Übergangszeit: Warmlaufen mit Kandinsky
Mit „Vom Expressionismus zum Informel“ versüßt das Barberini die Wartezeit auf Gerhard Richter.
Potsdam - Wer aus dem Vollen schöpfen kann, bei dem werden selbst sieben Noldes, fünf Kandinskys, zwei Feiningers und zwei Pechsteins zur Nebensache. „Viel zu schade als ,Lückenfüller’, um das Warten auf Richter zu erleichtern“, schrieb eine Besucherin ins Gästebuch zu der Ausstellung „Nolde, Feininger, Nay. Vom Expressionismus zum Informel“, die seit gut zehn Tagen im Museum Barberini läuft. Ohne Außenbanner an der Fassade, ohne Pressekonferenz: eben eine kleine Nebenausstellung zur Großen, die ab dem 30. Juni öffnet und Gerhard Richters Abstraktion huldigt. Diese gerade hinter verschlossenen Türen vorbereitete Retrospektive schlägt einen Bogen von den 1960er Jahren bis zu seinen aktuellen Arbeiten.
Bögen schlägt aber auch der Richter-Prolog mit seinen 26 Werken. Er vereint frühe und späte Arbeiten der jeweiligen Künstler und führt sehr konzentriert durch die Geschichte diverser Künstlergruppen: über die Brücke, das Bauhaus bis zu der 1949 gegründeten Gruppe Zen49. Und diese luftig gehängte Offerte bietet zudem Raum und Ruhe, die Arbeiten an den blass- und sattlila Wänden auf sich wirken zu lassen. Farbfreudige Sommertrunkenheit schlägt dem Besucher ebenso entgegen wie der Tusch des selbstbewussten kalligrafischen Pinselschwungs, die Verknüpfung starrer Geometrien, die beim längeren Schauen zu tanzen beginnen, oder verborgene Naturkräfte, die als unheimliche Fantasiewesen über die Leinwand huschen.
Freier Umgang mit Form und Farbe
Gut ein halbes Jahrhundert durchmisst diese Ausstellung, die die avantgardistischen Strömungen spiegelt, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der deutschen Kunst entwickelten. Die Maler der Brücke waren die Ersten, die auf die Kraft der Farbe setzten. Sie taten sich 1905 in Dresden zusammen und postulierten neben dem freien Umgang mit Form und Farbe den unmittelbaren, unverfälschten Ausdruck. Emil Nolde trat 1906 der Gruppe bei: Auch ihn begeisterte dieses Ursprüngliche, die unvermischten Farben. Doch sein Wunsch, sich mit gleichgesinnten Künstlern in einer Gruppe zu verbinden, stand im Widerspruch zu seinem Bedürfnis nach der eigenen Individualität. Und so verließ er ein Jahr später wieder die Gruppe, die sich 1911 ohnehin auflöste.
Nolde hatte sich das Malen in der Natur von den Impressionisten abgeschaut, aber seine Farben setzen auf lebhafte Kontraste. Diese sehen wir in seiner aufbrausenden, pastos aufgetragenen Farbwirbelei „Frischer Tag am Meere“ an der Ostseeinsel Alsen, wo er sein luftiges Atelier aus Brettern aufschlug, oder bei seinem farbkühlen „Haus im Schnee“, das er 1908 in Berlin malte. Nolde, einerseits Sympathisant der Lebensreformbewegung, Bewunderer fremder Kulturen und Anhänger moderner Ausdrucksformen, biederte sich ein paar Jahre später bei den Nazis an. Das verhinderte nicht, dass seine Werke als entartet diffamiert wurden. Eines davon, sein prächtiger „Blumengarten mit Figuren“ aus dem Jahr 1908, gehört dazu. Es wurde als „entartete Kunst“ beschlagnahmt. Zu sehen ist sein Fischerhaus auf der dänischen Insel Alsen, vor dem seine Frau Ada mit zwei Gästen im Gespräch ist und fast von der blühenden Sommerwoge verschluckt wird. Auch der Namensgeber der „Brücke“, Karl Schmidt-Rottluff, ist mit Stillleben vertreten. Er hält nach der NS-Zeit und der Verfemung seiner Bilder unbeirrt am Gegenständlichen fest, grenzt sich vom Abstrakten ab. Schmidt-Rottluff machte in der brückenreichen Stadt Dresden die „Brücke“ als ein vielschichtiges Wort aus, das kein Programm bedeute, aber gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führe.
Von Märchen bis Bauhaus
Und diese Brücke führte weiter, wie bei Wassily Kandinsky, der sich vom Expressionismus zur Abstraktion aufmachte. Kandinskys „Murnau – Landschaft mit Grünem Haus“ von 1909 leuchtet noch märchenhaft verfremdet, zeigt einen beschaulichen Ort, der auseinanderzufallen droht. Später sehen wir den Bauhaus-Lehrer mit seinem Bild „Oben und links“ von 1925: nun in vollständiger Abstraktion und geometrischer Präzision. Die Architektur wird bei ihm zur Malerei. Auch Lyonel Feininger war Bauhaus-Lehrer. 1919 berief ihn Bauhaus-Gründer Walter Gropius als ersten Künstler nach Weimar. Im gleichen Jahr malte Feininger „Der rote Clown“, ein Werk von unheimlich suggestiver Kraft. Das Clowneske dieses Mummenschanz-Bildes wird übersteigert. Fremde Wesen, die entfernt an Nussknacker denken lassen, marschieren vor den Häusern einer thüringischen Kleinstadt auf. Ihre Gesichter erinnern an Maschinen und an Fritz Langs Film „Metropolis“. Auch eines der letzten Gemälde Feiningers, seine „Segelboote“ von 1954, mit ihren feinen, sich kreuzenden Linien, ist zu sehen. Es steht in seiner reduzierten Darstellung gegenständlicher Formen am Übergang zur abstrakten Malerei.
Zwischen Feiningers Clown und seinen Segelbooten lag der lange braune Schatten des Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand im Westen Deutschlands die Strömung des Informel, das Prinzip der gegenstandslosen und nicht-geometrischen Abstraktion. Zwei ihrer Wortführer, Willi Baumeister, und Bauhaus-Schüler Fritz Winter, gründeten in München die Gruppe Zen 49. Man spürt in ihren fast meditativen Arbeiten die Wurzeln des Zen-Buddhismus. Ihre Werke führen die Ausstellung bis in die 1960er Jahre hinein. Dort, wo Gerhard Richter dann einsetzt. Heidi Jäger
Zu sehen bis 17. Februar 2019 im Museum Barberini, Am Alten Markt
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