Witz zogen die Leser in den Bann besonderer Sommerferien, in denen sich alles um Mädchen, Freundschaft, Musik und Alkohol drehte.
Kubiczek behält autobiografische Parallelen bei
Wer nun auf eine Fortführung dieser Leichtigkeit hofft, wird nicht enttäuscht werden, denn René ist wieder da. „Wo war ich stehengeblieben?“, sagt er zu Beginn zu sich selbst, halb zum Leser. „Ach so: Es war Montag, der zweite September des Jahres 1985, und der erste Tag des neuen Schuljahres hatte begonnen“. Viel Zeit ist also nicht vergangen, und auf den folgenden Seiten zeigt sich: Nach wie vor trägt René schwarz, hört düstere bis krachige Musik von den Cocteau Twins bis zu den Einstürzenden Neubauten, liest Werke á la Baudelaire und passt damit so gar nicht in das Bild eines braven DDR-Jugendlichen.
Auch die bis dahin schon gegebenen autobiografischen Parallelen behält Kubiczek bei. Nicht nur, dass er René wie schon in „Skizze eines Sommers“ mit dem Mode- und Musikgeschmack seiner Jugend versieht und ihn in seine Geburtsstadt Potsdam verortet; jetzt soll er auch wie einst er selbst die „Arbeiter- und Bauernfakultät“ (ABF) in Halle an der Saale besuchen, um dort sein Abitur abzulegen.
Gerade frisch mit seiner neuen Freundin Victoria zusammengekommen, dem Mädchen mit den toupierten Haaren – so wie der Sänger Robert Smith von The Cure – geht René nur ungern. Sie, seine Freunde Michael und Mario sowie Rebecca, die er „Seelenfreundin“ nennt, wird er nur noch in den Ferien treffen.
Potsdam bleibt damit nicht länger Mittelpunkt der Erzählung, spaziert wird jetzt nicht mehr nur durch die titelgebende „Straße der Jugend“, die von 1949 bis 1993 zwischen Mangerstraße und Nauener Tor verlief und heute Kurfürstenstraße heißt, auch die Cafés und das Ufer der Wilden Saale in Halle rücken in den Fokus.
Bier und Schnaps fließen
Hier treten nun neue Freunde auf den Plan, Robert, der aussieht „wie einer der Hippies aus dem Heider in jung“, oder Jens, ein „Junge mit Dauerwelle“. In Geschmacksfragen unterschiedlich, werden sie dennoch Freunde, was sie eint, ist ihre äußerliche Andersartigkeit. Die drei versacken schon bald regelmäßig in der „Disco in der Bierstube“ im Untergeschoss ihres Wohnheims, in der zu Rock- und Oldie-Musik getanzt wird und Schnaps und Bier fließen.
Dass sich dieser Jugendrausch so nahtlos anfügt an den Vorgänger, darin liegt die Stärke von „Straße der Jugend“ – doch auch die Schwäche. Es ist ein Buch, das Spaß macht, beispielsweise an Stellen, an denen der Leser etwas über die Bockwurst-Technik lernt, also darüber, wie es gelingt, Suppe mit Bockwurst zu essen, ohne sich zu blamieren.
Kein doppelter Boden
Wer aber den Roman nach einem doppelten Boden abklopft, wird nichts finden. Das ist, wie gesagt, zwar okay, aber auch schade, denn Reibungsfläche für etwas weniger Gefälligkeit wäre vorhanden gewesen, allein dadurch, dass der äußerlich unangepasste René in einem DDR-Eliteinternat untergebracht ist. Zwar dämmert ihm dort schnell: „Ich merkte ja selber, dass heute etwas tot war, das gestern zumindest noch in den letzten Zuckungen gelegen hatte. Und wisst ihr, was das war? Die Kindheit!“. Der Chemielehrer, der „ein Jackett aus Kunstfasern“ inklusive „Partei-Bonbon am Revers“ trägt, hat ihn sofort auf dem Kieker und droht mit der Verhinderung eines Studiums. Doch mehr passiert nicht, auch nicht, dass René es reflektiert.
Auch als ihm später klar wird, dass irgendwer der Stasi etwas über ihn erzählt haben muss, bleibt es dabei. Hier wäre eine Weiterentwicklung der Figur und das Wagnis einer veränderten Erzählweise spannend gewesen. Doch der Ernst des Lebens kommt nie ganz nah an sie heran. Damit bleibt es bei einem sich wiederholenden Lesevergnügen.
Andererseits lässt sich darin aber auch sehen, dass die der Jugend anhaftende Adoleszenz mit ihrer Suche nach einer eigenen Identität in den letzten DDR-Jahren widerstandsfähig ist gegen staatliche Versuche der Gleichmachung, und das ist ein hoffnungsvolles Bild. Auf charmante Weise fällt dadurch von der „Straße der Jugend“ jegliche ideologische Intention ab und übrig bleiben verliebte Jugendliche, die die beste Zeit ihres Lebens haben.
Andrea Lütkewitz