Kultur in Berlin - und wie sie angenommen wird: Von wegen elitär
Im Auftrag von Kultursenator Lederer wurde die erste Berliner Nichtbesucher:innen-Studie erstellt – mit verblüffenden Ergebnissen.
Berlin ist eine fantastische Kulturmetropole: Wenn nicht gerade eine Pandemie wütet, präsentiert sich der Veranstaltungskalender überwältigend vielfältig, ein so moderates Eintrittspreisniveau gibt es weltweit wohl in keiner Hauptstadt, zudem gilt das hiesige Publikum als besonders neugierig und aufgeschlossen.
Die Vorgänger:innen von Kultursenator Klaus Lederer genossen es, Saison für Saison beeindruckende Vorstellungs- und Besucherstatistiken zu präsentieren. Als aufrechter Linker dagegen schaut Lederer vor allem auch auf jene, die das weitgehend mit Steuergeldern finanzierte Angebot (noch) nicht wahrnehmen.
Soziale Ungleichheit, „Kultur für alle“, Niedrigschwelligkeit und Inklusion, das sind Themenfelder, die ihn beschäftigen.
Darum hat er die erste Berliner Nichtbesucher:innen-Studie in Auftrag gegeben: Das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung sollte untersuchen, welche Gründe Menschen für ihre Kulturabstinenz angeben. Zwischen Juni und Oktober 2019 wurden 13 000 zufällig ausgewählte Berlinerinnen und Berliner angeschrieben und gebeten, einen Fragebogen auszufüllen.
94 Prozent der Bevölkerung sind mit dem Berliner Kultur- und Freizeitangebot zufrieden
Mit gut 3400 Rücksendungen lag die Teilnahmequote bei 27 Prozent, was wissenschaftlich als ausreichend gilt. An diesem Montag präsentiert Studienleiterin Vera Allmanritter das Ergebnis im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses.
Auf 87 Seiten ist da Verblüffendes zu lesen. 94 Prozent der Bevölkerung sind mit dem Kultur- und Freizeitangebot der Stadt zufrieden, 38 Prozent davon sogar sehr. 82 Prozent besuchen auch tatsächlich regelmäßig Theater und Oper, Ballett, Konzerte und Ausstellungen, 80 Prozent befürworten deren staatliche Förderung. 60 Prozent geben an, dass diese klassischen Kulturangebote ein wichtiger Grund für sie sind, in Berlin zu leben.
Wow! Wenn fast alle sowieso dabei sein wollen, muss sich die Politik dann überhaupt mit den Nichtbesucher:innen beschäftigen? Na klar, findet Klaus Lederer. Denn gleichzeitig gibt ein Drittel der Befragten an, das sich die Angebote nicht unbedingt „an Menschen wie mich“ richteten.
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Deshalb müssten die Institutionen sich um mehr bauliche Barrierefreiheit kümmern und eine größere Diversität in Sachen Personal und Programm. Studienleiterin Allmanritter gibt allerdings auch zu bedenken, dass die Diskrepanz der Aussagen darin begründet liegen kann, dass Menschen, die gerne Ausstellungen besuchen, sich vom Ballett vielleicht gar nicht angesprochen fühlen.
Abgesehen davon, dass die Kulturanbieter in Sachen Zugänglichkeit und Publikumsansprache schon enorm viel geleistet haben, ist der Hauptgrund für die Aussage, dass eine bestimmte Art von Kultur nicht für sie gemacht werde, wohl die irrationale Schwellenangst gegenüber vermeintlich elitären Kunstformen.
Die gerade in Berlin unbegründet ist: Nirgendwo wird beim Theater- oder Konzertbesuch so wenig Wert auf Etikette und Kleidung gelegt wie hier.
Kein Kraut scheint außerdem gegen die Vorstellung gewachsen zu sein, dass man für den Kulturgenuss Vorbildung mitbringen müsse.
Kommt bald der eintrittsfreie Museumssonntag?
Wenn Klaus Lederer also fordert, dass Kinder und Jugendliche zielgerichtet an die Kultur herangeführt werden sollten, ist das zweifellos richtig. Doch auch in diesem Punkt bieten die öffentlich geförderten Einrichtungen schon lange Großartiges.
Eher skurril mutet an, dass 40 Prozent der Befragten mit dem kulturellen Angebot in ihrem direkten Wohnumfeld nicht zufrieden sind. Denn es dürfte sich weltweit keine Großstadt finden, in der Theater und Museen gleichmäßig über alle Quartiere verteilt sind. Die konzentrieren sich nun einmal traditionell in der Innenstadt.
Klaus Lederer liest die Zahlen natürlich als Bestätigung dafür, dass sein Ziel einer Stärkung der bezirkliche Kulturarbeit „hochgradig relevant“ sei.
Dafür müssten die prekär arbeitenden Klein- und Kleinstinstitutionen dann allerdings auch so ausreichend mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden, dass sie die Bevölkerung in ihrem Umfeld erst einmal von ihrer Existenz in Kenntnis setzen können.
Ob der eintrittsfreie Museumssonntag, für den Lederer seit seinem Amtsantritt kämpft – freilich, ohne ihn bis jetzt in die Tat umsetzen zu können –, dazu führen wird, dass Geringverdiener massenhaft die Kunsttempel stürmen, wird hoffentlich die nächste Ausgabe der Nichtbesucher:innen-Studie untersuchen können. Im Zweijahresrhythmus soll das Forschungsvorhaben nämlich weitergeführt werden. In der 2021er Edition werden sich dann auch die Auswirkungen von Corona auf das Besucherverhalten widerspiegeln.
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