Ausstellung: Kosmos auf Papier
Noch ein Geschenk: Das Berliner Kupferstichkabinett zeigt die vor einem Jahr übergebene Sammlung Christoph Müller.
Es muss so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Urvertrauen, selbst wenn es nur eine Arbeitsbeziehung ist. Eine langjährige allerdings, mit besten Zukunftsaussichten.
Als Christoph Müller, Journalist und Verleger des „Schwäbischen Tagblatts“, vor Jahren tageweise im Studiensaal des Berliner Kupferstichkabinetts erschien, um die weltberühmte Sammlung niederländischer Zeichnungen zu studieren, konnte sich Holm Bevers nur wundern. Den quirlig-intellektuellen Herrn hatte der Kustos für niederländische Zeichnung und Druckgrafik nie zuvor gesehen. Mehr noch: Müller ließ sich die nach Künstlernamen geordnete Sammlung alphabetisch vorlegen. Da muss der Funke übergesprungen sein: Systematiker unter sich – auch wenn Müller damals nur bis zum Buchstaben „L“ gekommen ist.
Seit gut fünf Jahren sammeln Müller und Bevers nun gemeinsam. Der Museumsmann berät, der Sammler kauft – und schenkt, ohne Wenn und Aber. Vor einem Jahr unterschrieben Müller und Berlins Museums-Generaldirektor Peter- Klaus Schuster den längst verabredeten Schenkungsvertrag. Die Sammlung – 240 Zeichnungen, 130 Drucke und Grafikserien, weit über 600 Blatt – ist die erste vorbehaltlose Schenkung in der an Mäzenen reichen Geschichte des Berliner Kupferstichkabinetts. Eine Jahrhundertgabe. Vor allem: eine Erinnerung an die 1933 untergegangene Berliner Sammlerkultur. Müller erklärt: „Mein ganzer Stolz.“
Nach einem Jahr wissenschaftlicher Bearbeitung zeigt das Kabinett nun unter dem – zwischen Kustos und Sammler lustvoll erstrittenen – Titel „Erfundene Wirklichkeit“ eine wahrlich enzyklopädische Auswahl aus Müllers Schätzen: 80 Zeichnungen und 40 Druckgrafiken, aus den protestantischen nördlichen und den katholischen südlichen Niederlanden, entstanden zwischen dem späten 16. und frühen 19. Jahrhundert. Und Müller, Sammler-Maniac seit 22 Jahren, der das „Tagblatt“ verkauft hat und wieder in Berlin lebt (dort hatte er beim Tagesspiegel seine journalistische Karriere begonnen), akquiriert weiter. Zur Ausstellungseröffnung am Donnerstagabend, so die gut gelaunte Ankündigung während der Pressekonferenz, erwarte das Publikum eine weitere Überraschung aus seinem Fundus. Der Mäzen sieht es als lustvolle Verpflichtung: „Gut, dass ich hier gelandet bin. Und weiterhelfen kann.“ Selbst für Führungen steht der Sammler bereit – und für einen Abendvortrag im Rahmen der Studioausstellung, die das Kabinett seinem vor 50 Jahren im Amsterdamer Exil gestorbenen Direktor Max J. Friedländer widmet. Müller bewundert den intellektuellen Kunst- und Bücherkenner.
Und Müllers Sammlung im Berliner Kabinett? Sie heilt Kriegswunden, kompensiert Verluste, setzt neue Akzente. Etwa bei den Zeichnungen des 18. Jahrhunderts, die bislang in der mit Rembrandt und Hollands „Goldenem Zeitalter“ prunkenden Berliner Weltklassekollektion schmerzlich unterrepräsentiert waren. Richtig berühmte Namen wie Rembrandt, Rubens oder Van Dyck sucht man bei Müller vergebens. Obgleich bekanntere Künstler wie der Marine-Spezialist Willem van de Velde oder der in Prag und Holland tätige Flame Roelant Savery mit exquisiten Zeichnungen vertreten sind, brilliert seine Auswahl mit Zeichnern (und Grafikern) der zweiten Reihe. Darunter finden sich so großartige Entdeckungen wie der Amsterdamer Landschafts-Feinzeichner Paulus van Hillegaert oder die lupenreinen Detailstudien seltener exotischer Pflanzen der Blumen- und Tiermalerin Alida Withoos. Meisterblätter, die die Spannbreite holländischer Realitätskunst zwischen Erfindung und Wirklichkeit ganz ausfüllen. Und, so sie von talentierten Dilettanten stammen, für die künstlerische (Freizeit-)Kultur einer bürgerlichen Epoche stehen.
Sie runden und ergänzen das Spitzenkonvolut der Berliner Niederländer zum kulturhistorischen Dokument. Das ist vor allem Holm Bevers Verdienst, der mit seinen immensen Kenntnissen für die Entdeckung längst vergessener Künstler im Müllerschen Kosmos gesorgt hat. Unbekannt war die Sammlung seit der Erstausstellung 1996 nicht mehr, erkannt wird sie erst jetzt.
„Ohne Holm Bevers hätte ich sie nicht nach Berlin gegeben“, resümiert der glückliche Schenker. Eine persönliche Beziehung, wie sie sich zur Berliner Gemäldegalerie nicht herstellen ließ. Müller besitzt auch eine hochklassige Sammlung niederländischer Malerei. 2011, wenn Cornelia von Berswordt-Wallrabe, die jetzige Direktorin des Staatlichen Museums Schwerin, pensioniert wird und ein altmeisterliebender Nachfolger gefunden sein sollte, gehen Müllers Bilder nach Schwerin: in Müllers Lieblingsmuseum. Auch mit dem dortigen Kurator sammelt er seit Jahren gemeinsam.
Kupferstichkabinett am Kulturforum, von Freitag, den 27. Juni, bis 19. Oktober. Katalog im G+H Verlag, 29,50 €
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