Barberini-Schau "Rembrandts Orient": „Rembrandt ist unerschöpflich“
Seit 50 Jahren dem Alten Meister auf der Spur: Gary Schwartz ist der Mann hinter Potsdams Rembrandt-Schau.
Herr Schwartz, Sie haben die Ausstellung „Rembrandts Orient“ kuratiert – und konnten Sie erst kürzlich in Potsdam das erste Mal selbst besuchen. Wie kam das?
Die Ausstellung eröffnete bereits im Oktober 2020 in Basel. In der Woche vor der Eröffnung musste die ganze Eröffnungszeremonie abgesagt werden. Man musste in der Schweiz zehn Tage lang in Quarantäne gehen, wenn man wie ich aus den Niederlanden kam. Die Regelung blieb während der gesamten Laufzeit in Kraft. Also konnte ich die Ausstellung in Basel nicht besuchen. Und als sie in Potsdam eröffnete, galt das Gleiche – daher konnte ich die Schau bis jetzt nicht sehen.
Und, wie gefällt sie Ihnen?
Ich liebe sie! Es ist wunderschön gehängt, sehr einladend. Es ist sehr inspirierend, durch die Räume zu laufen und andere Besucher zu sehen, die lange Zeit vor einzelnen Bildern und Drucken verweilen, die Bilderklärungen lesen, sich darüber austauschen. Ich denke, die Ausstellung hat den Effekt, den ich mir erhofft hatte.
Haben Sie selbst ein Lieblingswerk in der Schau?
Ja, das habe ich. Ein Gemälde aus Utrecht, das ein Hochzeitsmahl zeigt. Braut und Bräutigam tragen orientalisierende Kleidung. Die Braut sieht aus wie Königin Esther. Hinter ihr sind Sterne zu sehen – was auf die Bedeutung des Namens Esther verweist. Rembrandt kannte dieses Gemälde, als er sein eigenes Werk „Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend“ schuf. Also hat es mich besonders gefreut, dass es gelungen ist, es in die Ausstellung zu holen. Es ist nicht das beste Kunstwerk, aber was die Themen angeht, ist es mein Favorit.
Sie beschäftigen sich seit den 1960er Jahren mit Rembrandt. Gab es in der Vorbereitung auf diese Schau noch etwas, was Sie überrascht hat?
Das gibt es immer. Rembrandt ist unerschöpflich. Jedes Mal, wenn man sich ihm aus einer anderen Perspektive zuwendet, entdeckt man neue Dinge. Etwas, das ich bei dieser Ausstellung bemerkt habe: Die Straßenszenen, von denen man immer dachte, dass sie vor Ort entstanden sind, sind es möglicherweise nicht. Vielleicht entstammten sie ebenso seiner Vorstellung wie jene Straßenszenen, die den Orient zeigen. Denn ich habe entdeckt, dass er mit den gleichen Kompositionen gearbeitet hat – ob er nun drei Juden in einer Unterhaltung zeigte oder „Orientalen“ oder niederländische Soldaten. Es handelte sich also um Experimente seiner eigenen Vorstellung. Nicht um Beobachtungen, die er selbst gemacht hat.
Was war der Orient für Rembrandt?
Der Orient war für Rembrandt und seine Zeitgenossen eine Mischung aus vielen Dingen. Aus Geschichten und populären Büchern – regelrechten Bestsellern, die Reisende über ihre Abenteuer geschrieben haben – ebenso wie aus Bildern wie denen in der Ausstellung. Parallel dazu gab es vor allem in der Mittelmeerregion direkte Konflikte mit Piraten von der nordafrikanischen Küste – aber diese haben es nie auf die Bilder geschafft. Es gab also verschiedene Erzählungen über den Orient. Die Erfahrungen der Händler, die Horrorgeschichten von Gefangenen der Piraten – und diese Bilder, die eine Art Eigenleben führten. All das gab es nebeneinander, ohne dass es sich wirklich beeinflusst hätte. Das eine, wahre Bild des Orients gab es nicht.
Niederländische Künstler nahmen den Orient damals in Form von Objekten auf, zeigten aber selten Menschen oder Orte. Woher kommt das?
Es bestand einfach eine totale Faszination für diese Dinge. Stellen Sie sich vor, Sie leben in Amsterdam und die Ostindien-Kompanie bringt mit ihrer Flotte ein- oder zweimal jährlich Güter aus der ganzen Welt in den Hafen. Mineralien, Muscheln, Tiere. Matrosen mit Papageien, ein Händler mit Zeichnungen vom indischen Hof, jemand anderes bringt einen Schatz aus bislang unbekannten Gewürzen. Es war ein Teil des Lebens, etwas, das die Vorstellungskraft der Menschen anregte. Amsterdam wurde zu dem Ort in Europa, von dem aus diese exotischen Güter aus dem Osten vertrieben wurden. Man war fasziniert, man gab auch damit an – und es wurde ein zunehmend wichtiger Teil des kulturellen Lebens.
Ablehnung oder Hass dem Fremden gegenüber sind kaum überliefert – erstaunlich, wenn man bedenkt, wie mit anderen Ethnien in der Kunst oft umgegangen wurde.
Das ist interessant, ja. Denn man kann nicht sagen, dass es keine Konflikte gab. Die Niederländer dominierten einige Gebiete, vor allem Indonesien, und handelten auch mit Sklaven. In den Niederlanden wird immer mehr thematisiert, dass Sklavenhandel nicht nur bedeutete, dass Afrikaner nach Südamerika verschifft wurden. Es gab auch im Fernen Osten Sklaverei. In der Ausstellung sieht man drei oder vier Gemälde, auf denen schwarze oder asiatische Menschen als Diener oder Sklaven dargestellt wurden. Aber für die Künstler war das kein dominierendes Motiv. Und wenn sie orientalische Kämpfer zeigten, dann mit Respekt, da schwang der Stolz darüber mit, ebenbürtige Feinde zu haben. Es gab keine Dämonisierung des Fremden.
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Rembrandt malte sogar sich selbst in Verkleidung als „Orientale“. Warum?
Das ist etwas, das ich auch noch nicht völlig ergründen konnte. Das ist das Großartige an Rembrandt: Es bleiben immer Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Man verfolgt das über Jahre, manchmal entdeckt man Neues. Aber dieses Rätsel konnte noch nicht gelöst werden.
Auf Ihrer Webseite publizieren Sie regelmäßig über Rembrandt – zuletzt auch über die „verflixte Frage“ seines Charakters. Was für ein Mensch war Rembrandt?
Als ich in den 1960er Jahren anfing, über Rembrandt zu arbeiten, war man noch der Meinung, er sei menschlich geradezu vorbildhaft gewesen. Ein Freund der Menschheit, ein Freund der Juden, ein Familienmensch. Aber als ich mir die Dokumente über Rembrandt genauer anschaute, fing dieses Bild zu bröckeln an. Und als ich 1984 mein erstes Buch über Rembrandt schrieb, malte ich das Bild eines wirklich kalten Charakters. Er war sehr manipulativ. Das Schlimmste, das man über ihn weiß, ist dass er dabei half, seine Ex-Geliebte in eine Irrenanstalt sperren zu lassen. Ich entdeckte, dass niemand in seiner Lebenszeit irgendetwas Nettes über ihn zu sagen hatte.
Und wie sehen Sie ihn heute?
Vielleicht war ich anfangs zu negativ mit ihm. Was mir mit der Zeit klar wurde: Seine Unfähigkeit, Kompromisse zu schließen und verhandeln zu können, seine Neigung, sich immer wieder zu verschulden – diese Eigenschaften, die in sozialer Hinsicht so destruktiv waren, hatten für seine Kunst große Vorteile. Er war zu keinen Kompromissen bereit.
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