Fest für neue Musik in Brandenburg: Intersonanzen: Frauen, die Lärm machen
Die Intersonanzen, Brandenburgs Fest für Neue Musik, erfinden sich neu - und knüpfen dabei an traditionelle Muster der Musikgeschichte an.
Potsdam - Eine Ballerina muss stumm sein, leicht wie eine Feder und möglichst lächeln – so heißt es im klassischen Ballett. Doch das gilt nicht für die Audio-Ballerinas von Benoît Maubrey. Rund sieben Kilo wiegt ihr Tutu, das mit einer Klanganlage und mit wiederaufladbaren Akkus bestückt ist. Damit sollten sie zwar keine großen Sprünge machen oder Pirouetten drehen, aber sie können etwas, was keine klassische Tänzerin kann. Denn die sogenannten Audio-Ballerinas tragen Lichtsensoren, mit denen sie Töne aus ihrer Umgebung aufnehmen und gleichzeitig mit eigenen Bewegungen wiedergeben. „Multiakustische Klangskulpturen“ nennt sie ihr Erfinder Benoît Maubrey oder auch etwas profaner: „Frauen, die Lärm machen.“
Liebreizende oder verführerische Klänge darf man kaum von diesen Techno-Tänzerinnen erwarten, wenn sie am Sonntag im Rahmen des Festivals Intersonanzen im Sans Titre auftreten werden. Die Audio-Ballerinas sind dennoch klassisch ausgebildet, sie treten meistens in einer Vierergruppe auf und folgen einer Choreografie. Solch einen Plan hat Benoît Maubrey auch für den Auftritt der Audio-Ballerinas im Kunsthaus Sans Titre am Sonntag im Kopf. Bei dieser Uraufführung im Rahmen des Festivals Intersonanzen werden die Audio-Ballerinas Klänge aus der Ausstellung holen und diese Transformationen dann wieder zurückbringen und mit den originalen Klängen konfrontieren.
„Es geht nicht nur um die Zwischentöne in der Musik selber, sondern auch um das, was zwischen den Menschen passiert“
Benoît Maubrey ist ein bisschen stolz darauf, dass seine Audio-Ballerinas bereits in alle Welt eingeladen wurden. Das von ihm bereits in den 1980er-Jahren entwickelte Konzept ist inzwischen ein Klassiker in der Neue-Musik-Szene. Der Multimedia-Künstler gibt unter dem Namen Electronic Guy auch selbst spektakuläre Performances. Dabei trägt er manchmal einen akustischen Smoking, den er einst für den früheren Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen entworfen hat. Allerdings hat dieser das teure Teil nicht getragen. Es entbehrt auch nicht einer gewissen (Selbst-)Ironie, dass Maubrey für männliche Tänzer den Audio Peacock mit einem prächtigen, lautsprecherbestückten Pfauenschwanz entwickelt hat.
Der Aufritt der Audio-Ballerinas steht fast am Ende des Intersonanzen-Festivals, das in diesem Jahr alles anders zu machen verspricht. Unter der Leitung von Thomas Gerwin, der im Juni überraschend an die Spitze des Brandenburgischen Vereins für Neue Musik gewählt wurde, finden alle Konzerte im Kunsthaus Sans Titre statt. Das übergreifende Thema „Zwischentöne“ behandelt unterschiedliche Aspekte der ernsten Neuen Musik, sagt Thomas Gerwin. „Es geht nicht nur um die Zwischentöne in der Musik selber, sondern auch um das, was zwischen den Menschen passiert.“ Ganz wichtig ist für Gerwin, der sich als vielseitiger Klangkünstler und Kurator einen Namen gemacht hat, der Dialog zwischen Musikern und Zuhörern. Das Publikum wird bewusst zur aktiven Teilhabe aufgerufen. Unter den elf Konzerten finden sich bekannte Namen der Potsdamer und Berliner Musikszene wie Alex Nowitz, Gisbert Näther und Stefan Lienenkämper.
Ein Teil der Musikgeschichte, die immer wieder neu ist - und doch an traditionelle Formen anknüpft
Der Potsdamer Komponist Michael Schenk bietet zudem am Sonntag einen Spaziergang zu Klangorten in der Stadt an. Intersonanzen will aber auch über den Tellerrand hinausblicken, und so wird es erstmalig ein Tele-Simultan-Konzert zwischen Potsdam und Toronto geben. Dass man anschließend mit Teilen des Programms nach Schwedt, Eberswalde und Cottbus reist, gehört ebenfalls zum neuen Konzept von Thomas Gerwin, der bei dem Altmeister der Neuen Musik, Erhard Karkoschka, studiert hat. Seine eigene Arbeit versteht er als Teil der Musikgeschichte, die immer wieder neu ist und doch an traditionelle Formen anknüpft – ganz so wie die Audio-Ballerinas.
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Intersonanzen: Das Programm
Die Intersonanzen finden vom 27. bis 29. Oktober im Kunsthaus Sans Titre statt. Eröffnet wird am Freitag um 19.30 mit Klangkunstwerken unter dem Titel „Klang im Raum“. Um 20.30 Uhr spielt das Ensemble LUX:NM in „Zeit-Lauf“ Uraufführungen u.a. von Ralf Hoyer, um 22 Uhr gibt der Akkordeonist Neza Torkar das Solokonzert „Zungen, freischwebend“. Der „lange Samstag“ beginnt um 10 Uhr mit dem Preisträgerkonzert von „Jugend komponiert“, um 20 Uhr gefolgt von dem Bremer Schlagzeugensemble mit „Anschlagskultur“. Um 22 Uhr spielt das Ensemble via nova Weimar Uraufführungen u.a. von Gisbert Näther, um 0 Uhr kommen das Potsdamer Stream-Ensemble und das Electro Acoustic Orchestra aus Toronto virtuell im Simultan-Konzert zusammen. Sonntag um 10 Uhr lädt Michael Schenk zum Klangspaziergang, um 16 Uhr performen zum Abschluss die Audio-Ballerinas. PNN
Babette Kaiserkern
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