Kreativszene Potsdam: Potsdams trojanisches Pferd
Die Mitte der Stadt erobern - aber friedlich: Die Potsdamer Künstlergruppe Ars Armenti will aus dem Langen Stall einen Kunst- und Kreativpark entwickeln.
Potsdam - Es muss doch beides gehen – Kunst und Kirche. Seit anderthalb Jahren trägt sich Lars Kaiser bereits mit diesem Gedanken. Er treibt ihn um. Im Rechenzentrum hat der Künstler sein kleines Büro, von dort organisiert er Ausstellungen und hat sich etwa Kunstautomaten ausgedacht, an denen man sich kleine von Künstlern geschaffene Objekte für wenig Geld ziehen kann. Und dort hat er sich auch „Artchurch.me“ ausgedacht. Kunstgottesdienste, wie er sie versteht: eine bunte, wild anmutende Performance, die freies Leben predigt und die Kunst und Kultur als Heiligtum feiert. Am 3. Dezember ist es wieder so weit: „Artchurch features Garnisonkirche“.
Lars Kaiser ist in Potsdam geboren. Aber diese Kirche, um deren Wiederaufbau es seit Jahren erbitterten Streit gibt, die regelrecht die Stadtgesellschaft spaltet, diese Garnisonkirche ist ihm einfach nicht so wichtig. Die Kunst ist ihm wichtig – nur sie zählt. Seit Jahren wechselt Kaiser seinen Arbeitsplatz, „von Abrisshaus zu Abrisshaus“, wie er sagt. In der Alten Brauerei war er Mieter, bis diese verkauft wurde. Nun ist er im Rechenzentrum. Auch dort sind die Tage wohl gezählt, selbst wenn die Stadt den Vertrag verlängert. Deswegen hat Kaiser zusammen mit anderen die Künstlergruppe Ars Armenti gegründet. Einen Kunst-Stall auf dem Gelände des Langen Stalls an der Plantage wollen sie entwickeln, damit in der Stadt sich die Künstler langfristig etablieren können.
Ein gutes Dutzend Künstler ist dabei - viele wollen anonym bleiben
Die Idee ist nicht ganz neu, bereits im April hatte der Verein Mitteschön diesen Vorschlag eingebracht. Neu ist aber, und das ist entscheidend, dass ein gutes Dutzend Künstler – von Potsdamer Urgesteinen wie Christian Heinze, Alfred Schmidt bis hin zu Neulingen in Potsdams Kunstszene wie Fotograf Peter Jaworskyj – die Idee mittragen. Eigentlich seien es noch viel mehr, die ihn unterstützten, sagt Lars Kaiser, aber ihre Namen wollten die meisten nicht in die Öffentlichkeit tragen. Zu heikel die Position, zu tief die ideologischen Gräben zwischen denen, die die Hof- und Garnisonkirche an Ort und Stelle wiedererrichten wollen und denen, die Angst um eine Verpreußisierung ihrer Stadt haben und für den Erhalt des Rechenzentrums an Ort und Stelle kämpfen. Manch einer vermutet denn auch, dass es sich bei dem Vorstoß um ein trojanisches Pferd der Initiative Mitteschön handelt: Künstler aus dem Rechenzentrum, die von Mitteschön – als Hort der historischen Rekonstruktion bekannt – vereinnahmt werden.
Doch so einfach ist es nicht. Eher sind die Künstler um Ars Armenti, allen voran Lars Kaiser, diejenigen, die die Friedensfahne heben, wenn die Schlacht kein Ende nimmt und nur noch in die Leere führt. Die politischen Akteure „kleben im heißen Kampf“, sagt Kaiser. Er aber habe mit dieser Art Politik nichts am Hut. Er kann die tiefen Gräben überspringen und ein Vorreiter für etwas Neues sein. Das Rechenzentrum habe ihm grünes Licht gegeben, mit einem ersten Konzept an die Öffentlichkeit zu gehen.
Die Vision: Ein Kunstcampus neben der Garnisonkirche
Einen neuen Kunst- und Kreativcampus will Ars Armenti – in unmittelbarer Nähe zur Garnisonkirche. Auf diesem Areal, einem Gelände von mehr als 4000 Quadratmetern, zwischen Langem Stall, Feuerwache und Rechenzentrum sollen sich junge und etablierte Künstler in einer Art Kreativpark ansiedeln. Mit Skulpturen und Kunstspielplatz, in gläsernen Ateliers, dazu kunstnahes Gewerbe, Cafés.
Ars Armenti hat sich dafür viel vorgenommen: Mit allen Verantwortlichen wollen sie sprechen. Lars Kaiser hofft, dass alle Beteiligten wie er nur das eine wollen: Das Optimum für die Künstler. Das heißt für das Konzept des Kunst-Stalls: viel Licht, viel Freiraum, Ruhe und Lebendigkeit, die nebeneinander herrschen. Aber auch so konkrete Dinge wie Schallschutz und gute Zuwege für große Skulpturen sind mitbedacht. Oberste Frage aber bei all den Überlegungen: Was braucht die Kunst im 21. Jahrhundert an Voraussetzungen, um zu wirken? „Darum stricken wir die Architektur“, sagt Lars Kaiser.
Die Ateliers sollen bezahlbar bleiben
Und die soll kostengünstig sein. Vor allem der Innenausbau. Künstler bräuchten keine fertig durchgestylten Treppenhäuser, keine teuer gefliesten Küchen. „Das kann alles Rohbau bleiben. Die Kunst liebt leere Flächen.“ So würden die Ateliers auch bezahlbar bleiben, ein Quadratmeterpreis von acht, neun Euro sei möglich. Wie das von außen aussehen soll, ist ihm egal.
Einem Künstler wie Olaf Thiede hingegen ist die Außenansicht alles andere als egal. Der Maler liebt die klassischen Gestaltungsprinzipien, die Sichtachsen, die einstigen Proportionen Potsdams. Deswegen macht er sich auch in der Initiative Mitteschön stark. Thiede ist kein politischer Hardliner, sondern wie Kaiser in erster Linie Künstler. Auch er ist bei Ars Armenti dabei. Thiede hat die ersten Skizzen für die Gruppe entworfen, „ein paar lockere Zeichnungen“, wie er sagt. Stimmungsbilder, um sich hineinzudenken. Gerechnet wurde aber auch: Wenn auf dem Gelände des Langen Stalls ein Künstlerhaus stünde, dann hätte das mehr Quadratmeter Raum als das Rechenzentrum, sagt Thiede. Überhaupt gebe es auf dem Areal „unheimlich viel Platz“. Was er von der einstigen Architektur des Langen Stalls erhalten will, sind die Größe und die Ästhetik des einstigen Daches. „Entscheidend ist der optische Eindruck“, sagt er. Die Vorderansicht könnte, wie damals, eine Fachwerkkonstruktion sein. Kostengünstig wäre das zudem.
Maler Olaf Thiede wünscht sich eine "Supermoderne" für Potsdam
Weniger auf die originalgetreue Rekonstruktion kommt es Thiede an, sondern auf die Verbindung von historischer Ästhetik und modernen Bedürfnissen. Eine Art Supermoderne könnte in Potsdam entstehen, sagt er. Wenn die Politik denn wolle. Die Pseudomoderne in Potsdam, wie in Bornstedt, wo man nur in weißen Klötzern gedacht habe, hingegen ist ihm ein Gräuel, ein „Leichentuch über der Stadt“. Überhaupt müsse es erst mal ein Konzept geben, was die Stadtpolitik mit dieser Stadt machen wolle. Zu viel Potenzial von Potsdam sei schon verkauft worden. „Und viel Potenzial, das in der kreativen Szene liegt, wird nicht genutzt.“
Stellt sich natürlich die Frage, wer das Projekt Kunst-Stall bezahlen soll. Wahrscheinlich müsste erst mal ein privater Investor gefunden werden, meinen Thiede und Kaiser. Es gebe ja schließlich nicht nur Hasso Plattner. Aber später müsse der Kreativpark sich schon alleine tragen. Die Leipziger Baumwollspinnerei hat es ihrer Meinung nach vorgemacht. Oder auch das Boston Art Center. In Leipzig ist es eine alte Fabrikhalle, in Potsdam könnte sogar, so Ars Armenti, eine ganze Kunstmeile mitten durch das Herz der Stadt gehen: vom Bahnhof zum Schloss und am Museum Barberini vorbei, schräg über die Plantage. Und den historischen Rückbezug gibt es in den Augen Thiedes auch: Schließlich sei diese Route, auf der auch das Kreativareal liegen soll, der kürzeste Weg nach Sanssouci gewesen.
Die griechische Sage vom Trojanischen Pferd lässt sich so auf Potsdam vielleicht auch neu übertragen: Selbst wenn der Lange Stall in seiner Fassade historisch rekonstruiert wird, verstecken sich in der Holzkonstruktion des einstigen Reit- und Exerzierhauses keine Soldaten, sondern dort arbeiten Künstler. Als Vorreiter oder Pioniere, wie man es auch sehen mag. Was sie mit dem Trojanischen Pferd gemein haben: Nicht weniger als die Mitte der Stadt wollen sie erobern. Allerdings friedlich.
Grit Weirauch
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