Brandenburg-Roman „Unterleuten“: Unter Kiefern
Vor lauter inhaltlichem Eifer ein bisschen zu krachig geraten: Tobias Wellemeyers Adaption des wichtigen Brandenburg-Romans „Unterleuten“ von Juli Zeh am Hans Otto Theater
Potsdam - Dieser Abend beginnt mit einem Déjà-vu. Kahle Baumstämme. Märkische Kiefer? Keine Blätter, keine Nadeln in Sicht, zunächst auch keine Menschen. Dafür Vogelgezwitscher und bedrohlich wallender Nebel. Ähnlich wallte er auch 2011 über die Bühne des Hans Otto Theaters, als Intendant Tobias Wellemeyer Uwe Tellkamps „Turm“ hier inszenierte. Die Bühnenfassung des epischen Gesellschaftsromans beschied Wellemeyer damals den ersten großen Publikumserfolg seiner Intendanz. Er blieb mehrere Spielzeiten hindurch Dauerantwort des Hauses auf die Frage: Theater, wie hältst du’s mit der DDR?
Jetzt neigt sich die Intendanz von Tobias Wellemeyer dem Ende zu, und mit Juli Zehs Roman „Unterleuten“ wuchtet er die brandenburgische Nachwende-Antwort auf den in Dresden angesiedelten „Turm“ auf die Bühne. Nicht nur das Ausstattungsteam ist das gleiche wie 2011 (Bühne Alexander Wolf, Kostüme Ines Burisch). Wieder ein Gesellschaftsroman, wieder ein Bestseller, wieder ein Großaufgebot des Ensembles. Bei Uwe Tellkamp ging die DDR ihrem Ende entgegen, im in der Gegenwart angesiedelten „Unterleuten“ ist sie längst untergegangen. Los ist man sie freilich noch nicht.
Am wenigsten Kron (Christoph Hohmann). Ein ideologischer Haudegen, LPG-Veteran, selbst ernanntes Sprachrohr der Wenigverdiener, der seinen Groll auf die vom Geld regierte Welt in markigen Sätzen herauspoltert. „Wir lassen uns nicht mehr verarschen!“ Das brüllt er, als der Mitarbeiter einer Windräder-Firma auf einer Gemeindeversammlung sein Projekt vorstellt: Ein „Windpark“ soll errichtet werden, im Dorf Unterleuten. Denen, die ihr Land dafür hergeben, winkt eine Stange Geld. Einerseits. Andererseits, und für diese Seite poltert Kron: Den Profiteuren „blasen die Propeller Kohle in die Taschen, während unsere Häuser das letzte bisschen Wert verlieren.“ Für Kron ein klarer Fall: „Enteignung!“ Als es darum geht, welches Stück Land infrage käme für das große Geld, stehen Gegner und Befürworter allesamt ganz weit vorne auf der Bühne – eine entblößende Szene. Interessenlos ist hier keiner.
Und keiner hat recht. Weder im Roman von Juli Zeh, noch in der Stückfassung von Ute Scharfenberg. Darin sind beide Texte klug. Auch der die Moralkeule schwingende Kron (er benutzt dafür seinen Krückstock) ist nicht nur aus Edelmut gegen den Windpark, sondern weil er mit dem, den er als Drahtzieher hinter der Idee wittert, eine offene Rechnung hat. Gombrowksi heißt der, eher sanftmütig als bedrohlich gespielt von Jon-Kaare Koppe. Typ leiser Wendegewinner. Schon seine Eltern waren Großgrundbesitzer, einer mit Sinn fürs Pekuniäre. Hat die LPG einst in eine GmbH umgewandelt und ist heute der größte Arbeitgeber, der reichste Mann im Ort. Alte Lieben, alte Vergehen, alten Groll: Alle Figuren schleppen Geschichten wie diese mit sich herum. Dinge, die jahrzehntelang zurückreichen und immer noch wehtun. Auch wenn inzwischen ein Staat draufging.
Im Roman ist dafür viel Platz, auf der Bühne muss zusammengefasst werden. Einige Charaktere sind gestrichen worden, es bleiben dennoch 18, plus eine Kinderdarstellerin. Monologische Für-sich-Momente handeln die persönlichen Hintergründe ab – die Karriere des zugezogenen Vogelschützers Fließ (Bernd Geiling), die Einsamkeit seiner jungen Frau Jule (Zora Klostermann), die größenwahnsinnigen Fantasien der knallharten Wild-West-Jungunternehmerin Linda (Katrin Hauptmann). Und vor allem die im Dunkeln liegenden Geschehnisse einer Nacht im Jahr 1991. Im Roman schleicht sich die Krimikomponente nebenher ein, hier ist sie treibende Kraft. Gesellschaftspanorama, Wirtschaftskrimi, Entführungsdrama, ein Toter vor 20 Jahren – „Unterleuten“ will all das, in weniger als drei Stunden. Vielleicht deshalb wirkt der ganze Abend, als müsse er sich beeilen. Als müsse er, damit alle auch alles mitbekommen, lieber zwei Deut zu grell sein als einen zu wenig.
Das geht zuallererst auf Kosten der Figurenzeichnung. Die ist, vorsichtig gesagt, überdeutlich. Christoph Hohmanns Kron hinkt quasimodohaft, Bernd Geilings Vogelschützer-Macho Fließ ist arg schmierig, Zora Klostermanns Stadtflüchterin Jule stöckelt in grünem Abendkleid über die Bühne und der Windrad-Firmen-Heini (René Schwittay) ist natürlich ein bräsiger Wessi. Für szenische Fantasie bleibt bei so viel erzählerischem Ehrgeiz kaum Luft. Wenn jemand einen Hund bellen hört, bellt ein Hund. Wenn es heißt, „Da scheint schon der Mond!“, scheint der Mond.
Nach der Pause kollabieren die im ersten Teil aufgefächerten Weltbilder – auch das, wie aus Angst, übersehen zu werden, arg deutlich. Großgrundbesitzer Gombrowksi wird von rote Fahnen schwenkenden Aktivisten der 1960er- Jahre umzingelt. Unter mächtigem Krachen ersteht jene Gewitternacht im Jahr 1991 wieder auf, in der ein Mann im Dorf ums Leben kann. Gerade in diesen poltrigen, auf Effekte gebürsteten Momenten im zweiten Teil aber schrumpft der Stoff bedenklich in Richtung Sonntagabendkrimi. Man weiß, hier soll das ewig Gegenwärtige der Vergangenheit gezeigt werden. Man möchte es gern glauben. Man fühlt sich doch nur geisterbahnmäßig durchgerüttelt.
Zum Glück findet der Abend kurz vor Schluss dann doch noch aus der Effektehudelei. Erst in die Ruhe eines feinsinnig gespielten Versöhnungsdialogs zwischen Bürgermeister Arne (Raphael Rubino) und Krons Tochter (Marianna Linden), die zu guter Letzt von den Windrädern profitieren und – vielleicht – sogar etwas draus machen wird, das mal nichts mit Rendite zu tun hat. Und am Ende erinnert Rita Feldmeier als ehemalige LPG-Buchhalterin Hilde in aller Stille daran, warum es sich auch sprachlich lohnt, diesen inhaltlich wichtigen Roman auf die Bühne zu heben.
Die Vorstellungen bis Ende Februar sind ausverkauft. Der Vorverkauf für März beginnt am 1. Februar
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