Neues Kinderstück im Hans Otto Theater: Prinzessin im Wunderland
Das Kinderstück „Königskinder“ im Hans Otto Theater ist eine Reise zum eigenen Ich - auf der auch mal lässig mit Konventionen gebrochen wird.
Eine ganz normale Familie, das wäre doch mal was. Nicht die supercoolen Eltern, die alles mitmachen und dabei gar nicht merken wie peinlich sie sind. Oder die, die immer alles ausdiskutieren möchten. Wer will denn schon immer reden? Zu streng dürfen sie natürlich auch nicht sein, viele Regeln engen doch recht schnell ein und irgendwelche extravaganten Hobbies müssen jetzt eigentlich auch nicht sein. Sie soll doch nur ganz normal sein. Aber was genau ist eigentlich normal? Gibt es das überhaupt? Und wenn ja, ist es auch für alle gleich?
Mit diesen Fragen setzt sich das Kinderstück „Königskinder“, das am Donnerstag Premiere in der Reithalle des Hans Otto Theaters hatte, in sehr liebevoller Art auseinander. Es erzählt die Geschichte dreier Königsgeschwister, die alle unterschiedlich mit ihrer Rolle als wohl behütetes Adelskind umgehen: Während Prinzessin Desirée (Nora Decker) von einer romantischen Märchenhochzeit träumt, möchte ihr jüngerer Bruder Eugene (Johannes Heinrichs) am liebsten König werden, ist aber gleichzeitig mit sich sowie den an ihn gestellten Anforderungen überfordert. Die jüngste, Eugenie (Elaine Cameron), kann sich mit ihrer Rolle als Prinzessin überhaupt nicht anfreunden und bricht schließlich aus ihrem gewohnten Umfeld aus, um sich eine „normale“ Familie zu suchen. Allerdings ist das gar nicht so einfach, denn keiner der Menschen, die sie trifft, erfüllt ihre Vorstellungen vom Normalsein. Schließlich ist es ein alter Bär, der ihr die Augen öffnet und mit dessen Hilfe es ihr gelingt, ihre Geschwister aus ihren festgelegten Rollen zu befreien.
Auf ganz zauberhafte Art gelingt es Regisseurin Marita Erxleben, die Vorlage der schwedischen Autorin Sofia Fredén, hier in der Übersetzung von Jana Hallberg, auf die Bühne zu bringen. Dabei lässt sie ihren Darstellern genug Freiraum, einen guten Mittelweg zwischen schablonenhaften Kinderfiguren und symbolhaften Botschaftsträgern zu finden. Nie kommt der sprichwörtliche moralische Zeigefinger zum Einsatz, noch verliert sich das Stück in einer kunterbunten Kitschwelt. Im Gegenteil: Das Bühnenbild sowie die Kostüme von Julia Schiller spiegeln fantasiereich die Stimmungen des Stückes wieder. So sind die Kleider der Prinzessinnen zwar in sanften Rosa- und Blautönen gehalten und der Prinz hat eine gebauschte Halskrause am Kragen, aber nirgends ist eine Spitze zu viel, eine Rüsche zu groß. Und spätestens, wenn Eugenie anfängt ihr Kleid auseinanderzunehmen und dabei ein rebellisches Schottenmuster zum Vorschein kommt, weiß der Zuschauer, hier ist Ende mit dem klassischen Märchen.
Ähnlich verhält es sich mit der Bühnenausstattung, die anfänglich in ein sanftes Blau getaucht ist und etwas klinisch aussieht, aber auch wie eine verträumte Lagune – genau der richtige Ort also für die drei Geschwister, die irgendwo fernab der Gesellschaft aufwachsen. Ganz anders sieht es dann in der weiten Welt aus, hinter deren Türen sich ganz eigene Universen offenbaren. Etwa eine alternative Rockerbude, die chaotische Kreativstube oder eine geleckte Spießerwohnung. Alles immer etwas überzeichnet, mit überquellenden Hutstapeln und schwarz-weißen Karomustern ein wenig an Alice und ihr Wunderland erinnernd, aber dennoch immer nur soweit, dass auch Kinder die Bedeutung verstehen können. Richtig funktionieren können sie dann aber doch nur im Zusammenspiel mit den Darstellern. Besonders Nora Decker und Johannes Heinrichs dürfen dabei gleich in mehreren Rollen glänzen, wobei beiden der Sprung von den verklärten Königskindern über das Rockerpaar, den verrückten Hutmacher bis hin zu den ordnungsliebenden Büchernarren ganz reibungslos gelingt. Beide schaffen es dabei, ihre Rollen ernst zu nehmen und diese somit bei all ihrer Komik nicht in vollkommene Witzfiguren abdriften zu lassen. Vielmehr zeigen sie Spiegelbilder der Gesellschaft, die verdeutlichen, dass jeder Mensch seine ganz eigene Art finden muss, um sein Leben lebenswert zu gestalten. Elaine Cameron als Eugenie spielt sich tatsächlich wie eine rebellische Alice durch das Stück, bricht mit Konventionen – etwa, wenn sie erklärt, dass auch Prinzessinnen auf der Toilette mal pupsen oder Verstopfung haben – , bleibt dabei aber stets ein Kind, das sich nach Geborgenheit in sich selbst sehnt. Wie sie diese schließlich findet und erkennt, dass Normalität nur das ist, was sie dazu macht, ist rührend sowie lehrreich zugleich.
„Königskinder“, wieder am 8. November um 15 Uhr in der Reithalle, Karten kosten 12 Euro
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