Von Babette Kaiserkern: Resignation der Macht
Schillers Maria Stuart am Hans Otto Theater: Katharina Thalbach als Königin Elisabeth I.
Unterschreibt sie oder unterschreibt sie nicht? Das ist die Frage, um die sich die Geschichte der katholischen Königin Maria Stuart in der Bühnenfassung von Friedrich Schiller dreht. Schon wenn der Vorhang im Hans Otto Theater in Potsdam hochgeht, kennt jeder den Ausgang und weiß, dass Marias Kopf rollen wird. Einzig die Unterschrift der Königin von England, Elisabeth I., fehlt noch dafür. Bis sie sich dazu entscheidet, vergehen im Original fünf Akte, 52 Auftritte und 4033 Verse. Es ist ein Drama mit diesem Drama: Im Vergleich zum Redeanteil, passiert wenig auf der Bühne. Auch die Charaktere stehen von Anfang an fest, machen keine Entwicklung durch. Es gibt wenig Spielraum in Schillers Ideendrama, in dem das Gedankengut des deutschen Idealismus exemplarisch verhandelt wird. Auch wenn das für heutige Zuschauer, vor allem für Jugendliche, schwer verständlich ist, wird es immer wieder auf deutschen Bühnen gespielt. Es ist halt ein „Klassiker“. Dabei vermag selbst die beste Inszenierung dieses wortgewaltige, gedankenreiche und theorielastige Stück nur bis zu einem gewissen Grad zu erhellen.
Auch bei der Inszenierung von Petra Luisa Meyer möchte man manchmal „Mehr Licht!“ rufen. Ein Gutteil des Geschehens spielt sich im Halbdunkel ab, ein Teil der Schiller“schen Reflektionen kommt aufgrund von Kürzungen erst gar nicht zur Sprache, bleibt somit im Dunkeln. Mit Katharina Thalbach als Elisabeth I. war ein gewisses Spannungsmoment vorprogrammiert, stand doch mit ihr eine berühmte Schauspielerin zur Verfügung, die schon in vielen Rollen geglänzt hat, jedoch noch nicht in der Tragödie. Als Maria Stuart stand ihr Anne Lebinsky zur Seite, eine feste Größe im Ensemble von Uwe Eric Laufenberg.
Von ihr sehen wir zunächst die spitzen, hohen Stiefel, in denen sie auf der Bühne hinter fast ganz heruntergelassenem eisernen Vorhang hin- und herläuft. Sie entpuppt sich als nervöses, genervtes und trotziges Girlie, das den Lügen, Intrigen und Täuschungen ihrer Umgebung wenig entgegen zu setzen weiß. Beim großen Dialog mit Elisabeth geht sie vom flehenden Betteln direkt zu aufmüpfigem Trotz über. Selbst in der Szene vor ihrem Tod zeigt sie mit Zigarette im Mund viel Coolness und Indifferenz.
Abgesehen davon, dass sie sich in reizvollen Dessous zeigen darf, ist von einer besonderen Schönheit und Anmut, wie sie in Schillers Idealbild erschien, nichts zu sehen. Auch von ihrer menschlichen Überlegenheit als moralischer Siegerin, wie Schiller sie sah, ist nichts mehr vorhanden. Diese Maria Stuart ist bloß eine einfache Verliererin.
Umgeben sind die streitenden Damen von einem ansehnlichen Männerarsenal. Allen voran der erstmals am Hans Otto Theater auftretende Rainer Wöss, der den Grafen Leicester mit noblem Understatement und präziser Rede gibt. Eindrucksvoll auch Roland Kuchenbuch als treuer Freund Graf Shewsbury, der seiner Herrin Elisabeth vergeblich zu Milde und Demut rät. Dass Schillers Diktion speziell für junge Leute ungewohnt ist, zeigt sich beim Heißspohn Mortimer von Ulrich Rechenbach. Die Herren, zu denen noch Michael Scherff als Burleigh, Philipp Mauritz als Davison, und Peter Pauli als Amias Paulet kommen, halten sich sehr zurück und überlassen das Feld den Damen. Ob das nun aus Respekt und Ehrfurcht vor den Königinnen oder aus berechnender Taktik geschieht, bleibt im Dunkeln. Die schlichte (Dreh-)Bühne (Matthias Schaller) und die Kostüme (Jessica Karge) unterstreichen farblich und formal das abstrakte Ambiente der Aufführung.
Das größte Augenmerk ruht auf Katharina Thalbachs Interpretation. Sie spielt die Elisabeth als burschikose Diva, die sich ihrer Machtfülle bewusst ist und deren Vorteile wie die Liebschaft mit Leicester genießt. Dabei ist sie eine Person mit schlichten Manieren. Sie löffelt Joghurt, spricht mit vollem Mund, putzt mit Besen und Kehre, vor allem zeigt sie eine Frau, die zagt, zaudert und zweifelt. Kälte oder Unnahbarkeit verströmt sie nicht, im Gegenteil: selten sah man eine volkstümlichere Königin Elisabeth I. Hier findet der entscheidende Paradigmenwechsel der Inszenierung statt: Während aus dem Idealbild der lieblichen Maria Stuart, die Erlösung, Befreiung und Rache erst im Tod findet, ein blasses Girlie wird, ist aus der mächtigen, kalten Königin Elisabeth I. eine schwache Person geworden, die resignierend den Rankünen der Macht nachgibt. Großer Beifall und keine Buhrufe. Nur eine Frage bleibt ungeklärt: Was hat es zu bedeuten, dass in so vielen Inszenierungen des Hans Otto Theaters Hubschrauber brummen?
Babette Kaiserkern
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