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Ein beschossenes Plakat von Baschar al Assad.
© Reuters

Garance Le Caisnes Buch über "Caesar": In Syriens Folterkerkern

Die Journalistin Garance Le Caisne erzählt die Geschichte von „Caesar“, der Fotograf bei der syrischen Militärpolizei war. Eine Rezension.

Dieses Buch ist kaum auszuhalten. Es erschreckt mit Schrecklichem. Mit Leid und Tod. Gezeigt wird das Unvorstellbare zwar nicht. Fast 250 Seiten Text kommen ohne ein einziges Bild aus. Obwohl es um Fotos geht. Zehntausende, die alle aus den Kerkern des Assad-Regimes stammen. Doch in „Codename Caesar“ wird eindringlich in Worte gefasst, was vermutlich bis heute in Syriens Gefängnissen vor sich geht. Und das reicht völlig aus, um sich ein Bild zu machen: Syriens Präsident Baschar al Assad und seine Schergen lassen Menschen zu Tode quälen, so massenhaft wie systematisch. Dafür hat „Caesar“ eindeutige Beweise gesammelt. Und im Buch der französischen Journalistin Garance Le Caisne erklärt der frühere Fotograf der Militärpolizei, wie die staatliche Tötungsmaschinerie arbeitet. Es ist ein beklemmender Bericht aus dem Inneren eines skrupellosen, menschenverachtenden Sicherheitsapparats.

Anfangs trug jeder leblose Körper einen Namen

„Caesar“ – das ist der Deckname für einen Mann, der vor dem „Arabischen Frühling“ die Aufgabe hatte, Tat- und Unfallorte zu fotografieren, sofern Soldaten an den Vorfällen in irgendeiner Form beteiligt waren. Allzu viel gab es nicht zu tun, ein ruhiger Job. Das änderte sich allerdings ab März 2011, als ein Teil der Syrer gegen den Diktator aufbegehrte und die Staatsmacht mit großer Brutalität darauf reagierte. Von da an musste „Caesar“ Leichen von Zivilisten aufnehmen. Alles „Terroristen“, erklärten ihm die Rechtsmediziner als seine Vorgesetzten. Doch es waren friedliche Demonstranten. Unter ihnen auch Kinder und Jugendliche.

Anfangs trug jeder leblose Körper einen Namen. Nach einigen Monaten gab es nur noch Nummern – eine für den Toten selbst, die zweite für die Geheimdienstabteilung, die den Gefangenen inhaftiert hatte. Mehrere Fotos mussten pro Leiche gemacht werden: vom Gesicht, vom ganzen Körper, von der Seite, vom Oberkörper, von den Schenkeln. Und es wurden Akten angelegt. Bürokratischer Aufwand einer Diktatur.

Caesar war sofort klar, dass die Menschen durch schwere Misshandlungen ums Leben gekommen waren. „Einmal war der Abdruck einer Heizplatte zu erkennen, wie man sie benutzt, um Tee zu erhitzen. Man hatte einem Gefangenen Gesicht und Haare damit verbrannt. Manche hatten tiefe Schnitte, herausgerissene Augen, eingeschlagene Zähne, Spuren von Schlägen mit Starterkabeln. Es gab Wunden, die voller Eiter waren, als hätten sie sich infiziert, weil man sie lange nicht versorgt hatte.“ Und auch das stand für Caesar rasch fest: „Vor der Revolution folterten die Mitglieder des Regimes, um an Informationen zu kommen. Heute foltern sie, um zu töten.“

„Ich habe Angst, dass sie mich finden“

Zwei Jahre lang dokumentiert der Militärfotograf Tag für Tag Gewalt und Tod. Nach Dienstschluss kopiert „Caesar“ dann die Aufnahmen heimlich auf einen USB-Stick und auf CDs. Eine lebensgefährliche Aktion. 2013 setzt er sich schließlich aus Damaskus ab, samt seinem brisanten Datensatz: Fast 30 000 Fotos von Menschen, die in syrischen Gefängnissen getötet und dann in Massengräbern verscharrt wurden. Es sind auch 30 000 Beweise gegen Assad.

Nach der Veröffentlichung der Bilder Anfang 2014 taucht Caesar ab, er soll sich heute irgendwo in Nordeuropa versteckt halten. Denn der „Staatsfeind“ fürchtet sich vor dem langen Arm des syrischen Geheimdienstes. „Ich habe Angst, dass sie mich finden und eliminieren oder sich an meiner Familie rächen“, sagte Caesar vergangenes Jahr dem britischen „Guardian“. Ob Assad und seine Helfershelfer irgendwann einmal für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, ist dagegen mehr als fraglich. Die Echtheit der Fotos wird nicht bezweifelt. Die amerikanische Bundespolizei FBI, Menschenrechtsorganisationen und andere Experten haben keine Bedenken.

Der Westen setzt in Syrien allerdings längst andere „realpolitische“ Prioritäten als den Sturz und die mögliche Bestrafung des Machthabers. Baschar al Assad gilt mit Blick auf die Terrormiliz „Islamischer Staat“ als ein kleineres Übel. Kriegsverbrechen werden da schnell ausgeblendet. Genau das macht aber das Besondere dieses Buches aus: Es ist eines gegen das Vergessen.

 Garance Le Caisne: Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie. Verlag C.H.Beck, München 2016. 249 Seiten, 17,95 Euro.

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