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Kultur: Verkehrte Spießerwelt

Skurriler Proll: Das Neue Globe Theater inszeniert die Tragikomödie „Indien“ im T-Werk

Es gibt einige Dinge, über die eher nicht gesprochen wird. Zum Beispiel, dass es schwerfallen kann zu kacken, wenn jemand vor der Klotür steht. Oder dass das mit der Erektion nicht mehr so klappen möchte. Oder eben auch über die Art und Weise, wie das eigene Leben enden soll. Heinz Bösel und Kurt Fellner, die Protagonisten aus „Indien“, der neuesten Produktion des Neuen Globe Theaters, das am Donnerstagabend im T-Werk Premiere feierte, tun es trotzdem – also über Dinge sprechen, die sonst eher verschwiegen werden. Zumindest irgendwann. Erst einmal können sie sich nämlich nicht wirklich leiden. Trotzdem müssen sie gemeinsam für das Fremdenverkehrsamt durch Brandenburg tuckeln und Restaurants testen. Kurt Fellner (Sebastian Bischoff) kontrolliert Sicherheit und Hygiene, während Heinz Bösel (Andreas Erfurth) sich durch die Schnitzel probiert. Irgendwo dazwischen werden sie Freunde. Bis schließlich einer von ihnen einen ganz anderen Weg einschlägt, auf dem ihn der andere nicht begleiten kann.

„Indien“ wurde von Josef Hader und Alfred Dorfer als Theaterstück geschrieben, beide spielen auch in der gleichnamigen Verfilmung aus dem Jahr 1993 die Hauptrollen. Regisseur Kai Fredric Schrickel vom Neuen Globe Theater hat die tiefschwarze Komödie nun aus der österreichischen in die brandenburgische Provinz geholt. Schrickel inszeniert dabei ein bitterböses Kammerspiel mit der für das Neue Globe Theater typischen Prise skurrilen Humors.

Sebastian Bischoff und Andreas Erfurth dabei zuzusehen, wie sie sich verbale Duelle liefern, ist eine große Freude. Bischoff verkörpert den Klugscheißer Kurt Fellner, der seiner Freundin Haushaltsgeräte zu Weihnachten schenkt, als herrlich spießigen Beamten. Immer schwingt bei ihm ein leichter Hauch von Aufbegehren mit, den er aber nicht ausleben kann. Seine Anständigkeit ist zu tief verwurzelt. Erfurth hingegen suhlt sich geradezu in der Prolligkeit von Heinz Bösel, der gerne mal ein Bier zu viel trinkt und sich über seine Frau auslässt.

Sympathisch ist da zunächst weder der eine noch der andere, sollen sie auch nicht sein und sind gerade in ihrer klischeehaften Rohheit unglaublich komisch. Das bleiben sie auch, wenn sich nach und nach die Fassade abbaut und die Männer ihre schwachen Seiten zeigen. Gerade Erfurth schafft es dabei, den Kampf seines Charakters zwischen hart-machomäßig und einsam-liebebedürftig in seiner gesamten Körperhaltung widerzuspiegeln. Alles an ihm wird dann weicher, verletzlicher, die Gesichtszüge bekommen fast etwas Jungenhaftes. Zum Ende hin lässt Erfurth sich ganz in diese Weichheit sinken, wird sein eigener Gegensatz. Bei Bischoff geschieht die Verwandlung zum selbstsicheren Kerl hingegen zunächst nur halb. Wie er dabei immer wieder fast über seine eigene Courage stolpert, ist hinreißend. Erst am Schluss, als er sich mit seinem eigenen Ende auseinandersetzen muss, darf schließlich alle Unsicherheit weichen – die Rollen haben sich umgekehrt.

Ein besonderer Clou von Schrickels Inszenierung ist der Einsatz von Musik. Genauer gesagt die wiederholten Auftritte von Darsteller Saro Emirze, der nicht nur verschiedene Gastwirte und -wirtinnen mimt, sondern auch das Kunststück vollbringt, Songs wie Udo Jürgens‘ „Ich war noch niemals in New York“ über Rainald Grebes „Brandenburg“ bis hin zum Bollywood-Hit „Salaam-E-Ishq“ überzeugend zu performen. Er verdeutlicht einmal mehr, worum es in „Indien“ eigentlich geht: Nämlich um unerfüllte Träume, große Gefühle und eben alles Unaussprechliche. Sarah Kugler

„Indien“ am heutigen Samstag und morgigen Sonntag jeweils um 20 Uhr im T-Werk und zu den Schirrhofnächten ab 23. August

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