Potsdamer Regisseur Andreas Dresen: „Lachen ist eine sehr souveräne Haltung“
Der Potsdamer Regisseur Andreas Dresen spricht im PNN-Interview über seinen neuen Film "Timm Thaler", die Lust am Lachen - und die Frage, ob auch in Potsdam das Geld regiert.
Herr Dresen, hätten Sie sich vor 15 Jahren, als Sie mit „Halbe Treppe“ bekannt wurden, vorstellen können, dass Sie mal einen Film mit trickfilmanimierten Ratten machen würden?
Vorstellen konnte ich mir das eigentlich schon immer. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich mal die Möglichkeit dazu bekommen würde. Ich persönlich mag ja solche Filme. Mein Herz für Kino unterschiedlichster Art ist sehr groß. Das Problem als Regisseur ist ja immer, dass man gerne mit den Filmen identifiziert wird, die besonders erfolgreich sind. Bestimme Filme bleiben mehr im Gedächtnis der Menschen haften, wodurch man dann in eine bestimmte Schublade getan wird. Mich hat leider nie jemand gefragt, ob ich nicht mal Lust hätte, für Kinder einen Märchenfilm zu machen. Der Erste, der es tat, war Bernd Eichinger – obwohl auch er eher wissen wollte, was ich denn gerne mal machen würde. Als ich dann „Timm Thaler!“ sagte, begann die ganze Geschichte.
Man empfindet „Timm Thaler“ erst einmal als Bruch mit bisherigen Arbeiten von Ihnen ...
... was aber ein Irrtum ist!
Auf den zweiten Blick entdeckt man den Humor als große Konstante in Ihren Arbeiten. Selbst in dem Sterbeprotokoll „Halt auf freier Strecke“ gibt es sehr komische Momente. Da wirkt es dann fast konsequent, dass Sie jetzt eine Liebeserklärung an das Lachen gefilmt haben.
Über Konsequenzen oder Schlussfolgerungen der eigenen Arbeiten denkt man als Regisseur ja nicht so sehr nach. Die ersten Überlegungen zu „Timm Thaler“ fanden lange vor „Halt auf freier Strecke“ statt. Projekte greifen permanent in einander. Insofern zeigt „Timm Thaler“ wirklich etwas, was mich immer schon interessiert hat. Humor ist ein wichtiger Aspekt in meinem Leben und auch in meinen Filmen. Ich selber lache gerne. Auch am Drehort, weil man so die Last der Verantwortung ein wenig von den eigenen Schultern nimmt – aber auch von denen der anderen. Humoristisches Understatement kann sehr hilfreich sein. Die Welt ist schwer genug. In diesen Zeiten kann man das nicht oft genug sagen. Gerade im Humor kann man sich auch über das Schicksal, den Tod, die eigene Existenz erheben. Lachen ist ja eine sehr souveräne Haltung.
Anders als die Fernsehverfilmung von 1979 lassen Sie „Timm Thaler“ wie James Krüss in den 1920er-Jahren spielen.
Es ist eine Modellwelt, die wir zeigen. Ein Symbol für etwas, das man auf die eigene Zeit übertragen kann. Die Idee war, den Zuschauern etwas Zeitloses zu bieten – und auch etwas, das einfach schön anzusehen ist. Wegzugehen aus den Alltagserfahrungen, mit fantastischen Kostümen, fantastischen Räumen. Also dem Märchen auch zu geben, was des Märchens ist. Zu sagen: „Es war einmal.“
Ein Zufluchtsort?
Ja, aber einer, der schließlich und endlich wieder in die Gegenwart führt. Die Geschichte hat ja sehr viel Heutiges.
Dieses Heutige bringen Sie an einer Stelle sehr explizit hinein: Durch eine Comic-Sequenz, die am Nestlé-Beispiel zeigt, wie perfide die heutige globale Wirtschaft funktioniert.
Als James Krüss den Roman geschrieben hat, war das ja auch ein Reflex auf das florierende Wirtschaftswunder Nachkriegsdeutschlands. Ich glaube, er wollte damit auch sagen: Passt mal auf, Leute, es gibt noch andere Werte, die vielleicht wichtiger sind als Macht, Reichtum, Erfolg. Das wollten wir gerne miterzählen. Ich finde, man kann Kindern durchaus mal vermitteln, dass das System der Welt, in der wir leben, nicht das beste aller möglichen ist.
Der Film ist erstaunlicherweise Ihr bislang märchenhaftester – und der politischste zugleich.
Ja, das ist eine politische Geschichte per se, deswegen wollte ich es auch immer schon machen. Märchen sind ja immer auf eine bestimmte Form moralisch, und davor sollte man sich auch nicht drücken, finde ich. Häufig werden Kinder im Kino ja mit irgendwelchen knallbunten Albernheiten unterfordert. Aber sie gucken sich die Welt durchaus sehr genau an, und daher sollte man ihnen auch ernsthaft etwas darüber erzählen.
Der teuflische Baron Lefuet lernt die verschiedenen Facetten des Lachens kennen und zieht an einer Stelle das Fazit: Aha, man lacht immer da, wo es den anderen wehtut.
Schadenfreude ist ja auch eine menschliche Eigenschaft. Es ist ein Kern von Slapstick – wie bei Chaplin oder Loriot –, dass der Mensch als Herr seiner eigenen Welt auftreten will, als Souverän, und dann an den Dingen scheitert. Ich denke, ich habe die Dinge im Griff, komme aber nicht mal durch diese Drehtür. Darüber lachen wir, und in dem Moment ist dieses Lachen aber auch ein bisschen eines über uns selbst, weil es die Erkenntnis beinhaltet: Wir sind fehlbar und klein und das ist nicht schlimm.
Lachen ist im Grunde eine Distanznahme zum Geschehen.
Richtig. Es gab gerade den sehr schönen Film eines holländischen Fernsehsenders über die Inauguration von Donald Trump, der sich darüber lustig machte, indem er Trumps eigene Worte verwendete. Man sieht es und muss darüber lachen, obwohl es natürlich eigentlich nicht zum Lachen ist. Trotzdem ist das etwas Hilfreiches, weil man merkt, wie man dabei plötzlich wieder positive Gefühle dem Leben gegenüber entwickelt. Auch damit stellt man sich ja dem Bösen, dem Verächtlichen und Abgrenzenden entgegen.
Da wir von Trump sprechen: Es hätte keinen besseren Zeitpunkt geben können, um einen Film über die Verführungskräfte des Geldes herauszubringen.
Das ist wirklich absurd, wie gut das passt. Der Film sollte eigentlich Weihnachten schon starten und wurde dann verschoben. Als wir drehten, war Trump fast noch ein Unbekannter. Im Spiel von Justus von Dohnányi als Baron Lefuet sind tatsächlich Elemente, die an Trump erinnern lassen. Das war nicht beabsichtigt, ein wirklich merkwürdiger, etwas beängstigender Zufall. Dadurch, wie der Film endet, hat er allerdings fast etwas Tröstliches. Am Schluss ist der Donald Trump in unserer Geschichte ja nur ein armes Würstchen, das verloren auf einer Wiese sitzt ...
Zu sehr Märchen, um in der Realität zu trösten, oder?
Ja, natürlich. Es ist ein Märchenschluss. Wobei es uns immer wichtig war, dass Lefuet einem am Ende fast ein bisschen leidtut. In seinem Wunsch, geliebt zu werden, hat er menschliche Züge. Er will die richtigen Augen, das richtige Lachen – und trotzdem klappt es nicht. Er scheitert schließlich an seiner schlechten Personalpolitik, die ist wirklich nicht die beste. Er setzt mit den beiden Dämonen, den sprechenden Ratten, definitiv die falschen Leute auf Timm Thaler an. Der eine isst zu gerne, die andere hat ein zu weiches Herz.
Das wäre ja dann eine Hoffnung auch für die wirkliche Welt: dass die mächtigen Bösewichte sich mit ihrer Personalpolitik vertun.
(lacht) Das wäre wünschenswert. Man hört ja schon von Trump, dass die Leute in seinen Ministerien ganz andere Sachen von sich geben als er selbst. Da kann man nur hoffen.
Potsdam ist auch eine Stadt, die stark vom Kontrast zwischen Arm und Reich – oder sagen wir: Mittelständisch und sehr Reich – geprägt ist. Wie nehmen Sie das Gefälle wahr?
Ich bin 1985 nach Potsdam gezogen, noch bevor ich Student wurde. Seitdem lebe ich hier. Potsdam hat sich ganz schön verändert, das stimmt. Aber nicht nur zum Schlechten. Es ist ja eines der Klischees, dass es heißt: Jetzt ziehen die ganzen Schwerreichen nach Potsdam und bevölkern die Villen. Das war allerdings auch in den 1920ern und 1930er- Jahren schon so und ist der Charakter dieser Gegend – am Griebnitzsee stehen nun mal keine Wohnsilos. Immerhin gibt es Leute, die diese schönen Häuser jetzt instand halten. Ich gehöre nicht dazu, dazu fehlt mir das Geld, aber das macht auch nichts. Und dass es dieses Mäzenatentum gibt, dass die Reichen etwas abgeben zum Wohle der Stadt, finde ich schon ganz hilfreich. Denn davon haben alle was. Deswegen würde ich das nicht nur als eitle Geste abtun. Vor allem ein neues, hochwertiges Kunstmuseum ist in erster Linie richtig erfreulich.
Dennoch die Frage: Regiert in Ihren Augen in Potsdam das Geld?
Das würde ich so nicht sagen. Um beim Beispiel des Museums zu bleiben: Würde das Geld regieren, wäre das Mercure abgerissen worden und dort stünde jetzt ein Neubau. Das war aus demokratischen Gründen in der Stadt nicht durchsetzbar und jetzt ist eine andere Lösung gefunden worden. Allein das zeigt, dass es demokratische Spielregeln gibt, die alle mit einander einhalten müssen, selbst wenn man spendet.
Haben Sie eigentlich auch manchmal das Gefühl, dass Sie durch eine Filmkulisse gehen, wenn Sie durch Potsdam laufen?
Na ja, ich finde Potsdam schon sehr disparat. Der Wechsel der Zeiten hat seine Spuren hinterlassen. Jetzt kommen die filmkulissenhaften Orte dazu, die Häuser, die wie hundert Jahre alte Häuser aussehen sollen. Und in hundert Jahren sind sie das ja dann auch. Ich kann mir vorstellen, dass man in 50 oder 80 Jahren einfach dankbar ist, wenn hier interessante Gebäude stehen. Der Landtag ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Was der Architekt dort mit dem Innenraum geschafft hat, finde ich wirklich großartig.
Und dass der Wiederaufbau des ganz Alten in Potsdam dabei das nicht so Alte dominiert, stört Sie nicht?
So wie sich die Menschen ändern, die in einer Stadt wohnen, ändert sich auch die Stadt. Menschen schaffen sich ihren Lebensort. Das sollte im demokratischen Zusammenspiel der Kräfte entschieden werden, und dieses Zusammenspiel verändert dann die Stadt. Nehmen Sie das Beispiel der Fachhochschule. Im Moment sieht sie als heruntergekommenes Beispiel von DDR-Architektur einfach potthässlich aus. Andere sehen in ihr ein Denkmal an die alten Zeiten. Aber man sollte nicht vergessen: Da wo sie heute steht, stand früher auch schon etwas anderes. Leben ist Veränderung.
Das Gespräch führte Lena Schneider
„Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ läuft ab heute in den Kinos
ZUR PERSON: Andreas Dresen, geboren 1963 in Gera, studierte Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Sein erster Kinofilm „Stilles Land“ (1992) reflektierte die Wirren der Wende. Seit „Nachtgestalten“, der 1999 den Preis der deutschen Filmkritik erhielt, setzt Dresen meist auf Improvisation und Handkamera. Der Film „Halbe Treppe“ (2002) gewann unter anderem den Silbernen Bären. Auch „Wolke 9“ (2008) und„Halt auf freier Strecke“ (2011) wurden preisgekrönt. 2011 inszenierte er in Potsdam die Winteroper„Die Hochzeit des Figaro“. „Timm Thaler“ ist Dresens erster Kinderfilm. Seit 2012 ist Dresen zudem Verfassungsrichter im Land Brandenburg.
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