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Kultur: Und wen greifen wir jetzt an?

Stephen Kinzer erzählt die Geschichte US-amerikanischer Invasionen, Putsche und Regimewechsel

Stephen Kinzers Buch ist der eindrucksvolle Beleg dafür, dass George W. Bush nicht der erste Westentaschenstratege der USA war. Kinzer blickt auf 100 Jahre amerikanischer „Regimewechsel“ zurück, von der Entmachtung der hawaiianischen Königin Liliuokalani über den Operetteneinmarsch nach Grenada bis zum Irakkrieg, und kann durchaus plausibel belegen, dass in fast allen von ihm ausgewählten Fällen von Staatsstreichen, Revolutionen und Invasionen der Sturz der Regierung „sowohl dem Land als auch den Vereinigten Staaten selbst Schaden zugefügt“ hat. Und es noch immer tut: Wie wäre die Beziehung der USA zum Iran heute, könnte man zum Beispiel fragen, wenn die Amerikaner nicht 1953 mit der „Operation Ajax“ den iranischen Premier Mohammad Mossadegh abgesetzt und den Schah installiert hätten? Wenn sie nicht die islamistischen Krieger in Afghanistan und Pakistan im Kampf gegen die Sowjetunion aufgerüstet hätten?

Die USA werden hier vorgeführt als eine Großmacht, die, überzeugt von ihrer eigenen Tugendhaftigkeit „so häufig und an von den eigenen Küsten so weit entfernten Orten“ wie keine andere Nation für den Sturz fremder Staatsoberhäupter gesorgt hat. Immer wieder beschreibt Kinzer, der lange aus dem Ausland, unter anderem auch aus Deutschland, für die „New York Times“ berichtet hat, mit spürbarer Abneigung den Einfluss multinationaler Konzerne auf die interventionalistische Außenpolitik der USA, die Hintergründe, die Überheblichkeit und die Rücksichtslosigkeit amerikanischen imperialen Handelns.

Das mag für den durchschnittlichen deutschen Leser, der diesen Verdacht ohnehin seit vielen Jahren hegt, nicht besonders überraschend sein, ist aber in Kinzers romanhafter Nacherzählung bei aller politischer Tragik äußerst spannend.

Dabei lässt Kinzer die Invasionen jedoch so wahllos aufeinander folgen, dass in ihrer Folge der analytische Zusammenhang kaum über den Begriff „Regimewechsel“ hinausreicht. Die theoretisch wenig griffige Klammer für diese Politik bildet der idealistisch-naive „amerikanische Charakter“, von dem Kinzer spricht. Doch gerade der Irakkrieg zeigt, wie komplex der sein kann: Bushs Koalition der Willigen verband in geradezu revolutionärer Weise die traditionelle interventionalistische Rechte mit einer humanitären Linken, Paul Wolfowitz mit Christopher Hitchens. Und so diskreditiert die imperialistischen Regimewechsler durch den Irakkrieg sein mögen, so unbeantwortet bleibt auch vier Jahre nach Kriegsbeginn die grundsätzliche Frage, ob und wann ein militärisches Eingreifen aus humanitären Gründen geboten sein kann.

Kinzers Antwort darauf ist widersprüchlich. Einerseits, schreibt er, mache die moderne Geschichte „auf hervorragende Weise klar, dass repressive und bedrohliche Regime, denen man mit einer Mischung aus Anreizen, Drohungen, Bestrafungen und Belohnungen begegnet, langsam an Bedrohlichkeit einbüßen“. Militärisches Eingreifen, mit anderen Worten, ist nie richtig. Gleichzeitig räumt er aber ein, dass die bessere Alternative im Umgang mit Afghanistan darin bestanden hätte, „das Land vollständig zu besetzen und für mindestens ein paar Jahre große Truppenkontingente dort zu stationieren“. Der Ehrgeiz, mit anderen Worten, das Land nach amerikanischen Vorstellungen umzubauen, war schlicht nicht groß genug. Und an anderer Stelle kritisiert er, dass die Vereinigten Staaten wenig oder nichts getan haben, „um in den Ländern, deren Regierungen sie absetzten, die Demokratie zu befördern“.

Auch im Fall Irak ist es heute ein Leichtes zu sagen, dass der Krieg, so wie er inszeniert und geführt wurde, ein dramatischer Fehler war. Doch den Mut zu schreiben, dass es besser wäre, wenn Saddam Hussein heute weiterhin an der Macht wäre und damit in der Position, sein Volk zu misshandeln, hat Kinzer dann doch nicht. Manchmal ist man eben auch im Rückblick nicht klüger.

Das Buch, betont Kinzer in seiner Einleitung, beschäftigt sich nur mit Fällen, „in denen die Amerikaner eine entscheidende Rolle beim Sturz eines Regimes spielten“. Aber selbst wenn er meint, dass die Rolle der Amerikaner beim Regimewechsel in Deutschland 1945 nicht entscheidend war, so macht die Entmachtung Hitlers deutlich, dass eine apodiktische Absage an Militärinterventionen kaum eine Lösung wäre. Das haben selbst die Grünen erkannt, als es um den Regimewechsel auf dem Balkan ging, der (wie auch der Vietnamkrieg) in „Putsch!“ nicht vorkommt. Kinzer beschäftigt sich nicht mit den Grenzen von Außenpolitik, nicht damit, ob eine militärische Großmacht sich nicht vielleicht zwangsläufig militärisch engagieren muss, um ihren Einfluss nicht zu verlieren, und auch nicht mit dem moralisch-militärischen Dilemma, das Fälle wie das zerfallende Jugoslawien so grundsätzlich anders erscheinen lässt als den Fall des panamaischen Drogendealers Noriega.

Kinzer löst deshalb auch das Versprechen der Einleitung, nämlich „Lehren für die Zukunft“ zu ziehen, nicht ein. Ist die Regimewechsel-Ära durch den Irakkrieg an ihr Ende gelangt? Oder sind die Amerikaner weiterhin davon überzeugt, dass sie „das Recht und sogar die Pflicht haben, Regime abzusetzen, die sie für böse halten“? Wenn das, wie Kinzer behauptet, nicht neu ist, sondern „zu den ältesten und zähesten der für die Vereinigten Staaten charakteristischen Überzeugungen“ zählt, dann dürfte sich die Außenpolitik der USA so bald nicht ändern.

Ohne den Putsch der USA auf Hawaii 1893 dürfte der Hawaiianer Barack Obama heute gar nicht bei den Präsidentschaftswahlen antreten. Nach seiner Außenpolitik befragt, sagte der Sieger der demokratischen Vorwahl in Iowa: „In der amerikanischen Geschichte gab es immer Momente, die von uns verlangten, dass wir uns den Herausforderungen einer unsicheren Welt stellen und den Preis zahlen, der nötig ist, um unsere Freiheit zu sichern.“ Wie „Ich würde niemals ein fremdes Land angreifen“ klingt das nicht gerade.





– Stephen Kinzer:

Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 564 Seiten,

32 Euro.

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