Zurückgetretene Oberbürgermeisterin von Kiel: Susanne Gaschke und ihr „volles Risiko“
Susanne Gaschke hat ein Buch über ihre Zeit als Kieler Oberbürgermeisterin geschrieben. Es ist eine Abrechnung, vor allem mit den dortigen SPD-Größen Torsten Albig und Ralf Stegner. Aber es fehlen harte Beweise.
Susanne Gaschke war Politik-Journalistin bei der „Zeit“, streitbar, wortgewandt, um eine Meinung nicht verlegen. Dann wurde sie 2012 Kieler Oberbürgermeisterin. Als „politische Bürgerin“, nicht als „Polit-Apparatschik“, wie sie in ihrem Buch „Volles Risiko“ schreibt. Bis sie nach elf Monaten über den Umgang mit einem von ihr unterzeichneten Steuererlass für einen Klinikbetreiber stürzte.
Schreiben kann sie – das sagt selbst einer ihrer schärfsten Gegner über sie. Das habe sie als Volontärin bei den „Kieler Nachrichten“ und später bei der „Zeit“ bewiesen. Ansonsten fehle es ihr an „Problemlösungskompetenz“. Das meint Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig-Holstein. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten in diesem Fall, dass ausgerechnet Stegner eine Rezension zu Gaschkes Buch verfasst hat, erschienen am gestrigen Dienstag in der „FAZ“. Unter der Überschrift „Stegner“ schreibt Gaschke: „Ich mag ihn nicht. Und ich wäre nicht überrascht, wenn er mich auch nicht mag.“ Und Stegner wertet das Buch als „Lehre über Selbstgerechtigkeit und Larmoyanz und das Scheitern an Hybris“.
Die Verletzungen sitzen tief in Kiel, und womöglich auch darüber hinaus in der SPD. Gaschke ist mittlerweile nach Berlin gezogen, in eine Charlottenburger Altbauwohnung, zusammen mit ihrem Mann, dem SPD-Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Bartels. Sie will als freie Publizistin arbeiten. In der Landes-SPD hätten manche die „Clintons an der Förde“ (Gaschkes Selbstbeschreibung) für zu mächtig befunden. Das ist ihre Grundannahme in „Volles Risiko“: Dass sie im Land der notorischen Politaffären als „Quereinsteigerin“ nie eine Chance gehabt habe. Neben Stegner macht sie dafür ihren OB-Vorgänger Torsten Albig verantwortlich, den jetzigen Ministerpräsidenten.
Dann hält Gaschke ihre berühmte „Tränenrede
Launig schildert Gaschke ihre ersten Amtsmonate, die „Flucht düsterer Sitzungszimmer“, durch die beständig Vorlagen und Beschlüsse treiben würden. Gaschke fühlt sich wie in dem Film „Plötzlich Prinzessin“, doch mit der Zeit scheint der Rollenwechsel zu gelingen. Bis zu jenem 21. Juni 2013, ihrem „Schicksalstag“, wie sie schreibt. Da unterzeichnet die Nicht-Juristin auf Rat ihrer Verwaltung hin einen Vergleich mit einem Steuerschuldner. Mit Zinsen waren fast acht Millionen Euro aufgelaufen. Die Forderung war seit Jahren gerichtsfest, doch Albig hatte die Eintreibung ausgesetzt, um einen Vergleich aushandeln zu lassen – möglicherweise weil andernfalls die Insolvenz der Klinik gedroht hätte. Vier Millionen sollte die Stadt nun bekommen. „In diesem Fall war ich eigentlich sicher, das Richtige zu tun“, schreibt Gaschke. Mit dem Fall befasst hatte sie sich zuvor nie. Sie unterzeichnet eine „Eilentscheidung“, ohne Beschluss des Stadtparlaments. Man müsse den Sack „zügig zumachen“, habe der Kämmerer ihr gesagt.
Einen Monat später hält Gaschke ihre berühmte „Tränenrede“ im Kieler Rat. Der Erlass ist womöglich nicht rechtmäßig, die CDU zieht ihre Qualifikation in Zweifel. Gaschke wird grundsätzlich: Mit brüchiger Stimme sagt sie, dass sie als Kind beim Vater eines CDU-Ratsherrn auf dem Schoß gesessen habe, klagt: „Es ist ein zerstörerisches Spiel, es soll Menschen zerstören.“ Im Rückblick schreibt sie: „Ich glaube, diese Rede wäre einigermaßen in Ordnung gewesen, starker Tobak, aber in Ordnung, wenn mir beim Reden nicht die Stimme gekippt wäre.“
Kam es zu Machtmissbrauch?
Gaschke hält sich zugute, nichts auf ihre Mitarbeiter geschoben habe. Doch die alleinige Verantwortung für den eher handwerklichen Fehler übernimmt sie nicht. Im Gegenteil. In einem Brief an die Kommunalaufsicht weist sie auf die Rolle Albigs in dem Fall hin und leitet dies auch an die Presse weiter. Dieses Muster wiederholt sich dutzendfach in dem Buch. Gaschke verwendet viel Energie darauf, eine Mitverantwortung Albigs herauszuarbeiten. Auch wenn man bis dahin Sympathien für ihre Schilderungen des Kieler Politalltags aufgebracht hat: Besser macht es die Sache nicht. Albig sagt, er hätte nicht am Rat vorbei entschieden.
Was hatte sie sich davon erwartet? Minutiös seziert sie eine längliche SMS Albigs, in der er Tage später schrieb: „Wie ist der Sachstand? Es sieht so aus, als ob Deine Entscheidung rechtlich angreifbar wäre. Spätestens KA wird das wohl bestätigen.“ Gaschke wertet dies als Indiz dafür, dass Albig Einfluss nahm auf die Prüfung. „Kein Konjunktiv, wenngleich immerhin ein bisschen Girlande: ,Wohl leider‘.“ Kam es tatsächlich zu „staatlichem Machtmissbrauch zur Lösung eines innerparteilichen Konflikts“? Harte Beweise dafür hat sie nicht.
Für sie selbst folgte nun allerdings ein Schlag dem anderen: Die Aufsicht erklärt den Erlass für unrechtmäßig, am Ende ruft eine Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft von Gaschkes Amtszimmer aus die krankgeschriebene OB an, um Ermittlungen wegen Untreue anzukündigen. Alle Vorwürfe erweisen sich später als haltlos, doch da ist sie schon zurückgetreten.
Im letzten Kapitel wird Gaschke wieder zur politischen Journalistin. Sie wertet ihren Fall als symptomatisch – für die Verkommenheit der Politik wie auch einen Qualitätsverlust der Medien, die an der Skandalisierung mitgewirkt hätten. Idealistische Quereinsteigerin gegen abgefeimte Politfunktionäre? Umsichtige Qualitätsjournalistin gegen skrupellose Provinzredakteure? Ganz so einfach ist es nicht. Sie selbst schreibt: „Ich war keine Fremde.“ Gaschke wusste, oder hätte wissen können, auf welches Spiel sie sich mit dem Gang in die Politik einließ. Vielleicht hatte sie sich auch verzockt. Ihre Antwort auf Albigs SMS: „Lieber Torsten, das sind ja hochinteressante Einlassungen. Dann wird es ja für uns beide sehr schwer werden. Liebe Grüße, Susanne.“
Susanne Gaschke: Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu gehen. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014. 256 Seiten, 19,90 Euro.
Fabian Leber
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