Kultur: Kniefall vor Eisbären
Mit „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ gelingt Regisseur Tobias Wellemeyer eine wunderbare Umarmung des Autors John von Düffel
Wenn man den roten Faden des Potsdamer Autors in zwei Buchstaben und einer Zahl ausdrücken wollte, so wäre das: H2O. Wasser ist elementar, und geradezu symbolisch. Dieser Symbolik ist sich auch von Düffel bewusst, widmete er sich doch in seinem letzten Werk „Wassererzählungen“ dem titelgebenden Element. Ein Buch, das in elf Kurzgeschichten die Kühle des Wassers nachempfindet, mit Geschichten, die er in herausgenommenem Tonfall erzählt, weit ab von jeder Wertung – und dennoch so nah am Menschen, am Leben, dass man unweigerlich in den Strudel gezogen wird.
Nun ist John von Düffel aber auch eng mit dem Hans Otto Theater verbunden, ein Teil des Ensembles quasi, Zuarbeiter, Umschreiber, Stückelieferant – ein von Leidenschaft geprägter Mensch, dem Intendant Tobias Wellemeyer mit der Inszenierung der „Wassererzählungen“ unter dem gelungenerem Titel „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ am vergangenen Freitag mit der Uraufführung ein Denkmal zu setzen versuchte. Vielleicht mag er das nicht gern hören, vielleicht wollte er das auch gar nicht so bewusst – aber er hat es letztendlich getan.
Nein, alle elf Erzählungen wie im Buch hat Wellemeyer dem Publikum nicht angetan, wieso auch? Vielmehr schafft er es, mit drei Geschichten aus dem Gesamtwerk eine abendfüllende Inszenierung zu gestalten, die weder ein Kniefall vor von Düffel sind noch ein auf Theatertauglichkeit gebürstetes Stück, dass der Vorlage nicht gerecht wird. Das wird sie nämlich: Das permanente Wanken wird auf eine der Erzählungen des Buches zurückgesetzt – und damit gleichzeitig der Rahmen für die Inszenierung geliefert. „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ erzählt einen Monolog im Buch und auch im Stück, die Hauptfigur (Jon-Kaare Koppe) ist auf einer Kreuzfahrt durch den norwegischen Norden, er hat seine Tochter dabei, eine tragische, oftmals hilflose Beziehung – und er telefoniert mit seiner Exfrau, um ihr zu versichern, dass es beiden gut gehe – was eigentlich nicht stimmt.
Drei Anrufe werden die Rahmenhandlung des Stückes liefern, drei wortreiche Monologe, die Koppe mit langem Atem und beeindruckender Intensität spielen wird. Ein bisschen Multimedia gesteht der eher traditionelle Intendant dann auch zu: Auf einer Leinwand läuft ein Film ab, Koppe agiert hinter dieser, und hinter ihm ein Aquarium – eingezwängt in dieser Vielschichtigkeit „telefoniert“ er, im blauen Regenparka, ohne ein Telefon in der Hand – eine Art Schiffsskype lässt ihm den Raum zum Gestikulieren. Die Inszenierung geht ein Risiko ein: Es wird wenig gespielt, dafür viel geredet, die Last liegt einzig und allein auf den Schultern des Autors – als würde man aus den „Wassererzählungen“ vorlesen. Aber – und hier kommt der Zeitpunkt, auf Holz zu klopfen – der Plan geht auf: Wellemeyer transportiert die Intensität des Textes auf die Bühne, so als wären die Geschichten nur dafür geschrieben worden. Man könnte Koppe dabei als Glücksgriff bezeichnen, aber das greift zu kurz: Für textintensive Rollen ist dieser Mann einfach die perfekte Wahl, und das weiß man auch im Hans Otto Theater.
Lösen wir den Blick von Koppe, der ja allzu früh als Held des Abends festgelegt wird, denn es gibt noch mehr: Man stelle sich eine Schwimmerin vor, deren Aufgabe es ist, in einem Aquarium zu schwimmen, ohne die Gewissheit, dabei beobachtet zu werden – sie wird gut bezahlt dafür: Zwei Stunden Schwimmen, am Ende liege ein Briefumschlag auf dem Tisch. Nun muss sie eine Nachfolgerin finden. Der Dialog zwischen Christiane Hagedorn, die Patrizia Carlucci nominiert, bezeichnet eine Gewissensfrage: Ist die Bewegung einer Schwimmerin im Becken nicht etwa dazu geeignet, eine in ihrer Ästhetik erhöhte Form der Pornografie zu sein, ein „mentaler Blowjob“? Keine Panik, das wird selbstverständlich ausdiskutiert werden, Blut wird fließen, Tränen ebenso, bevor die Erkenntnis einsetzt, dass Schwimmen nicht nur Wasserkontakt ist, sondern Katharsis: Ein Plädoyer für die Ästhetik, die sich wie Ebbe und Flut ausbalancieren lassen muss.
Und auch dass die „Fetzenfrau“ (Marianna Linden) ihre komplizierte Beziehungsstruktur veröffentlicht, reiht sich in den Regentanz ein, wenn auch die Wassergeschichte doch eher blass ist – bis auf das Aquarium im Hintergrund. Aber warum auch – denn das sind nun mal die zwischenmenschlichen Geschichten, die einen da packen, wo man am verletzlichsten ist: mitten im Genick. Danke dafür, John von Düffel.
Nächste Aufführung von „Das permanente Wanken und Schwanken von eigentlich allem“ am Samstag, 22. November, um 19.30 Uhr.
Oliver Dietrich
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