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Sie sucht nach einer neuen gesellschaftlichen Utopie: Dota Kehr. Am 17. und 25. Februar singt die Berlinerin in Potsdam.
© promo

ZUR PERSON: Über Ängste und Traumgestalten

Dota Kehr, die Kleingeldprinzessin, nach einer Konzertabsage nun doch in Potsdam: bei Fuck off Fritz „Es gibt auch Liebeslieder. Es wird nicht nur traurig. Aber überwiegend.“ „Ich glaube, dass der Kapitalismus überwunden werden muss.“

Frau Kehr, was haben Sie gegen den Alten Fritz?

Er hat einen Angriffskrieg geführt.

Das war Ihnen doch sicher bewusst, bevor Sie kurzfristig Ihre Teilnahme an der Jubiläumsveranstaltung zu seinem 300. Geburtstag im Nikolaisaal abgesagt haben.

Natürlich, aber als die Anfrage kam, dachte ich, es sollte eine Veranstaltung als Art Gegenentwurf zur Staatskunst werden. Das war mir so angekündigt worden.

Sie wussten aber schon, dass die Veranstaltung im Nikolaisaal stattfindet?

Davon war in der ersten Mail noch nicht die Rede, und dann ist mein Auftritt bereits in der Presse bekanntgegeben worden.

Wenn man in so einer Veranstaltung auftritt, kann man sich doch auch kritisch äußern.

Ich habe mich lange mit dem Veranstalter darüber unterhalten. Das, was ich an dem Abend sage, kriegen nur die Zuschauer mit. Die anderen lesen, dass ich dabei war und mein Name wird mit etwas in Verbindung gebracht, wofür ich nicht stehen möchte.

Aber Friedrich II. trat auch für Toleranz ein.

Mag sein, die kann man ihm vielleicht zugute halten, aber die hatte auch wirtschaftliche Interessen. Und er war Antisemit– sicher, in der damaligen Zeit durchaus üblich.

Wen würden Sie denn ehren wollen?

Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Rosa Luxemburg. Es gibt zahlreiche Leute. Aber ich bin geschichtlich nicht so beschlagen. Mein Freund ist der Historiker.

Sie nennen sich Kleingeldprinzessin, wollen Sie dem Großkapital den Kampf ansagen?

Sofern das in unserer Zeit überhaupt möglich ist. Ich glaube, dass der Kapitalismus überwunden werden muss. Denn zum Kapitalismus gehört der Krieg dazu. Er verträgt sich nicht mit einer gerechten Gesellschaft.

Aber der Sozialismus hat auch nicht funktioniert. Wo soll es dann hingehen?

Bin ich da wirklich die Richtige, die man das fragen kann? Ich finde es wichtig, nach der Utopie einer gerechten UND freien Gesellschaft zu streben. Ansätze, wie kleinere Verwaltungsstrukturen und Regionalwährungen könnten vielleicht mehr Gerechtigkeit bringen.

Spüren Sie auf Ihren Konzerten Politikverdrossenheit?

Das kann man nicht so pauschal sagen. Zu meinen Konzerten kommen relativ viele junge Leute und ich erlebe, wie sie sich mit Feuer und Flamme für vielerlei politische Dinge engagieren, wie für Flüchtlings- und Umweltprojekte.

Ist denn ein Bedarf da, an diese kleine Form der Unterhaltung, wenn Sie auch mal ohne Band mit Gitarre und deutschen Texten vors Publikum treten?

Wenn man viel fern schaut, sieht man natürlich die Megashows. Das ist artifiziell und hat nichts Persönlich-Direktes. Es gibt aber durchaus auch ein großes Interesse an kleinen Konzerten, wo man Texten zuhören kann.

Sie schreiben alle Texte selbst. Welche Themen treiben Sie zurzeit um?

Die Flüchtlingspolitik. Europa macht seine Grenzen so dicht, dass kaum noch einer rein kommt.

In einem Ihrer alten Lieder über den Fluch vom Schlaraffenland singen Sie auch schon anprangernd „Schotten dicht machen, abschieben, ausweisen, um uns sicher zu fühlen“.

Ja das war 2005. Das Thema begleitet mich bereits länger.

Sie treten nach langer Potsdam-Abstinenz morgen in der relativ kleinen Bar „Rückholz“ auf, wo gerade mal 60 Leute Platz finden.

Ja, aber dann kommt am 25. Februar auf Einladung der Antifa-Leute gleich mein zweites Konzert im Spartacus. Die antipreußische Gala „Fuck off Fritz“ ist die Gegenveranstaltung zum Friedrich-Jahr, für die ich mein abgesagtes Konzert ursprünglich gehalten habe.

Und worüber werden Sie singen?

Über Ängste und Traumgestalten.

Das hört sich nicht nach ausgelassener Party an.

Es gibt auch Liebeslieder. Es wird nicht nur traurig. Aber überwiegend. Ich sage immer, ich habe zwei Arten von Lieder: traurige und beängstigende. Ich nehme meinen eigenen Pessimismus allerdings auch auf die Schippe.

Haben Sie manchmal Angst, dass Ihnen kein neues Lied einfällt?

Lustigerweise habe ich das lange Zeit nach jedem Lied gedacht. Inzwischen bin ich etwas entspannter. Einfälle hat man immer, aber bis es ein Lied wird, ist viel Arbeit nötig. Inzwischen sind es immerhin über 80 geworden.

Und wann war das erste?

2002, noch während meines Medizinstudiums.

Haben Sie als Ärztin gearbeitet?

Nein, ich habe nie praktiziert. Es klappt ganz gut, von der Musik zu leben. Und ich muss nicht 14 Stunden im Krankenhaus stehen, in einem System voll von gesundheitspolitischen Ärgernissen.

Wofür steht die Kleingeldprinzessin?

Das ist ein Name, den ich mir zugelegt habe, als ich noch Straßenmusikantin war. Als ich 2004 damit aufgehört habe, blieb er an mir kleben. Ich wolle ihn eigentlich ablegen, weil er ein bisschen nach Kindertheater klingt. Auf unseren CDs steht jedenfalls „Dota und die Stadtpiraten“.

Haben Sie etwas mit der Piratenpartei zu tun?

Nein, den Namen hatten wir schon vor der Partei. Ich habe eine geteilte Meinung zu den „Piraten“, vor allem was die Unterpräsenz der Frauen betrifft. Einige Ideen finde ich aber auch gut. Zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen, die soziale Teilhabe für alle. Und das Wahlkampfthema in Berlin war auch überzeugend: Die Piraten sprachen sich für einen Verzicht des Ausbaus der Stadtautobahn aus und wollten das Geld lieber in einen kostenlosen Nahverkehr stecken.

Seit wann interessieren Sie sich für Politik?

Ich empfinde mich eigentlich gar nicht so politisch. Ich möchte informiert sein und in dem möglichen Rahmen mitgestalten. Und wenn ich auf die Bühne trete, will ich Dinge ansprechen, die uns alle angehen. In unterhaltsamer Form. Ohne jede Parole.

Sind Sie ostgeschädigt?

Nein, aber fast überall, wo wir in Deutschland auftreten, glauben die Zuschauer, dass ich aus dem Osten komme.

Sie haben sich auch eine Liedzeile von einem „Ossi“ geborgt.

Ja, von dem Liedermacher Gerhard Schöne: „In deinen vier Wänden ein bergendes Zelt, mit dem Fenster zum Himmel, und der Türe zur Welt.“ Er hat es mir erlaubt.

Das Interview führte Heidi Jäger.

Dota Kehr tritt am 17. Februar um 20 Uhr in der Bar „Rückholz“, Sellostraße 28, auf, Eintritt ist frei. Am 25. Februar singt sie im „Spartacus“, Friedrich-Ebert-Straße 22 bei „Fuck off Fritz“

Dorothea „Dota“ Kehr, geboren 1979, ist Sängerin der Berliner Band „Dota und die Stadtpiraten“, Liedermacherin und Musikproduzentin.

Sie spielte zunächst Saxophon und begann mit 14 Jahren, auf Jahrmärkten aufzutreten. Erst im Alter von 21 Jahren lernte sie, Gitarre zu spielen. Sie war Straßenmusikantin und nannte sich „Die Kleingeldprinzessin“.

So hieß auch ihr erstes Album, das 2003 erschien. 2010 veröffentlichten sie das Album „Bis auf den Grund“ und 2011 erschien die CD „Dota - Solo Live“.

Dota Kehr, die 2010 ihr Studium der Medizin abschloss, lebt in Berlin.

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