Localize-Festival 2019: Sonnige Grüße von der Insel!
Das Localize-Festival hat am Wochenende die gesamte Freundschaftsinsel bespielt – und Potsdam stand plötzlich Kopf.
Potsdam - Bekleidet mit einem T-Shirt, einer kurzen Jeans und derben Schuhen liegt der Tänzer Viktor Szeri auf einem der gepflasterten Wege, die über die Freundschaftsinsel führen. In seinem Hintergrund eine Skulptur, zwei Kinderfiguren. Szeris Kopf und Beine sind mit Goldpulver bestäubt. Plötzlich springt er auf, bewegt sich halb torkelnd, halb tänzelnd zwischen den Blumenfeldern – um dann wieder in sich zusammenzusinken, zu verharren.
Ihm folgte am Samstag Tamás Páll: Mit einem Handy näherte er sich Szeri, filmte seine Posen, die Bewegungen des Tänzers über die Insel. Die Filmaufnahme übertrug Páll unmittelbar ins Internet, auf YouTube sei sie zeitgleich zu sehen, versicherte er. Die beiden Künstler, die in Budapest und Berlin leben, beabsichtigten den Blick des Betrachters für das Arrangement der Gartenarchitektur zu sensibilisieren. Das sommerliche Outfit und die hell-glitzernde Goldfarbe fügten sich in das gelb und orange leuchtende Blütenmeer. Der Film von Tamás Páll spielt auf die allzeitliche, sofortige Verfügbarkeit jeder noch so kleinen Lebensäußerung im Netz an – sofern jemand sein Smartphone entsprechend aktiviert. „Es geht um Medienpräsenz, aber auch um zeitgemäße Tanz- und Bewegungsexperimente im öffentlichen Raum“, erklärte Páll.
„Inseln“ war das Thema des diesjährigen Localize-Festivals. Hiermit war auch die Insel als Sehnsuchtsort, als Weltflucht, die „gesellschaftliche Verinselung“ gemeint. Drei Residenzkünstler und elf weitere lokale und internationale Künstler nahmen an dem Festival teil.
Fand Localize bisher meistens an einem Ort statt, so breitete sich die Kunst in diesem Jahr über das gesamte Areal der Freundschaftsinsel aus und vermengte sich mit dem Treiben der Wochenendausflügler. Die Vogelscheuchen des Künstlerduos Philine Kuhn und Melo Börner fielen allerdings doch aus dem Rahmen, so konterkarierten sie die hübsch-ordentliche Gartenarchitektur.
Vom Leben auf einer Insel erzählten hingegen Lena Schwingshandl und Lisa Großkopf aus Wien. Zwei Wochen haben sie in Tropical Island, in der zum Urlaubsort umfunktionierten Cargolifterhalle im Brandenburgischen Krausnick, verbracht. Postkarten, die sie dort geschrieben und ans Localize-Festival geschickt hatten, stellten sie am Samstag aus. Davor große Tücher mit Blumenmustern und einen Fernseher, hier zu sehen die Internetadresse zu ihrem Video. „Wir sind zu müde, uns fehlen die Worte. Was für ein Tag. Daher kurz und prägnant: sonnige Grüße! Ab ins Solarium“, schreiben die zwei Künstlerinnen etwa am 23. Juli. Zunächst hatte die Hallenleitung die beiden Künstlerinnen argwöhnisch beäugt. Dann aber wurde ihnen sogar erlaubt, für ihre Kunstaktion ungestört zu filmen, zu fotografieren, die Gäste dabei zu beobachten, wie sie manchmal bereits nachts mit Handtüchern die Liegen am künstlichen See reservierten. Dennoch hatte sich der Reiz der sonderbaren, künstlichen Landschaft relativ schnell erschöpft: „Meistens war es unglaublich langweilig“, konstatieren die Künstlerinnen.
Auf der selten genutzten Freilichtbühne lockte die Pop-Band Syte mit ihren skurrilen Synthesizer-Sounds und ihrem manchmal hellen und verführerischen, manchmal heftigen und kraftvoll klingenden Gesang das Publikum an. Zu späterer Stunde präsentierten auch Sea Moya einen bunten Genremix aus Funk, Afrobeat und Krautrock. In der Nähe hatte Anne Euler ein Tretboot zur begeh- und fahrbaren Kunstinstallation umfunktioniert: Eine Camera obscura, eine Lochkamera im schwarzen Kasten also, lud den Betrachter dazu ein, sich auf dem schwankenden Boot auf ihre Welt einzulassen. Diese steht wohlgemerkt auf dem Kopf – von hier aus konnte Potsdam aus ganz fremdem Blickwinkel betrachtet werden.
Der Residenzkünstler Eitan Ben-Mosche nutzte Klangelemente für seine Installation aus bunt bespannten Matratzen. „Die bunten Muster stammen von ausgestorbenen Schmetterlingsarten“, erklärte der israelische Künstler die hippieeske Farbigkeit. Auf den Matratzen liegend konnten die Besucher dem Wind und den hellen Klängen lauschen.
Nicht ganz so freundlich erschien der Eingriff von Daniel Springer. Mit roten Plastikzäunen trennte der Residenzkünstler etwa die beiden bronzenen Liebenden von Dietrich Rhode aus dem Jahr 1965, die ohnehin ein wenig scheu wirken. Dennoch ergaben die Kunst und das Blumenmeer der Freundschaftsinsel ein harmonisches Miteinander.
Richard Rabensaat