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© Sarah Sarchin

John Wray, Schriftsteller: Taxifahren in Alaska, Verrücktsein in New York

Seinen neuen Roman „Der Retter der Welt“ hat er in der U-Bahn geschrieben. Was dabei herauskam, ist großartig. Eine Begegnung mit dem amerikanisch-österreichischen Schriftsteller John Wray.

John Wray wirkt sehr jugendlich, wie er da so beschwingt aus dem Fahrstuhl eines Hamburger Hotels tritt. Blauer Rollkragenpullover, enge orange-beige Hose, dunkle Turnschuhe, ein freundliches Lächeln, ein kräftiger Händedruck – so begrüßt er sein Gegenüber. Und so wird er gleich auch von seiner deutschen Verlagsvertreterin darauf hingewiesen, dass sie eine englische Ausgabe seines neuen Romans „Der Retter der Welt“ aufgetrieben habe. Denn Wray soll in zwei Stunden auf dem Hamburger Literaturfestival lesen, hat aber weder eine Originalausgabe noch eine Übersetzung im Gepäck. „Ich habe alles dabei“, entschuldigt er sich in gutem Deutsch mit österreichisch-amerikanischem Einschlag, „selbst ein Handy, das mir meine österreichische Großmutter ausgeliehen hat – nur an eines meiner Bücher habe ich gar nicht gedacht.“

John Wray ist das Kind eines Amerikaners und einer Österreicherin. 1971 in Washington D. C. geboren, wuchs er unter anderem in einem kleinen Ort in Kärnten auf. Noch heute verbringt er dort regelmäßig zwei Monate im Jahr, wiewohl er New York inzwischen seine Heimat nennt. Hier schrieb er unter schwierigen Umständen, die dem Klischee des armen, von seiner Mission aber überzeugten Schriftstellers nur zu gut entsprechen, sein 2002 veröffentlichtes Debüt „Die rechte Hand des Schlafes“. Ungewöhnlich für einen jungen Autor war, dass Wray sich eines historischen Stoffs angenommen hatte – der Roman beginnt 1917, schildert die Odyssee eines jungen Mannes durch Osteuropa und ist dann im nationalsozialistischen Österreich angesiedelt. Wray wusste das alles überdies gekonnt aufzubereiten: mit Perspektivwechseln, glänzenden Naturbeschreibungen, stimmigen Dialogen.

Ungewöhnlich aber war auch, dass Wray den Roman in einem Brooklyner Kellerloch geschrieben hatte – ohne Fenster, Heizung, Dusche. „Der Keller war ein Probenraum für Musiker. Darin hatte ich ein Zelt aufgeschlagen.“ Wray bestreitet, diesen Ort bewusst als karge Schreibklause gewählt zu haben: „Ich hatte gerade einen Job verloren, wollte in New York bleiben und musste zusehen, wo ich billig unterkomme. Das ist alles.“

Blickt man auf die Stationen von Wrays Lebens, stößt man auf viele Merkwürdigkeiten. Nachdem er statt wie von seinen als Onkologen tätigen Eltern gern gesehen, nicht Medizin, sondern Anglistik studiert hatte, arbeitete Wray als Taxifahrer in Alaska, bestieg Berge in Ecuador und Chile und spielte jahrelang in einer Band in New York. Für Lesungen aus seinem zweiten, bislang nicht übersetzten Roman „Canaan’s Tongue“ schipperte er auf einem Floss den Missisippi herunter – im Mittelpunkt stehen Sklavenhändler auf dem Missisippi zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs.

Sein jüngstes Werk „Der Retter der Welt“ hat Wray größtenteils in der New Yorker U-Bahn geschrieben. Held des Romans ist ein 16-Jähriger, der an paranoider Schizophrenie erkrankt ist, gerade eine Klinik verlassen hat und sich nun mit der Subway durch die Stadt bewegt – verfolgt von möglicherweise nur von ihm halluzinierten Personen; tatsächlich verfolgt von seiner Mutter und einem Polizeidetektiv. „Das Schreiben dort hatte praktische und romantische Gründe“, so Wray. „Ich wollte die Umgebung, die Bedingungen, denen mein Held ausgesetzt ist, kennenlernen. Und ich liebe es, unterwegs zu sein, während ich arbeite.“

Auf die Idee, einen Schizophrenen zum Helden zu machen, in eine Welt zwischen Wahn und (literarischer) Wirklichkeit zu tauchen, sei er durch Shirley Hazzard gekommen, eine befreundete Schriftstellerin, die ihm von einem schizophrenen Jungen in Sydney erzählt hatte, der von der Polizei verfolgt worden sei: „Ich begann die Geschichte auszuarbeiten, mich mit der Krankheit zu beschäftigen, die schlimm, aber faszinierend ist, und ich merkte irgendwann, dass ich mich in meine Hauptfigur immer besser hineinfühlen konnte.“ Entstanden ist ein großartiger Roman, den man als Psychogramm eines Kranken, mit all den von ihm ersonnenen Codes und Mustern, lesen kann – aber auch als Thriller. Und nicht zuletzt als Roman über New York mit seiner Hektik, seiner Bodenlosigkeit, seinen Randzonen. Und John Wray, der gerade an einem großen, ein Jahrhundert umspannenden, in der Tschechei, Österreich und Manhattan spielenden Roman sitzt, hat einmal mehr demonstriert, dass er an fremden Stoffen interessiert ist – nicht an der seiner Biografie. Für ihn, so sagt er, sei es ein Privileg, Schriftsteller zu sein. Und er bestätigt, es am liebsten mit einem Satz seines irischen Kollegen Colum McCann zu halten: „Das Schöne am Schreiben ist, dass man sich in einen Körper, in eine Landschaft, ja sogar in eine Kultur hineinbegeben kann, die nicht die eigenen sind.“

John Wray: Der Retter der Welt. Roman. Übersetzt von Peter Knecht. Rowohlt, Reinbek 2009. 304 S., 19, 90 €. Wray liest heute um 21 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.

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