Die Seidenstraße - eine Achse der Weltgeschichte: Vom Osten her neu denken
Der Oxforder Historiker Peter Frankopan zeichnet eine andere Weltkarte und Lutz Berger erzählt die Geschichte des frühen Islam.
Seidenstraße – ein mythischer Begriff, der Assoziationen auslöst, Marco Polo, Schätze des Ostens, geheimnisvolle Welten und Kulturen – von denen wir aber im Allgemeinen wenig wissen. Umso mehr hat die Welt aufhorchen lassen, als Chinas Staatspräsident Xi Jinping im Herbst 2013 als langfristige Strategie den Aufbau eines „Seidenstraßen-Gürtels“ und einer „maritimen Seidenstraße“ des 21. Jahrhunderts verkündete. China schwebt dabei mehr vor als die Wiederbelebung alter Handelsrouten, sondern die Vernetzung Eurasiens, um neue Wirtschaftsräume zu erschließen und politische Stabilität in der Region zu schaffen.
Doch was wissen wir über diesen Raum, der durch Chinas ambitionierte Politik an Bedeutung gewinnen wird? Nicht viel. So erging es auch dem Oxforder Historiker Peter Frankopan, der sich schon als Schüler für die Welt begeisterte, sich aber ärgerte, dass er im Schulunterricht nur über Westeuropa und die USA etwas lernte. Er lernte Russisch und Arabisch und erschloss sich damit eine neue Welt. Aus diesem Impuls heraus entstand sein fulminantes Buch „Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt“.
Für ihn sind nicht China oder Indien die Ausgangspunkte seiner Arbeit, sondern die Region, die Europa mit Fernost verbindet, sie „bildete in Wirklichkeit jahrtausendelang die Achse, um die sich der Erdball drehte“, schreibt er und nimmt von nun an den Leser mit auf einen furiosen Parforceritt durch die Geschichte des Mittleren Ostens, durch die heutigen -stan-Länder, die für ihn „nicht an der Peripherie der Weltpolitik, sondern mitten in ihrem Zentrum – und das schon seit Beginn der Geschichte“, liegen.
Der Mainstream der westlichen Geschichtsschreibung habe diese große Region einfach vergessen. Die aktuelle Politik verstelle erst recht den Blick auf die Region – so rede niemand heute mehr vom Iran und seinem „einstigen Ruhm, als seine persischen Vorläufer der Inbegriff für guten Geschmack waren, von den bei Tisch servierten Früchten über die verblüffend exakten Miniaturporträts, die ihre legendären Künstler gestalteten, bis hin zu dem Papier, auf das die Gelehrten schrieben.“
Für Frankopan kommen die Impulse für die Entwicklung der Welt aus Asien, er erschließt ein schier unendliches Reservoir an Quellen und Einzelstudien zur Geschichte Asiens. Er trägt fleißig zusammen, was dort schon erforscht wurde, und erschließt es dem verblüfften Leser, der bisher durch ein eurozentristisches Geschichtsbild sozialisiert wurde. Dabei zeigt er anschaulich, dass die Völker dort in der Entwicklung Europa weit voraus waren und dass die Europäer wegen des sagenhaften Reichtums des Ostens immer wieder dort ihr Glück versuchten. Für ihn ist Europa lange nur Peripherie.
Frankopan beginnt seine Reise durch die Geschichte mit dem Perserreich, das vom 6. Jahrhundert vor Christus an ein Gebiet beherrschte, das von den Küsten der Ägäis über Ägypten bis zum Himalaja reichte und somit bereits das verband, was heute als so fern und getrennt erscheint. Die Welt vor 3000 Jahren war schon globalisiert, ausgehend von den Reichen der Perser und der Chinesen, lange bevor Roms Aufstieg zur Weltmacht begann. Garanten des Aufstiegs der Perser sind für Frankopan eine ausgeklügelte Verwaltung, die auch lokale Gegebenheiten nutzte und wenn passend übernahm, der Ausbau einer Verkehrsinfrastruktur und die Entwicklung der Landwirtschaft. Dank ihres aggressiven Militärs konnte sich das Reich der Perser ausdehnen. Probleme bereiteten vor allem die Steppenvölker des Nordens, mit denen es trotz allem einen regen Austausch gab. So weisen Grabfunde aus dem heutigen Afghanistan künstlerische Einflüsse aus Griechenland nach.
Gleichzeitig expandierte China unter der Han-Dynastie nach Westen und kam dadurch auch mit den Nomaden der Steppe in Berührung. Ein begehrtes Handelsprodukt jener Zeit waren Pferde, die astronomische Gewinne versprachen. Die Chinesen bezahlten die kriegerischen Nomaden der Xiongnu mit Unmengen von Seide, einer damals beliebten Währung. Aber sie ließen sich auf Dauer nicht demütigen, sie erobern 119 vor Christus den Gansu-Korridor, in dessen Westen der Pamir liegt und dahinter eine neue Welt. „China hatte ein Tor zu einem transkontinentalen Netzwerk aufgestoßen – das war die Geburtsstunde der Seidenstraße.“ Chinas Kaiser ließen die Gebiete im Westen erforschen, der Handel entwickelte sich langsam und die entscheidende Währung war Seide.
„Die Seidenstraßen“ – so heißt das Buch treffend im englischen Original – und ihre Verzweigungen sind für Frankopan die Adern, die Europa und Asien immer enger miteinander verbanden. Mit dem Handel wurden nicht nur Waren, sondern auch Ideen und Kenntnisse ausgetauscht, und die Eroberer nutzten ebenfalls diese Wege. Der hohe Gewinn, der mit den Waren aus dem Osten zu erzielen war, übte eine große Anziehungskraft auf den Westen aus.
Etwa gleichzeitig begann im 1. Jahrhundert vor Christus der Aufstieg Roms, das zunehmend Gebiete in Westeuropa eroberte, die aber nicht besonders lukrativ waren. Reichtum und Gewinn versprach sich auch Rom vom Osten. Westeuropa war so gesehen eher Peripherie. Der Handel mit Indien blühte und auch Waren aus Java oder Vietnam gelangten über die Römer in den Mittelmeerraum. Auch mit Glas, Silber, Gold und Korallen sowie Weihrauch aus Arabien wurden Textilien, Gewürze und Färbemittel bezahlt. Der Wunsch nach Luxusgütern ließ den internationalen Handel florieren. Orte wie Petra oder Palmyra stiegen zu Metropolen auf, weil sie an den Handelsrouten lagen.
Das Hauptinteresse Roms galt allerdings nicht China, sondern Persien, das von dem Fernhandel zwischen Ost und West profitierte und sich in Ktesiphon eine prächtige Hauptstadt leistete. Die Sasaniden bauten eine straffe Staatsstruktur auf, die das Perserreich erstarken ließ, während Rom zunehmend Probleme an seinen nördlichen Grenzen bekam. Und dennoch richtete es seine ganze Aufmerksamkeit nach Osten, nach Asien – und von dort kam ein neuer Glaube, der die Welt verändern sollte, das Christentum.
Frankopan ist nicht nur ein exzellenter Historiker, der Unmengen von Quellen studiert und erschlossen hat, er ist auch ein begnadeter Erzähler, der es versteht, die stets neuen Namen, Herrscher und Reiche spannend und erhellend mit Europa zu verknüpfen. Die Handelswege nach Osten, ob auf dem Landweg über die Seidenstraßen oder auf dem Seeweg über das Rote Meer nach Indien, sind für ihn die Schlagadern der Entwicklung. Ein Blick auf die immer wieder eingestreuten Karten zeigt, dass auch im Wettlauf der Ideen die Musik zwischen der heutigen Türkei und Indien spielte.
Überraschend ist das Kapitel über den Sklavenhandel im 9. Jahrhundert in Mitteleuropa durch Wikinger und Rus, aber auch durch Rom und die Araber. Die Währung des 8. bis 10. Jahrhunderts waren Menschen – Sklaven. Dafür flossen Unmengen arabischer Silbermünzen nach West- und Osteuropa, was ein Wachsen der Städte auslöste. Und es waren ursprüngliche Militärsklaven, die Seldschuken, die das Machtgefüge in Asien veränderten, als sie auf Einladung des Kalifen 1055 Bagdad eroberten. Ironie der Geschichte – die Söhne des Dynastiegründers Seldschuk waren wahrscheinlich Christen oder Juden.
Es ist unmöglich, auf alle Entdeckungen und Verweise Frankopans einzugehen, aber es gelingt ihm immer wieder, Verknüpfungen zwischen Ost und West herzustellen, die beweisen, dass die Welten der Vergangenheit weit mehr miteinander verbunden waren, als wir das heute mit unserem eurozentrischen Blick wahrhaben wollen. Frankopan spannt den Bogen von den Kreuzzügen, der Ausbreitung der Pest, dem Aufstieg Europas durch die Entdeckung der sogenannten „Neuen Welt“ und des Goldes, das dort im großen Stil geraubt wurde, über die Osmanen und die Moguln, die niederländischen Händler des 17. Jahrhunderts bis hin zum Britischen Empire und dem ewigen Kampf um das Öl im 20. Jahrhundert.
Natürlich hat seine „neue Geschichte der Welt“ auch Defizite, sie lässt Afrika und Lateinamerika weitgehend außen vor, geschuldet der These, dass die Seidenstraßen Ost und West zusammenhalten. Daher kommt auch die Ideengeschichte zu kurz, so etwa die Aufklärung und die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als westliche Errungenschaften.
Doch diese Geschichten wurden schon oft erzählt – Frankopans Version stößt dagegen neue Fenster auf, eröffnet neue Forschungsfelder, regt zum Nachfragen und Nachforschen an. Rund 100 Seiten Anmerkungen, die auch von Fachwissenschaftlern geschätzt werden, geben Hinweise genug. Sein Weckruf an den Westen kommt zur rechten Zeit, um die Dimension der neuen chinesischen Politik zu verstehen. Sie zu kennen, ist für die Zukunft entscheidend.
Was Frankopan in seinem Werk auf rund 50 Seiten abhandelt, ist dem Islamwissenschaftler und Turkologen Lutz Berger ein eigenes Buch wert: „Die Entstehung des Islam. Die ersten hundert Jahre. Von Mohammed bis zum Weltreich der Kalifen“. Bei aller Aufregung, die die Debatte um den Islam gegenwärtig bestimmt, zeichnet sich Bergers Analyse durch eine unaufgeregte Beschreibung der Fakten aus, soweit das die mitunter spärliche Quellenlage in frühislamischer Zeit zulässt.
Berger skizziert die Religionsgeschichte der vorislamischen Zeit, in der sich eine Sehnsucht nach individueller Erlösung herauskristallisiert. Deswegen war das Christentum zunächst erfolgreich. Ähnlich verhielt es sich mit dem Islam, der sich zunächst tolerant zeigte und den eroberten Gebieten nichts aufzwang. Außerdem ermöglichte er eine neutrale Haltung im ewigen Machtkampf zwischen den Sasaniden und den Römern, auf der Arabischen Halbinsel wirkte er im Gegensatz zum frühen Christentum friedensstiftend und beruhigend.
Der Islam schuf „eine neue befriedete Form der Gemeinschaft“ und war dadurch „deutlich stabiler und auch kampfkräftiger als tribale Verbände zuvor“, schreibt Berger. Durch die Zentralisierungstendenzen in den großen Reichen der vorislamischen Zeit verloren die Regionen an Einfluss; die Pest und die ewigen kriegerischen Auseinandersetzungen taten ein Übriges, die neue Religion als Alternative zu akzeptieren, zumal diese den örtlichen Eliten weitgehend freie Hand ließ. Auf der anderen Seite nutzen die muslimischen Eroberer die bürokratischen Strukturen der antiken Großreiche. Zunächst lebten die Religionen friedlich nebeneinander.
Berger erzählt detailliert und kenntnisreich den Aufstieg des Islam, der die Entwicklung des Nahen Ostens kulturell und wirtschaftlich voranbrachte. Der Westen – so schließt Berger – „war um 750 zu einem Entwicklungsland geworden, auf das Muslime wie orientalische Christen für Jahrhunderte – wenn überhaupt - nur mit Herablassung blickten.“
Peter Frankopan: Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt. Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz.Rowohlt Berlin, Berlin 2016. 942 S., 39,95 €.
Lutz Berger: Die Entstehung des Islam. Die ersten hundert Jahre. Von Mohammed bis zum Weltreich der Kalifen. C.H. Beck, München 2016. 334 S., 26,95 €.