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"90 Minuten" eröffnet Jüdisches Filmfestival: Kickern für den Frieden

„90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden“ von Eyal Halfon bietet eine scheinbar simple Lösung für den Nahostkonflikt: Ein Fußballspiel. Die nachdenkliche Satire hat auf dem Jüdischen Filmfestival in Potsdam Weltpremiere.

Da stehen sie nun. Zwei Direktoren, die zusehen, wie ihre Teams ins Stadion einziehen. Dumpf dringt der Jubel zu ihnen vor, kurz streifen sich die Blicke, ein letztes Zunicken, dann folgen sie ihren Spielern. Hinein in das gleißende Stadionlicht, hinein in eine ungewisse Zukunft. Denn die Zukunft ist es, die in Eyal Halfons Film „90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden aka. Milhemet 90 Hadakot“ auf dem Spiel steht – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Fußballspiel soll hier nämlich Ruhe in den ewig andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt bringen. Klingt nach einer wahnwitzigen Idee? Eine originelle Filmidee ist auf jeden Fall, denn die deutsch-israelische Produktion kommt als tragischkomische Satire auf den Nahost-Konflikt daher, die nicht immer zum Lachen, aber dafür mehr als einmal zum Nachdenken anregt.

Detlev Buck als Trainer der israelischen Mannschaft

Sowohl Israelis als auch Palästinenser sind die ewigen Konflikte, Verhandlungen und Kompromissversuche endgültig leid. Die Lösung: Beide Seiten stellen ein Fußballteam, in einem Match soll sich das Schicksal beider Völker entscheiden. Der Einsatz ist nicht gerade niedrig. Wer verliert, muss gehen. Wer gewinnt, darf bleiben – ein für alle mal. Was nach einer simplen Lösung klingt, ist natürlich so weit davon entfernt, wie es überhaupt nur geht. Da wären zum einen Herr Chairman (Moshe Ivgy) und Ziad Barguti (Norman Issa), die Chefs der beiden Mannschaften, die sich weder über einen Schiedsrichter, noch über die Teilnahmebedingungen der Spieler einig werden können oder wollen. Beide Seiten versuchen immer wieder, mit hinterlistigen Tricks ihren Gegner auszuloten. Als wäre das noch nicht genug, hat Herr Müller (Detlev Buck), der deutsche Trainer der israelischen Mannschaft, auch noch Bedenken wegen seiner großen Verantwortung, ein Spieler mit israelisch-palästinensischen Wurzeln fühlt sich zwischen den Fronten gefangen, die Presse schaukelt sich hoch und die Bevölkerung demonstriert gegen den unpolitischen Lösungsansatz. Immerhin ein neutraler Austragungsort des Spiels steht fest: Ein Stadion in Portugal soll die Arena für den wichtigsten Sportkampf der Geschichte werden, der vor Ort eher für Belustigung als Anteilnahme sorgt.

Regisseur Eyal Halfons inszeniert „90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden aka. Milhemet 90 Hadakot“ als Mockumentary, also eine fiktive Dokumentation, die das Fußballspiel begleitet. Allein dieser Blick, der mehr auf, als in die Figuren schaut, verleiht dem Film eine gewisse Leichtigkeit, die auf wuchtige menschliche Dramen verzichtet. Und es erlaubt dem Regisseur absurde Szenen einzubauen, die scheinbar wie nebenbei aufgenommen wirken und somit nicht in der Lächerlichkeit versacken. Etwa wenn sich der israelisch-palästinensische Spieler mehr um sein neu erworbenes Auto als um seinen Seelenfrieden zu sorgen scheint und die Frau des portugiesischen Veranstalters immer wieder versucht, ihren Cousin als Schiedsrichter mit einzubringen. Überhaupt sind es die Szenen mit den portugiesischen Landsleuten, die wirklich komisch sind. Sie verkörpern die Draufsicht auf die Draufsicht. Die Außensicht auf einen Konflikt, den kaum noch jemand überblickt. Während Grenzsoldaten schon einen schlaffen Fußball als Provokation betrachten, überlegt man in der portugiesischen Bar-Runde erst einmal, ob jetzt eigentlich die Al-Qaida oder der IS in den Streit zwischen Israel und Palästina involviert sind. Oder gehören die doch zu Syrien? Eigentlich auch egal. Viel merkwürdiger ist doch, dass ein Mensch gleichermaßen israelisch und palästinensisch sein kann. Was genau ist er dann eigentlich? Ein arabischer Jude oder ein jüdischer Araber? Geht das überhaupt? Ach so, und ist der Cousin jetzt auch endlich Schiedsrichter geworden?

Furchtbar verstrickter Streit

Es sind diese Szenen, in denen sich der Zuschauer nicht alleine fühlt. Nicht alleine in seiner Hilflosigkeit angesichts dieses furchtbar verstrickten Streites, der selbst in den klaren Regeln des Fußballspiels keine Ruhe findet. Denn all die Tricks und Einschüchterungsversuche der beiden Teams zeigen letztendlich nur, wie verhärtet der Konflikt vor Ort wirklich ist. Wie Generationen darauf getrimmt werden, sich gegenseitig zu hassen und dem Gegner auf keinen Fall auch nur einen Vorteil erlauben. Immer wieder zeigt sich das in den Figuren der beiden Teamdirektoren, die sich nicht einmal beim Einsteigen in die Limousine einigen können, wer sich zuerst setzen darf. Moshe Ivgy und Norman Issa, beide gefeierte Stars in Israel, spielen die verhärteten Fronten in Form von zwei Sturköpfen, die sich der Ernsthaftigkeit der Lage durchaus bewusst sind. Und so witzig all ihre Streitereien und bösen Zungenschläge sind, so sehr lässt es einen schlucken, wenn Norman Issa erschöpft auf seinem Bett sitzt und traurig bedauert, dass nie ein Kompromiss gefunden werden konnte, der beide Länder friedlich beieinander leben lässt. Wie ein Warnzeichen setzt sich die Szene im Kopf fest. Ein Warnzeichen es gar nicht erst zu solchen eisernen Fronten kommen zu lassen – eine Gefahr, die auch in der aktuellen Flüchtlingssituation nicht so weit weg scheint. Und so bleiben die traurig-entschlossenen Gesichter der beiden Teamdirektoren, die in das Stadion einlaufen noch lange vor dem inneren Auge stehen, der Jubel nach dem Spiel als bitterer Nachgeschmack auf der Zunge. Jedoch ein Nachgeschmack, den man gerne noch ein wenig im Mund behält und der Lust auf mehr Filme wie diesen macht.

90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden aka. Milhemet 90 Hadakot“ läuft auf dem Jüdischen Filmfestival am Samstag im Hans Otto Theater um 19.30 Uhr und am 18. Juni um 19 Uhr im Berliner Babylon Kino. Ab dem 30. Juni ist der Film regulär im deutschen Kino zu sehen. 

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