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"Q3ambientFest" in Potsdam: Ungeschliffen wie Beton

Heute beginnt das zweite Q3ambientFest in der fabrik. Drei Tage lang sollen hier alle, die ausgetretene Musikpfade verlassen wollen, auf ihre Kosten kommen. Das Grundprinzip: Offenheit.

Potsdam - Sieht aus wie Platte, ist auch eine, steht aber nicht in Marzahn oder Hellersdorf. Die Betonblöcke auf den Fotos, mit denen sich das diesjährige Q3ambientFest auf seiner Webseite präsentiert, findet man auf Sansibar. Den schwarz-weißen Bildern sieht man die Farbigkeit der fröhlich abgewohnten Häuser an, Balkons voller Zeug, daneben Palmen.

Das Bild von Diane Barbé verwirrt, aber transportiert auch einen gewissen Zauber. Und eine Geschichte: Die der Beziehungen zwischen der DDR und der Westafrikanischen Insel, weshalb die DDR-Platte eben auch dort gebaut wurde. Und bis heute steht. Eine Platte, wie sie auch Sebastian und Daniel Selke kennen, die beiden Musiker, die in einem Hellersdorfer Wohnblock groß wurden und aus dieser – nicht immer schlechten – Erfahrung Inspiration für ihre Musik beziehen. Ebenso für das Festival Q3ambient, das sie 2017 begründeten. Q3A steht für einen DDR-Plattenbautyp, Ambient für die Musik: Nichts weniger als das große Portfolio aus Neo-Klassik, Avantgarde und Experimental, so ungeschliffen wie Beton, so glatt und rein wie eine einfache Wand, ebenso offen und nicht festgelegt. Die Wand ist keine Grenze, sondern bietet Raum, Richtung und Echo.

Q3A steht für einen DDR-Plattenbautyp

Die Bilder von Diane Barbé legen nahe, dass die zweite Auflage verspielter wird als die Premiere 2017. Diese sei überraschend gut von der Szene aufgenommen worden, und das im eher Rock-affinen Potsdam, sagen die Veranstalter und Kuratoren erfreut. Deshalb werde nun von zwei auf drei Tage erweitert. Aber: „Wir haben uns etwas in Richtung Pop geöffnet“, sagt Daniel Selke, Pianist. Man könne nicht nur schräge Sachen spielen und anbieten. Das solle aber nicht bedeuten, dass das Festival weichgespült wird. „Es geht uns immer darum, Neues auszuprobieren“, sagt Sebastian Selke, Cellist. Genreübergreifend – wie Diane Barbé, die sich für Architektur und urbanes Design interessiert, Musik, Fotografie, Video und Sound miteinander verknüpft und auch beim Festival auftreten wird. „Wir wollen raus aus der Beschränkung“, sagt Sebastian Selke. „Fast alle unsere Gäste kommen aus der Klassik, sind dann aber nicht den geraden, direkten Weg mit ihrem und nur einem Instrument gegangen, sondern haben Neues probiert. Man muss manchmal einfach machen und sich selbst nicht zu ernst nehmen – dann kann Aufregendes passieren“.

So wie bei Marina Baranova. Die ausgezeichnete deutsch-ukrainische Pianistin, die das Festival am Freitag eröffnen wird, hat eine Klassikkarriere begonnen, interessiert sich aber auch für Elektro, Jazz, und was sie „grenzüberschreitend“ nennt, neue Musik, darunter auch schwierige Themen wie Musik, die sich mit der Aufarbeitung des Holocaust beschäftigt. Und sie komponiert. Die Zuhörer erwartet ein Hybrid aus Jazz, Pop und Barock.

Ein Klangkosmos, in dem man sich fallen lassen kann.

Auch die schwedischen Musiker Jakob Lindhagen and Sofia „Vargkvint“ Nystrand, ein Duo unter den 21 Interpreten, experimentieren. Sie benutzen dabei mehrere akustische Instrumente und kombinieren die Besetzung, es ist nicht festgelegt, wer was spielt. Am Piano können beide mal sitzen. Dazu kommt Akkordeon, Glockenspiel, singende Säge und eine Zitter. Vargkvint singt dazu, schwedische Verse, nordische Folklore. „Unsere Musik hat etwas Narratives. Und sie handelt viel von der Natur und den Stimmungen, von Wind, Nebel und Wasser“, sagt die Sängerin. Seit einigen Tagen schon sind sie in Potsdam und auch bei einem Kosmos-Konzert im Rechenzentrum aufgetreten. Potsdam sei schön, das viele Wasser gefällt ihnen. Wer weiß, vielleicht nehmen sie hier auch Ideen für ihr Konzert beim Festival mit. Jakob Lindhagen ist auch als Komponist für Filmmusik bekannt. Gerade wurde bei der Berlinale „Tweener“ mit seiner Musik gezeigt.

Beim Festival – die beiden treten am Sonntag auf – wird es auch ein gemeinsames Stück mit Sebastian und Daniel Selke geben. Die Brüder sind das Duo Ceeys, Cello und Keys. Ihre Musik hat etwas Schwebendes und dennoch auch Erdendes, etwas Beruhigendes, ein Klangkosmos, in dem man sich fallen lassen kann.

Querverbindungen und Überraschungen

Offenheit ist ein Grundprinzip des Festivals, von manchen Interpreten wissen selbst die Macher nicht genau, was sie erwartet. Gerade das sei aber auch das Spannende. Querverbindungen und Überraschungen gebe es überall. Am Montag zeigt sich beim Konzert der Schweden, dass die Geschichten überall lauern. Dass sogar ihre Zitter etwas mit den Plattenbauten, ob sie nun in Berlin, Potsdam oder Sansibar stehen, zu tun haben könnte. Die Zitter, die sie einst in einem Schulkeller in Schweden fanden, ist nämlich „Made in GDR“, hergestellt in der DDR, so offenbart es ein vergilbter Aufkleber. Sebastian Selke weiß, dass zu DDR-Zeiten schwedische Neubau-Architekten das Berliner Kaufhaus am Ostbahnhof entwarfen.

Ist es denkbar, dass einer der Männer eine Zitter zurück nach Schweden nahm? Die Zitter, die jetzt im alten Rechenzentrum Klänge webt für ein Stück Nordland-Folk? Denkbar ist alles, sagen die Schweden, die die Idee witzig finden. Es klingt wie ein Filmskript. Das wäre dann bei den Musikern und Filmmusikkomponisten gut aufgehoben.

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Das Q3ambientFest findet in der fabrik in der Schiffbauergasse statt. Beginn ist heute und Samstag 19 Uhr, Sonntag 16 Uhr. Der Eintritt für drei Tage kostet 17,60 Euro, für einen Tag 13,20 Euro. Aus dem Programm: Heute tritt unter anderem der Gitarrist Takeshi Nishimoto auf, der Jazz aus Europa, Amerika und Indien verbindet. Der Multiinstrumentalist Carlos Cipa aus München komponiert vor allem Stücke für Klavier. Am Samstag sollte man den italienischen Schlagzeuger Andrea Belfi nicht verpassen, der für seine elektro-akustischen Performances bekannt ist. Anschließend treten Ceeys mit ihrem Cello- und Piano-Hybrid auf. Hörenswert am Sonntag sind Masayoshi Fujita, Vibraphonist mit Wurzeln in Japan, und Jakob Lindhagen & Vargkvint.

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