Premiere von "Romeo und Julia" im Park Sanssouci: Spiel mir das Lied vom Tod
Das Potsdamer Poetenpack eröffnet mit einem aufreibenden Spiel um Liebe, Hass und Tod im Heckentheater Sanssouci die Freiluftsaison.
Potsdam - Schwarz, weiß und pink sind die Grundfarben der „ Romeo und Julia“-Inszenierung des Theaters Poetenpack, mit dem dieses die diesjährige Freiluftsaison im Heckentheater Sanssouci eröffnete. Und diese Farben sind auch die hervorstechenden Grundierungen für das aufreibende Spiel um Liebe, Hass und Tod. Schwermütige Saxophonklänge – gespielt von Arne Assmann - durchziehen noch vor Beginn der Vorstellung die Laubengänge rechts und links der halbkreisförmigen Zuschauerreihen und kündigen atmosphärisch die Temperatur des Kommenden an. Und nur Einer, nämlich Bruder Lorenzo, sitzt in schwarzer Soutane auf dem mehrstufigen Spielpodest und betrachtet von oben herab die kommende Szenerie.
Früh fasst der arrogante Geistliche den Entschluss, die verfeindeten Familien Capulet und Montague mittels der gerade entstehenden Liebesbeziehung ihrer beiden Kinder zu versöhnen. Und dazu ist ihm – als oberster moralischer Instanz – (fast) jedes Mittel recht. Doch sein Plan misslingt und Romeo und Julia verlieren, wie man weiß, schicksalhaft-tragisch ihr junges Leben. Und erst über ihrem gemeinsamen Grab reichen sich die verfeindeten Familien die Hände.
Pater Lorenzo als Puppenspieler
Der anmaßende Pater hat in der Poetenpack-Inszenierung, die am Donnerstagabend im Heckentheater Sanssouci ihre Potsdam-Premiere feierte, die Rolle eines Strippenziehers, eines Spielemachers inne. Lorenzo allein weiß die ganze Zeit, was gespielt wird und er spielt bis zum bitteren Ende sein eigenes Spiel. Denn neben seiner gottgleichen Macht benutzt er auch seine profunden Heilpflanzenkenntnisse und seine Fähigkeit, lang wirksame Giftmischungen herzustellen, um seine eigenen Versöhnungsinteressen durchzusetzen. So prägnant hat man diese Rolle bisher kaum gesehen. Reiner Gabriel verleiht ihr, in schwarze beziehungsweise pinkfarbene Soutanen gekleidet, etwas nahezu Diabolisches.
Das Motiv „Spiel mir das Lied vom Tod“ kommt nicht nur musikalisch früh zum Tragen. Drei junge testosterongesteuerte Männer - Tybalt, Benvolio und Mercutio - treffen auf einem Platz aufeinander und sofort gibt ein Wort das andere, auch die Fäuste und Messer sitzen äußerst locker. Doch noch nehmen es die Jungen vorwiegend sportlich und nur der schwarz gewandete Tybalt steht bis zu den Haarspitzen unter Druck. Später werden sie sich mit Dolchen und Macheten gegenseitig brutal das Lebenslicht ausblasen. In Andreas Huecks abwechslungsreicher, zweistündiger Sommertheaterinszenierung wird das Drama der verfeindeten Familien gleich zu Beginn in eine komische Tanznummer gegossen. Zu Wiener Walzerklängen und in Zeitlupe bewegen sich die Gegner aufeinander zu und zeigen eine slapstickhafte Kampfchoreografie. Auch das ist eine schöne Idee.
Wilde Orgie, statt Maskenfest
Viel Situationskomik durchzieht vor allem den ersten Teil der Tragödie. Bei Hueck ist das Maskenfest, auf dem sich Romeo und Julia im Hause Capulet zum ersten Mal begegnen und sofort unsterblich ineinander verlieben, eine wilde Orgie. Derbe Anmache, animalische Sexualität, grinsende Clownsmasken und reichlich Alkohol erzeugen eine enthemmte und tendenziell explosive Stimmung. Und während Romeo auf Wolke Sieben schwebt, kotzt Mercutio dem Publikum vor die Füße.
Huecks Inszenierung kommt mit kleiner Personnage aus. Zehn Schauspieler verkörpern 13 Rollen, wobei man gut die Übersicht behalten kann, wer gegen wen und warum kämpft. Herausragend, auch beim Schlussapplaus, sind Mercutio, der von Andreas Klopp verkörpert und die Amme, die von Gislén Engelmann dargestellt wird. Beide überzeugen mit ihrer kraftvoll komischen Präsenz, die jedoch bei ihm von tragischen Elementen und bei ihr von Pragmatismus sowie Lebensklugheit gebrochen wird.
Die Gefühle kommen langsam
Das berühmte Liebespaar braucht jedoch eine Weile, bis man ihm Wucht seiner Gefühle füreinander abnimmt. Die Julia von Julia Borgmeier ist in Huecks Inszenierung nicht mehr vierzehn und mädchenhaft zart, unerfahren, sondern in schwarzer enger Ledercorsage eine verführerische, bereits sexuell erfahrene Frau. Sie ist die Erste, die den liebeskranken Jüngling erhört, seine Gefühle ernstnimmt und erwidert. Romeo, den Florian Bamborschke etwas naiv verkörpert, ist sexuell unerfahren und total egozentrisch. Schön und tragisch zugleich, wie er nach und nach Verantwortung übernimmt und dabei selbst zugrunde geht.
Die Mitglieder der verfeindeten Elternhäuser bleiben bis auf einen etwas blass. Julias Vater, der alte Capulet, wird smart und unerhört effizient von André Kudella gegeben. Sein wahres Gesicht zeigt er erst, als er seiner Tochter mit enormem Selbsthass und ebensolchem Aufstiegswillen klarmacht, dass sie den – hier homosexuell angehauchten - Grafen Paris (Felix Isenbügel) zum Mann nehmen soll. Dessen Charakter erschließt sich einem nicht und bleibt bis zum Ende oberflächlich exotisch. Ebenso wie Karen Schneeweiß-Vogt, die distanziert und spröde Julias (zu junge) Mutter verkörpert.
Dafür ist die Szene zwischen Julia und ihrem Vater die Schlüsselszene zum Verständnis des eigentlichen Dramas. Dem gegenseitigen, über mehrere Generationen ausgelebten Hass liegt vor allem Selbsthass zugrunde. Die Unterdrucksetzung der eigenen, einzigen Tochter durch den Vater, sein offener Zynismus und nicht zuletzt seine überaus unflätige Sprache ihr gegenüber verraten dies deutlich. Dass die Eltern dann am Totenbett nahezu emotions- und hilflos herumstehen, setzt dem ganzen Drama nur schmerzhaft die Krone auf.
Astrid Priebs-Tröger