Wismut AG: Uran für Stalin
Bombengeschäft auf Kosten hunderter Arbeiter: Eine Geschichte der Wismut AG.
Nein, es war nicht der berüchtigte Bergmann-Schnaps „Kumpeltod“, der die meisten Opfer unter den Bergleuten der DDR forderte. Es war Uran, das von der „ Sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft“ (SDAG) Wismut in Sachsen und Thüringen gefördert wurde – „Uran für Moskau“, wie der Wirtschaftswissenschaftler Rainer Karlsch seine „populäre Geschichte“ der Wismut auf den Begriff bringt. Er schätzt, dass insgesamt 231 000 Tonnen Uranerz von 1946 bis 1990 gefördert wurden. Stillgelegt wurde der Uranbergbau in der DDR übrigens nicht seiner Gefahren wegen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen, weil die Produktionskosten über dem internationalen Durchschnitt lagen und weder die Sowjetunion noch die DDR zu weiterer Subventionierung bereit waren. Auch nicht die Bundesrepublik, der immer noch geschätzte Sanierungslasten von 13 Milliarden Euro verblieben. Die Erfolge dieser Sanierung sind auf der Bundesgartenschau 2007 zu besichtigen.
Viele Bergleute haben sich in den Diensten der Wismut den Tod durch Lungenkrebs oder Silikose geholt. Die als „vertrauliche Verschlusssache“ deklarierten DDR-Statistiken über Berufskrankheiten sprechen eine so deutliche Sprache, dass die Grenzwerte der Strahlenbelastung, die zur Anerkennung solcher Spätfolgen als Berufskrankheit führten, wiederholt revidiert werden mussten. Warum sie 1974 noch einmal wider besseres Wissen angehoben wurden, ist ungeklärt. „Bis heute“, schreibt Karlsch, „wird über die Hintergründe und die Verantwortlichkeit für diese, für viele Bergleute verhängnisvolle, Entscheidung gestritten.“ Erst Ende der 80er Jahre seien den Verantwortlichen – wohl in der Folge von Tschernobyl – neue Zweifel gekommen. Da hatte sich die DDR bereits von Ulbrichts ehrgeizigen Plänen für einen „Schnellen Brüter“ verabschiedet, dessen Technik auch die Sowjets noch nicht beherrschten.
Dabei war das Strahlenrisiko bekannt. Hatte man im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar eine Heilwirkung der radioaktiven Strahlung angenommen und Radiumbäder, radioaktive Seife und selbst Zahnpasta („Doramad“) propagiert, so war andererseits seit Jahrhunderten die sogenannte „Bergsucht“ oder „Schneeberger Krankheit“ bekannt, an der viele Bergleute im Wismutrevier vor dem 40. Lebensjahr unter Husten und Atemnot gestorben waren. Seit dem systematischen Abbau von Uranerz, Pechblende, Radium, Uran und Wismut häuften sich die Fälle von Lungenkrebs. 1922 veranlassten die sächsischen Gesundheitsbehörden erste Reihenuntersuchungen, die zur Anerkennung der „Schneeberger Krankheit“ als Berufskrankheit führten.
Aus dieser Erkenntnis erwuchs der Vorschlag des NS-Mediziners Dr. Brandt, der als „endgültige Lösung“ des Problems vorschlug, im Uranbergbau „in Zukunft keine vollwertigen deutschen Arbeiter“ mehr zu beschäftigen und ihn „mit bestimmten ausländischen Arbeitskräften oder auch mit Strafgefangenen durchzuführen. Begründung: Es ist nicht zu verantworten, dass wertvolle Volksgenossen eine Arbeit leisten müssen, die bei längerer Verrichtung mit einer gewissen Sicherheit zum frühzeitigen Tod durch Lungenkrebs führt“. Man zögert, denselben Zynismus den Sowjets zu unterstellen, für die die deutschen Bergleute „ausländische Arbeitskräfte“ darstellten. Mit ihren Landsleuten sind Stalins Nachfolger bekanntlich nicht weniger rücksichtslos verfahren, und der Uranbergbau in der Sowjetzone und späteren DDR wurde nicht zur eigenen Schonung betrieben, sondern wegen Uranmangels in der Sowjetunion. Ein Gulag, schränkt Karlsch ein, sei aus der Wismut aber nie geworden, anders als in Bulgarien, wo Strafgefangene im Uranbergbau eingesetzt wurden. Die Kumpels der Wismut versuchten die Sowjets mit „Stalinpaketen“, Sonderzulagen und Kulturprogrammen zu gewinnen. Für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen bedurfte es allerdings erst eines Hilferufs des FDGB an sowjetische Gewerkschaften.
Die strategische Bedeutung, die man der Wismut beimaß, zeigt ein Besuch des sowjetischen Außenministers Molotow 1954. Tatsächlich ist die erste Atombombe der UdSSR mit Uran aus der Wismut gebaut worden, die etwa 60 Prozent des Bedarfs der sowjetischen Atomindustrie lieferte. Karlsch erzählt die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wismut, die zeitweilig zum drittgrößten Uranproduzenten der Welt aufstieg, ohne Beschönigung der Schattenseiten, zu denen auch die Übervorteilung der DDR durch den sowjetischen Partner zählt. Wurde anfangs die Produktion als Reparationsleistung vereinnahmt, ohne überhaupt auf den Reparationsplan angerechnet zu werden, so wurde mit der Gründung der SDAG 1953 immerhin auf Reparationen verzichtet und die DDR am zehnprozentigen Bilanzgewinn beteiligt. Dennoch orientierte sich der Uranpreis für die Sowjetunion nicht am Weltmarktpreis, sondern an der Entwicklung der Produktionskosten, die durch Rationalisierung ständig gesenkt wurden.
In Fragen des Strahlenschutzes blieb die SDAG trotz kritischer Gutachten lax. Das 1962 gegründete Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) der DDR spielte die Gefahren regelmäßig so herunter, dass es „einem noch heute den Atem verschlägt“ (Karlsch). Der oberste Wirtschaftsplaner der DDR, Günther Mittag, untersagte 1974 sogar die öffentliche Herausgabe von Umweltberichten. Seitdem erhielten nur noch Erich Mielke und der Vorsitzende des Ministerrats, Willi Stoph, diese Berichte. Das Regiment in der Wismut führten ohnehin der sowjetische Geheimdienst, der den ersten Generaldirektor der Wismut stellte, und die Staatssicherheit der DDR, die für die Sicherheitsüberprüfung des Personals zuständig war.
Zuletzt war es – 1989/90 – die sowjetische Seite, die auf Zurückfahren der Produktion bestand und ab 1996 vollständig auf Uran aus der DDR verzichten wollte. Die Folgen wären zulasten des Staatshaushalts der DDR gegangen. Mit der deutschen Vereinigung und dem „Überleitungsabkommen“ mit der Sowjetunion vom 9.10.1990 gingen dann alle Lasten auf die Bundesrepublik über, die dafür die sowjetischen Geschäftsanteile erhielt. Ein Geschäft waren sie immer nur für die Sowjets gewesen.
– Rainer Karlsch:
Uran für Moskau. Die Wismut – Eine populäre Geschichte. Christoph Links Verlag, Berlin 2007. 280 Seiten,
14,90 Euro.
Hannes Schwenger
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