Pakistan: Verlogenes Land
Der Journalist Hasnain Kazim schreibt in seinem Buch "Plötzlich Pakistan" über die Handwerker, Konditoren und Terroristen des Landes. Eine Rezension
Viele mögen Hasnain Kazim für verrückt halten, vielleicht hält er sich manchmal sogar selbst für verrückt: denn als immer mehr Menschen Pakistan verließen, ging er als junger Korrespondent dorthin. Geplant war es so nicht, Kazim und seine Frau Janna beluden in Hamburg erst einmal einen Container, um nach Indien umzusiedeln. Wie dann alles anders kam und was der in Oldenburg geborene Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer und seine Familie in dem vielleicht widersprüchlichsten Land der Welt erlebten, beschreibt er teils vergnüglich und sehr persönlich in „Plötzlich Pakistan“. Auf 278 Seiten geht es um vier Jahre Weltpolitik, aber auch darum, wie ein deutsches Paar in dem Land sein Leben organisiert, mit dem die meisten Deutschen nur Terror und Extremismus verbinden.
Kazim macht es dem Leser leicht, sich diesem Land zu nähern: Er ist fasziniert von dessen Schönheit, er mag die Menschen im Land seiner Eltern. Er nimmt einen mit in die Sommerurlaube seiner Kindheit zu den Cousins und Großeltern in der Metropole Karatschi. Er schildert die Absurditäten, die seine Frau und er mit Handwerkern erleben, die das zu lange Fernsehkabel einfach zusammengerollt an die Wand nageln, er erzählt von Geduld wie Ungeduld, von heiteren Teestunden auf der Dachterrasse, dem wunderbaren Buchladen und dem Konditor, dessen Köstlichkeiten er sich anders als andere leisten kann.
Diese Bigotterie versteht jede Frau
Und davon, dass die Ehe eines einheimisch aussehenden Mannes mit einer weißen deutschen Frau in dem konservativen Land sehr ungewöhnlich ist. Da rückt ihm mancher forsch(end) näher und fragt nach Glauben, Nachwuchs und der Partnerin. Als Schutz erfindet Kazim sechs Kinder. Für seine Frau dürften solche Begegnungen noch unangenehmer gewesen sein, denn manchem Pakistaner geht bei diesem Thema leicht die Fantasie durch. Mitten auf dem Basar werden dem Mann anzügliche Bemerkungen zugeraunt, die deren Urheber in einer Art vermeintlicher Komplizenschaft als höchste Anerkennung verstanden wissen wollen. Diese Bigotterie versteht jede Frau, selbst, wenn sie kein Urdu spricht.
Immer wieder scheint Kazims Zerrissenheit auf angesichts all der Dinge, die nicht zusammenpassen: der Reichtum weniger und die Armut so vieler Menschen in dem rasant wachsenden Land mit seinen 200 Millionen, vor allem jungen Einwohnern. Kazim weiß, dass er selbst vom niedrigen Lohnniveau profitiert und macht das zum Thema. Er ist voller Mitleid, wenn das Nachbarskind an einer Blinddarmentzündung stirbt, weil die Eltern kein Geld für den Arzt haben. Wie damit umgehen? „Das schlechte Gewissen wurde zu unserem Begleiter.“
Im pakistanischen Alltag begegnen dem Besucher diese Widersprüche auf Schritt und Tritt. Auch wenn viele Militärs, Geheimdienstler, Eliten des Landes offensichtlich recht gut darin sind, zu verdrängen, was schon in ihrem eigenen Handeln nicht zusammenpasst – sei es zum Beispiel die Heuchelei um das gesetzliche Alkoholverbot für Muslime, an das sich selbst mancher Mullah nicht hält. Auch das beschreibt der „Spiegel Online“-Journalist, allerdings eher vorsichtig. Es ist ein sensibles Terrain.
Offener geht Kazim mit dem Widerspruch um, dass die USA einerseits von Pakistan als böse Macht beschimpft werden, die Privilegierten des Landes ihre Kinder aber dort studieren lassen, manche sogar Häuser in den Staaten haben und einen amerikanischen Pass. Zu Hause könnte es politisch für sie ja einmal zu heiß werden.
Natürlich geht es im Buch auch um den Terror und seine Wurzeln. Überflüssigerweise, aber vermutlich den Verkauf ebenso fördernd wie manch arg plakativer Satz im Buch, hat der Verlag als Untertitel „Mein Leben im gefährlichsten Land der Welt“ gewählt. Fast lakonisch nimmt Kazim die Leser mit in das während seiner Jahre in Islamabad schwieriger werdende Leben, weil dort mehr und mehr die religiösen Fanatiker den Ton angeben und ihnen kaum jemand etwas entgegensetzt. Er trifft den 28 Jahre jungen Henker des Landes und er schildert ausführlich seine Versuche, nach der amerikanischen Exekutionsaktion in Abbottabad ins letzte Versteck von Osama bin Laden zu gelangen, ebenso wie die Reaktionen der von Washington überrumpelten Pakistaner auf die nächtliche Attacke.
Vom Terror blieben Kazim und seine Frau verschont, „aber wir hörten, sahen, spürten ihn“. Beide gewöhnten sich „erschreckend schnell“ an die allgegenwärtigen Sicherheitskräfte und „an Willkür als Instrument gegen den Terror“. Sie verwandelten trotzdem ihr eigenes Haus nicht in eine Festung. Aber mit der Adressenliste in seinem Handy begleitete ihn ein stets und ständig wachsender digitaler Friedhof. Kazim löscht die Toten nicht.
– Hasnain Kazim: Plötzlich Pakistan. Mein Leben im gefährlichsten Land der Welt. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2015. 280 Seiten, 14,90 Euro. E-Book 12,99 Euro.
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