"Minna von Barnhelm" im Q-Hof: Kein Lustspiel
Irritierend und nachdenklich: Das Poetenpack Potsdam spielt Lessings „Minna von Barnhelm“ - mit trashiger Unbeschwertheit, die ziemlich nervt.
„Das Soldatenglück“ heißt der Untertitel von Gotthold Ephraim Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“. Aufführungsankündigungen unterschlagen ihn zumeist, auch das Theater Poetenpack, das es jetzt in seinen Spielplan aufgenommen hat, reiht sich da ein. Dabei hat er das gleiche Recht, genannt zu werden, Lessing macht schließlich Kriegsheimkehrer zu seinen Protagonisten: Der preußische Major von Tellheim ist traumatisiert vom Siebenjährigen Krieg, ein gebrochener Held, schwer verwundet, entehrt. Weil man ihn wegen einer ungerechtfertigten Anschuldigung aus der Armee entlassen hat, steht er plötzlich mittellos und scheinbar ohne Lebenssinn in einer Welt, die er nicht mehr versteht. Das Soldatenglück hat ihn verlassen. Zutiefst in der Ehre verletzt, bricht er den Kontakt zu seiner Verlobten Minna von Barnhelm ab, deren Liebe er sich als sozialer und körperlicher Krüppel nicht mehr für würdig hält.
In der Theatergeschichte musste sich Lessings „Minna von Barnhelm“ schon viel gefallen lassen: Für das angeblich einzige deutsche Lustspiel seiner Zeit, hieß es, sei das Werk zu trübe. Heute gilt „Minna“ oftmals als staubiger Schulbuch-Klassiker. Seinerzeit, 1763, sorgte sie für Kontroversen: zu französisch frivol und politisch ambivalent. Vier Jahre musste das Stück warten, ehe es uraufgeführt werden konnte.
Äußerer Anlass für das Potsdamer Poetenpack, es in diesem Sommer zu inszenieren und am vergangenen Donnerstagabend im Q-Hof zur Premiere zu bringen, war die erste Landesausstellung Brandenburgs im Schloss Doberlug. Die Geschichte der sächsisch-preußischen Nachbarschaft wird dort anhand von sehenswerten Exponaten erzählt und Lessings Stück ist wohl wie kaum ein anderes geeignet, sich in die Ausstellungs-Reflektion einzumischen. Schließlich sind seine Hauptfiguren auch vom Siebenjährigen Kriegs betroffen.
Eine unbeschwerte Sommerunterhaltung sollte man von Lessings Stück sowieso nicht erwarten. Vor einem ernsten Hintergrund lässt Regisseur Michael Neuwirth zwar zunächst viel trashige Unbeschwertheit walten, die ziemlich nervt: Da gibt es Zitate aus der Popkultur oder der Comedy, da formiert sich Lessings Sprache nicht mit der Lebenswelt unserer Zeit, in die Neuwirth das Lustspiel verlegt hat. Nicht in einem Hotel spielt hier die „Minna“, sondern in einer Ferienhaussiedlung. Ausstatterin Janet Kirsten baute in den Q-Hof einen Bungalow mit gemütlicher Terrasse und Liegestühlen davor.
Hier kommen das sächsische Edelfräulein Minna von Barnhelm (Sophie Lochmann) und ihre Kammerjungfer Franziska (Simone Kabst) unter, von hier aus ist man auf der Suche nach dem Preußen-Major Tellheim (Andreas Hueck). Eine verwöhnte Göre aus reichem Haus, die ganz und gar in der Spaßgesellschaft zu Hause ist, erwartet einen strahlenden Helden und Liebhaber. Doch die Realität sieht anders aus. Sie erlebt einen Offizier, der sich als Kriegsversehrter im Rollstuhl bewegen muss. Doch es sind nicht körperliche Wunden, die ihn schmerzen. Er will sich in männlichem Stolz nicht eingestehen, dass er die Qualen des Krieges nicht verarbeiten kann, dass er ein seelischer Krüppel ist. Eine Ehe mit Minna kann er, der unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde und alles Geld verloren hat, so nicht eingehen. Minna muss nun erleben, welche Leiden der Krieg für den Menschen bereithält. Sie versucht Tellheim redegewandt und trickreich ein Stück Hoffnung für ein gemeinsames Leben zu geben. Doch vergebens.
Neuwirth aber folgt zum Schluss nicht Lessings aufklärerischer Idee, die Liebe besiege alles Leid, das der Krieg bringt. Er lässt die gereifte Minna von Barnhelm untergehen. Sie wird durch einen Schuss Tellheims getötet. Aber auch Tellheim macht mit sich Schluss. Der Krieg hat alles Lebens- und Liebenswerte zunichtegemacht. Dieser Ansatz ist nicht so ganz neu, 2011 hat bereits das Dresdner Staatsschauspiel den Stückschluss so interpretiert. Aber sie ist auch eine mögliche Aktualisierung angesichts von Kriegsereignissen und traumatisierten Soldaten. Die 250-jährige Komödie wird zu einer Tragödie. Für viele Zuschauer war diese überraschende Wende irritierend, vielleicht regte sie zum Nachdenken an. Wo sind aber die Aufklärer der neuen Generation? Bei Neuwirth sind sie nicht auszumachen. Auch beim kriegserfahrenen Wachtmeister Paul Werner (Reiner Gabriel) nicht. Der möchte nämlich unbedingt in einen neuen Krieg ziehen und die ansonsten so gescheite Franziska will vor lauter Liebe zu Werner mit.
Das insgesamt homogene Ensemble folgt den Intentionen des Regisseurs mit Intensität. Für das etwas bizarr gezeigte Lustspiel vor der Pause sowie der abgründigen Tragödie, die kein Zeichen von Optimismus in sich trägt, haben sie jeweils eine wirkungsvolle Gestaltung parat.
Weitere Aufführungen der „Minna von Barnhelm“ finden am heutigen Samstag um 20 Uhr sowie am 24., 26. und 31. Juli und am 2. August im Q-Hof, Lennéstraße 37, statt.
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