Abschied von Andrea Palent im Potsdamer Nikolaisaal: Was Musik bewegen kann
Andrea Palent hat drei Jahrzehnte lang Potsdams Musikleben wesentlich geprägt. Jetzt geht sie.
Wer den erlebnisreichen Berufsweg von Andrea Palent beschreiben will, muss einiges weglassen, das Konkrete herausfiltern. Jene Anfrage im Jahr 1990 zum Beispiel, die sich schicksalhaft auf die Laufbahn der aus Delitzsch stammenden, in Halle promovierten Musikwissenschaftlerin auswirken sollte. Sie hatte zuvor ab 1983 als Dozentin für Musikgeschichte und -analyse an der damaligen Pädagogischen Hochschule Potsdam gearbeitet. Andrea Palent hatte sich in die Forschung der brandenburgisch-preußischen Musikgeschichte vertieft, vor allem die der Hofkapelle Friedrich II. und seines Cembalisten Carl Philipp Emanuel Bach.
Die Frage, die 1990 aus der Stadtverwaltung kam, lautete: Könnten Sie sich vorstellen, den Parkfestspielen Sanssouci ein konzeptionell und organisatorisch neues Gesicht zu geben, ihnen einen nationalen Rang zu verleihen? Von internationalem Renommee war damals noch nicht die Rede. Andrea Palent beantwortete die Anfrage positiv. Denn sie verspürte, trotz der Freude an der wissenschaftlichen Forschung, einen Drang nach neuen Erfahrungen und Erkenntnissen.
Sie drückte noch einmal die Schulbank
Die Neuausrichtung der Parkfestspiele, die seit den 1950er-Jahren erfolgreich auf regionaler Ebene agierten, war für die Dozentin eine große Herausforderung. Weil Konzeptionelles in der Regel wissenschaftliche Arbeit voraussetzt, verbunden mit einem organisatorischen Talent, war für Andrea Palent die Position der Geschäftsführerin wie geschaffen. Doch Talent allein reicht nicht. Das wusste auch sie. Im Bereich Musikmanagement wurde Wissen verlangt. So setzte sich Andrea Palent noch einmal auf die Schulbank und machte eine zweijährige betriebswirtschaftliche Ausbildung.
Mit nur einem technischen Mitarbeiter bereitete sie ihre ersten beiden Festspielwochen für Juni 1991 vor. Mit Mozart wurde gestartet. Aus den Parkfestspielen Sanssouci wurden die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Die Stadt Potsdam erhoffte sich, dass das Festival nach und nach internationale Aufmerksamkeit erlangen würde. Andrea Palent ist das im Laufe der 28 Jahre ihres Wirkens gelungen. Ihr ging es dabei immer um das Innenleben, um die Frage, was Musik im Herzen und vor allem im Verstand bewegen, was sie womöglich positiv verändern kann.
Nun möchte sie noch einmal Neues wagen
Ende August 2018 verabschiedet sich Andrea Palent nun von der Doppelfunktion der Leitung der Musikfestspiele sowie des Konzert- und Veranstaltungshauses Nikolaisaal, dem sie seit seiner Wiedereröffnung im Jahr 2000 ebenfalls vorstand. Sie geht ohne Druck von außen, aus eigenem Antrieb. „Ich hatte mir geschworen, du gehst, bevor alle die Augen rollen“, hat Andrea Palent in einem Gespräch gesagt. Sie möchte noch einmal etwas Neues wagen. Im Musikmanagement? Wer weiß. Viele in der städtischen Gesellschaft und darüber hinaus bedauern den Rückzug Andrea Palents. Vieles von dem Erreichten wäre ohne ihre Hartnäckigkeit, ohne ihr diplomatisches Geschick nicht möglich geworden. Und vermutlich stünden die Musikfestspiele und der Potsdamer Nikolaisaal auch bezüglich der hohen Besucherzahlen nicht so wacker da, wenn Andrea Palent nicht beides mit großem Geschick beschirmt, bewahrt und sie vor allem in Bewegung gehalten hätte. Die Lorbeeren würde sie aber nie für sich allein behalten. Nur in Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelang ihr der Erfolg, unter anderen mit den Dramaturgen Christina Siegfried, Carsten Hinrich, Jelle Dierickx sowie Astrid Weidauer.
Palent begeistert sich besonders für die barocke Oper
Sowohl beim Festival wie im Nikolaisaal hat Andrea Palent stets auf konzeptionelle und musikalische Qualität gepocht. Das hat ihr große Anerkennung in Fachkreisen und bei Künstlern in aller Welt eingebracht. Man kommt gern nach Potsdam. Die Festspiele wurden ein sehr gefragtes Festival für Alte Musik. Themen aus der brandenburgisch-preußischen Musikgeschichte fanden hier im fruchtbaren Miteinander mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Aufnahme in die Programme – ebenso wie internationale Komponisten, europäische Städte und Regionen mit ihren weitgefächerten Musiktraditionen. Andrea Palent fand für die Musik einmalig schöne Orte in den Schlössern und Gärten Sanssoucis. Und darüber hinaus.
Der barocken Oper galt Palents besondere Begeisterung. Jährlich standen bis zwei Musiktheaterwerke im Zentrum der Musikfestspiele, meist mit Wiederentdeckungsbonus. Die Geschäftsführung des rekonstruierten und sanierten traditionsreichen Nikolaisaals in der historischen Mitte Potsdams übernahm Palent nach einer Ausschreibung im Jahr 2000. Nach dem Aus der Brandenburgischen Philharmonie im selben Jahr musste ein neues Orchester gefunden werden, das die Sinfoniekonzerte bestreitet. Mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt wurde ein Klangkörper gefunden, der die verschiedenen Facetten eines Konzerthausorchesters exzellent beherrscht.
Musikalische Vielfalt im Nikolaisaal
Auch die Brandenburger Symphoniker und das Deutsche Filmorchester Babelsberg sind seitdem regelmäßig im Nikolaisaal zu hören, ab 2001 dann die neu gegründete Kammerakademie Potsdam, die sich europaweit einen herausragenden Namen gemacht hat. Die große Vielfalt musikalischen Erfindungsreichtums in der Klassik, im Jazz, im Rock oder im Pop sind im Nikolaisaal in verschiedenen Reihen bestens aufgehoben – interpretiert nicht nur von den genannten Klangkörpern, sondern auch von in aller Welt gefeierten Solisten und Ensembles sowie von solchen, die in Potsdam und in der Region verwurzelt sind.
Andrea Palents Nachfolge bei den Festspielen übernimmt die Musikerin Dorothee Oberlinger, im Nikolaisaal wird Michael Dühn den Posten eines Programmdirektors übernehmen, die kaufmännische Geschäftsführung Heike Bohmann. Für die geordnete Staffelübergabe ist also gesorgt. Klar, dass Andrea Palent auch in Zukunft auf ihre groß gewordenen „Kinder“ blickt. Vor allem wünscht sie ihnen Erfolg.