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Kim Jong-un bei einer Ansprache 2019.
© dpa

Kim Jong-un und wie man mit ihm umgehen kann: Wandel befördern

Martin Benninghoff beschreibt das Nordkorea des Diktators

Es gibt Länder, die tauchen hin und wieder auf in den westlichen Nachrichten und dann verschwinden sie wieder. Ein dauerhaftes Thema sind sie in der Öffentlichkeit des Westens nicht. Meist handelt es sich dabei um Länder, die mit den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten seit vielen Jahren im Streit liegen, mit denen es aufgrund von Sanktionen auch kaum wirtschaftlichen Kontakt gibt. Nordkorea ist so ein Fall. Wenn nicht gerade berichtet wird, dass das Land seine Verhandlungen mit den USA oder Südkorea fortsetzt oder stoppt, Raketen testet oder, wie nun, einen harten Winter für schätzungsweise elf Millionen Nordkoreaner erwartet, die als unter- oder mangelernährt gelten, dann erfährt man von dort kaum etwas.

Einer der wenigen deutschen Journalisten, die sich kontinuierlich mit der nordkoreanischen Terra incognita beschäftigen, ist Martin Benninghoff. Nach beruflichen Stationen beim Deutschen Bundestag und in verschiedenen Medien ist der Politikwissenschaftler und Absolvent der Kölner Journalistenschule heute Redakteur der „FAZ“. Die koreanische Halbinsel zählt dabei seit knapp einem Jahrzehnt zu seinen Themen. Da er Nordkorea seitdem mehrmals ausgiebig bereist hat, wird er auch immer wieder als Experte in Fernsehsendungen eingeladen.

Maoist mit Betonfrisur

Benninghoff charakterisiert Nordkorea als dasjenige Land auf der Welt, über das sich am meisten Spott ergieße, das mit seinen auf den ersten Blick roboterhaften Bewohnern und einem anachronistischen Kommunismus, der überall sonst ausgestorben sei, bizarr und befremdlich wirke. Zwischen Propaganda, Arbeitslagern und Diktatorenkult scheine das isolierte Land weltfremd und entrückt. Doch in der gegenwärtigen Lage zwischen Wiederannäherung und Drohgebärden stellt sich auch Benninghoff die Frage, was den Machthaber Kim Jong-un antreibt. Hätte er theoretisch das Zeug zum pragmatischen Reformer, der sein Volk in bessere Zeiten führt? Oder ist er nichts weiter als der Maoist mit Betonfrisur, dem anscheinend eine veraltete, menschenfeindliche Ideologie über jede praktische Vernunft geht?

Benninghoff sieht Kim Jong-un vor einer entscheidenden Wahl stehen: Er könne sein Land öffnen, wirtschaftlich reformieren und sich klar wegbewegen von der brutalen Repressionspolitik seiner Vorgänger und seiner eigenen bisherigen Amtsjahre. Als Alternative benennt Benninghoff einen Rückfall in die dunkelsten Zeiten Nordkoreas, in der Hungersnöte und die Angst vor Denunziation den Alltag beherrschten und die Aussicht auf Freiheit für die von der Welt abgeschnittenen Menschen in unerreichbare Ferne rückte.

Der Junge wird bleiben

Wie wird diese Geschichte ausgehen? Benninghoff schildert die Situation klar und schonungslos: Die Machtrepräsentation bleibe komplett auf Kim Jong-un zugeschnitten, seine beiden Vorväter müssten weiterhin wie Heilige verehrt werden. Das Atomprogramm habe er gnadenlos nach vorne gepeitscht und die Zügel im Inneren und bei der Grenzsicherung eher noch angezogen. Wirtschaftliche Vernunft scheine ihm wichtig zu sein, aber nicht so wichtig wie von manchen erhofft.

Vor diesem Hintergrund gibt es auch nach Benninghoffs überaus realistischer Analyse keine einfache Lösung für die Nordkorea-Problematik. Er bezeichnet die Lage als verfahren und blockiert. Als Befreiungsschlag kommt für ihn nur die Revolution von unten, ein Putsch von oben oder ein Krieg infrage. Um Letzteres zu verhindern und den verfahrenen Konflikt doch noch zu lösen, bedarf es in seinen Augen großer Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft und vor allem der Großmächte. Benninghoff wirbt dafür, die Beziehungen, wo es geht, zu verbessern, um die langsame Evolution des Wandels in Nordkorea zu beschleunigen. Vor allem die „weichen“ Spielfelder wie Sport, Kultur, aber auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit in den vergleichsweise wenig ideologisch vereinnahmten Branchen der Landwirtschaft und des Naturschutzes sowie des Tourismus eignen sich dazu nach seiner Erfahrung vor Ort.

Gemeinschaft stiften

Als Ziel erklärt Benninghoff, Nordkorea in internationale Abkommen einzubeziehen und dadurch einzubinden. Es sei gut, wenn sich Nord- und Südkoreaner zu gemeinsamen Teams für Olympische Spiele, vielleicht künftig bei Fußballweltmeisterschaften oder – wie 2019 bereits geschehen – zu einer gemeinsamen Handballmannschaft zusammentun würden. Denn dies helfe, den vom Regime gepflegten Feindbildern wirksam etwas entgegenzusetzen.

Der südkoreanischen Regierung rät er, die mit dem Kim-Regime geknüpften Kontakte weiterzuführen und auszubauen – „heiße Drähte“ zwischen den Staatsführern einzurichten, politische und militärische Gespräche zu pflegen, gemeinsame Projekte auszuloten, die trotz der Sanktionen funktionieren können.

Der Westen wiederum sollte nach Benninghoffs Urteil seine Zuckerbrotund-Peitsche-Politik überdenken. Wichtig sei, zu begreifen, dass die Atomwaffen für Kim Jong-un mehr seien als lediglich ein gut gerüstetes Arsenal im Rahmen seiner Sicherheitspolitik. Daher empfiehlt Benninghoff, darüber nachzudenken, Kim Jong-un die Waffen vorerst zu lassen und keine komplette unumkehrbare Denuklearisierung zu fordern, jedoch sein Atomprogramm nach und nach vertraglich einzufrieren – überwacht von internationalen Inspektoren. Damit entwirft Benninghoff ein wirtschaftliches wie politisches Szenario, das nicht nur von seiner Konzeption, sondern auch von seiner Umsetzungswahrscheinlichkeit her überzeugen sollte – ein langer, aber ein gangbarer Weg.

Martin Benninghoff: Der Spieler. Wie Kim Jong-un die Welt in Atem hält. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019. 383 S., 18 €.

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