Aufbegehrend, nachdenklich, ratlos: Künstler aus dem Rechenzentrum im Kunstraum
Zum Festival "Made in Potsdam" zeigt der Kunstraum Arbeiten von 27 KünstlerInnen, die ihren Schaffensort im Rechenzentrum haben . Am Donnerstag ist die Eröffnung.
Potsdam - Auf dem Gelände des Rechenzentrums fällt sie niemandem weiter auf: eine Mauer zur Grundstücksmarkierung aus sonderbar unregelmäßig geformten Steinblöcken. Der Künstler Stefan Pietryga hat einen der Blöcke vermessen und ihn von einer Bildhauerwerkstatt nun noch einmal in edlem Negro Impala Granit herstellen lassen. Im Kunstraum Waschhaus wirkt der schwarze Stein als geometrische, in sich geschlossene Skulptur. Sie ist Teil der Ausstellung „Eine Frage der Zeit“, mit der sich das Rechenzentrum ab heute im Kunstraum Waschhaus präsentiert. Die Skulptur stammt von dem mittlerweile anerkannten und hoch gehandelten Bildhauer Karl Heinz Adler. Adler lehrte zunächst an der Technischen Hochschule Dresden und dann an der Kunstakademie Düsseldorf. „Die Form hat mich so fasziniert, dass ich sie zeigen wollte“, sagt Pietryga.
Für den Kunstraum Waschhaus haben die beiden Kuratoren Mike Geßner und Sophia Pietryga 27 Künstler und Künstlergruppen eingeladen, um die vielfältige Produktion im ehemaligen Technologiezentrum zu präsentieren. Diese Ausstellung sei nicht wie ein Spaziergang durch die Flure des Rechenzentrums, sondern spiegele die subjektive Auswahl der Kuratoren unter künstlerischen Gesichtspunkten wieder, so Sophia Pietryga.
Eigentlich sollte das Rechenzentrum dem Neubau der Garnisonkirche weichen. Im vergangenen Jahr ist der Vertrag um fünf Jahre verlängert worden. Es soll in der Nähe ein neues Kunstquartier entstehen. Der Umzug ist für 2023 geplant. „Uns war es wichtig, eigenständige bildnerische Positionen zu finden, die das ganze Schaffen im Rechenzentrum zeigen“, sagt Sophia Pietryga beim gestrigen Presserundgang im Kunstraum. Es handele sich um eine Auswahl unter den gegenwärtig etwa 50 bildenden Künstlern im Rechenzentrum, in dem es insgesamt etwa 250 Kreative gibt, so Mike Geßner.
Es habe bei der Vorbereitung der Ausstellung einige Entdeckungen gegeben, so Sophia Pietryga. Nicht alle künstlerischen Positionen seien gleichermaßen in der Öffentlichkeit bekannt. So tritt die Malerin Iris Klauck in einem von ihr gemalten Bild sehr stimmig mit überraschend expressivem Gestus als Boxerin dem Betrachter entgegen. Mit roten Boxhandschuhen posiert die Künstlerin vor zwei aufrechten Bären und einer Eislandschaft. Dem gegenüber steht die große, helle Bretterwand eines Holzkastens der Künstlergruppe Dreimeterturm, bestehend aus Birka Pannicke, Roman Lindebaum und Tobias Koch. „Bei einem Kasten, bei dem man erst einmal den Zweck nicht erkennt, geht der Gedankenapparat gleich los“, sagt Lindebaum. Die Gruppe hatte entsprechende Holzverkleidungen im Park Sanssouci aufgestellt und dort reges Interesse der Besucher geweckt, die nicht wussten, was sich darin befinde. Nun wiederholt sich das Experiment im Kunstraum, allerdings mit einer begehbaren Holzkonstruktion. Darin aufgehängt: Din A4 Blätter mit Zeichnungen oder Grafiken von Künstlern, die Dreimeterturm eingeladen hat. Der meterhohe Kasten steht mit der offenen Seite zum Schaufenster des Ausstellungsraumes, ist also von außen und damit für die vorbei fahrenden Autofahrer einsehbar.
Zu der Installation der Künstlergruppe gesellen sich die Bilder von Ingo Pehla. Die tragen Titel wie „Das Tor“, „N.Y. Towers“, oder „Sanssoucci“, sind aber doch erst einmal präzise, abstrakte Farbkompositionen.
Ganz eindeutig personifizieren lassen sich dagegen die von Menno Veldhuis und Simone Westphal mit kleinen Filzpuppen nachgebildeten Personen. „The post mortem felted club / Salon of the reincarnated“ ist der Titel des Personenkabinetts. Die Dargestellten seien alle mit weniger als 50 Jahren gestorben, erklärt Sophia Pietryga. Zu sehen sind unter anderem Frida Kahlo, Jean-Michel Basquiat und Jackson Pollock. Anlass für die in Figuren gefasste Reflexion über die Sterblichkeit sei ein Schlaganfall des heute 44-jährigen Künstlers Menno Veldhuis 2015 gewesen, so die Kunsthistorikerin Jutta Götzmann. Die Konfrontation mit dem nahen Tod habe für den Künstler eine Suche nach einer neuen Identität eingeleitet.
Irgendwo zwischen Nachdenklichkeit und Ratlosigkeit ergreifen den Betrachter die surrealen Bilder von Marine Louvel: großformatige Köpfe mit übergroßen Augen, Porzellanhaut und knopfförmigen Pupillen, gemalt in sorgfältig geschichteter Lasurmalerei. „Insight“ und „Polyzephalie“, also Vielköpfigkeit, sind die Titel. Auch wenn die Künstlerin es nicht eindeutig benennt, tauchen unwillkürlich Gedanken an Genmanipulation und unheilvolle medizinische Experimente auf. Louvel sei eine Neuentdeckung bei ihren Recherchen gewesen, bemerkt Sophia Pietryga.
Einen Gegenpol zu der unheimlichen anmutenden Arbeit von Louvel bildet die Installation von Kathrin Ollroge. „Raum für Gedanken“ ist der Titel. An Fäden befestigt finden sich kleine Karten, auf denen Ollroge die Gedanken der Menschen notiert hat, die sich zu ihrem Zusammenleben mit anderen geäußert haben. Seit 2014 reist die Künstlerin mit ihrem Projekt durch Ostdeutschland. So seien mehr als 1000 Einblicke und ein wichtiges Zeitdokument über den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft entstanden, sagt die Künstlerin. Dokumentarisch mit einem Film festgehalten hat Roman Lindebaum auch die Gewohnheiten einzelner Menschen beim Schuhe zubinden. „Das ist ein ganz individueller Vorgang. Das habe ich gemerkt, als ich es meinen Kindern beigebracht habe“, so Lindebaum.
Eine Dokumentation mit Film und Fotos zum Rechenzentrum zeigen Kristina Tschesch und Elias Franke im Dachgeschoss. Zur Vernissage sind Performance Künstler eingeladen. Zum Thema der Datenverarbeitung wird sich ein vielstimmiger Chor den Raum ersingen.
» Eröffnung am 10. Januar 2019 um 19 Uhr. Zu sehen bis 17. Februar, Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse 4d.
Richard Rabensaat
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