"Hamlet" auf dem Schirrhof in Potsdam: „Im Kampf lernt man die Leute kennen“
Regisseur Kai Frederic Schrickel bringt mit seinem Neuen Globe Theater einen aktuellen „Hamlet“ nach den alten Regeln der Kunst nach Potsdam. Im Interview spricht Schrickel über seine Begeisterung für das Stück und warum er alle Rollen mit männlichen Darstellern besetzt hat.
Herr Schrickel, Sie haben in „Wie es euch gefällt“ die Celia gespielt. Bei „Hamlet“ führen Sie nun Regie, spielen nicht selbst. Wäre die Rolle der Ophelia nichts für Sie gewesen?
Also wenn ich die Ophelia spielen sollte, dann würde ich den Regisseur erst mal fragen, warum. Schließlich werde ich demnächst 49 Jahre alt, Ophelia ist 14, 15 Jahre alt, die hat noch nie etwas mit einem Mann gehabt. Die ist noch jung und unerfahren. Da müsste man sehen, welche Geschichte möchte ich von Ophelia erzählen.
Welche Geschichte wollen Sie erzählen?
Erstmal stellt sich die Frage, warum macht Hamlet Ophelia den Hof, nur um sie dann, wenn die Geistergeschichte anfängt, sofort wieder fallen zu lassen. Warum wirbt er überhaupt um sie, während er um seinen Vater trauert. Ich habe mir überlegt, dass die Mutter vielleicht gesagt hat, guck mal, das ist eine gute Partie. Da geht's ja auch um Thronfolge – also nicht um Liebe, sondern um Politik. Hamlet hat sich wahrscheinlich breitschlagen lassen, hat ihr Briefe geschrieben, vielleicht hat er auch mit ihr rumgeknutscht. Allerdings glaube ich nicht, dass sie miteinander geschlafen haben, vielleicht haben sie Petting am Strand gemacht oder so.
Gut, aber das ist ja eher Hamlets Geschichte oder?
Naja, seine und Ophelias liegen dicht beieinander. Hamlet sagt zu ihr, er habe sie „einmal geliebt“, aber eigentlich nie richtig und sie denkt nur, was passiert hier eigentlich? Das kann dir als Mann genauso passieren, dass du jemanden kennenlernst und derjenige sagt dir nach einer Weile, er habe dich nie geliebt, obwohl du das Gefühl hattest, da war mehr. Gerade wenn man noch jung ist, kann das ein harter Schlag sein. Und dann wird auch noch der eigene Vater von diesem Mann umgebracht, den man liebt. Diese Gefühlsebene, dieser unlösbare Konflikt, das ist die Geschichte zwischen Ophelia und Hamlet, da muss man ansetzen. So würde ich rangehen und das habe ich auch meinem Darsteller gesagt.
Warum haben Sie eigentlich alle Rollen mit männlichen Darstellern besetzt?
Zum einen ist es natürlich die Anlehnung an die Zeit Shakespeares. Zu dessen Lebzeiten wurden auch alle Rollen von Männern gespielt. Die „all-male“ Besetzung hat aber auch damit zu tun, dass ich eine gewisse Distanz zum Stück erzeugen will. Dem Zuschauer soll klar sein, dass es eine Schauspieltruppe gibt, die eine Geschichte erzählt. Ich will keine Schranke zwischen dem Publikum und den Schauspielern, es soll wirkliche Kommunikation stattfinden. Das Prinzip „all-male“ hat darüber hinaus einen großen Unterhaltungswert, es ist Showbusiness, war es auch zu Shakespeares Zeiten. Der hat ja immer viel Action reingepackt, Gefechte eingebaut, so etwas.
Apropos Gefechte: Sie haben eigens einen Stuntkoordinator?
Ja, der Kai Fung Rieck war bei mir Student auf der Schauspielschule und spielt mittlerweile in internationalen Filmproduktionen, in James Bond „Skyfall“ oder im „Cloudatlas“ etwa.
Warum war Ihnen eine professionelle Kampfchoreographie so wichtig?
Ich wollte den Hamlet sehr heutig haben und die Martial-Arts sind vor allem in Filmen sehr verbreitet, damit können sich junge Leute identifizieren. Im Kampf lernt man auch die Leute kennen, da entdeckt man sich. Hamlet hat Horatio zum Beispiel im Kampf kennengelernt. Es kann sowohl Machtdemonstration als auch Freundschaftsspiel sein. Vor allem wegen des unausweichlichen Schlussgefechts zwischen Hamlet und Laertes wollte ich das Thema Kampf die ganze Zeit präsent haben. Auch die Waffen sind immer auf der Bühne.
Das hört sich an, als hätten Sie sehr genaue Vorstellungen. Wie viele Freiheiten hatten die Darsteller?
Ich habe dem Ensemble erst mal gesagt, was ich gerne erzählen würde. Bei mir soll jeder soll seine Hauptrolle haben, es soll keine Hamlet-One-Man-Show werden. Um bei Ophelia zu bleiben: Ich habe sie berechnender, älter als im Stück gesehen, die ist für mich wie Margaery Tyrell aus der Serie „Game of Thrones“. Es ist immer ein gewisses Kalkül in ihren Entscheidungen und viel verletzter Stolz. Unser Schauspieler wollte sie aber jünger spielen, somit ist diese Ebene weggefallen. Im Prinzip habe ich immer mit den Darstellern am Konzept gearbeitet, bei Ophelia hat sich am meisten verändert. Es ist eben ein ganz besonderer Konflikt zwischen ihr und Hamlet.
Steht der für Sie auch im Mittelpunkt?
Nein, der Hauptkonflikt ist eigentlich, dass Hamlet den Erwartungen seines Vaters nicht genügt. Sein Komplex ist, dass er eigentlich das Leben seines Vaters leben sollte. Und dann stellt noch das Mädchen Ansprüche an ihn, sein Onkel wirft ihm vor, zu weich zu sein und Laertes sitzt bedrohlich in Frankreich. Er steht einfach von allen Seiten unter Druck.
Wird er deshalb wahnsinnig?
Ja, aber ich glaube die Ursache liegt im Traum von seinem Vater.
Sein Vater ist keine Erscheinung?
Nein, bei mir ist die Geister-Erscheinung ein Traum, weil ich nicht an Geister glaube. Manchmal träumt man Dinge so konkret, dass man denkt, sie hätten eine bestimmte Bedeutung. Träume sind ja auch Gewitter des Unterbewusstseins und Hamlet wird damit von seiner Vergangenheit eingeholt.
Was ist denn seine Vergangenheit?
Hamlet hat den Hof verlassen, um in Wittenberg zu studieren. Der hatte nicht unbedingt Ambitionen auf den Thron, ist nicht unbedingt eine Herrschernatur. Er steht eher für das Neue, Individuelle, das Humanistische und lebt in Wittenberg ein entspanntes Leben wahrscheinlich auch mit vielen Frauen.
Und da wird er durch den Tod seines Vaters rausgerissen?
Ganz genau. Er muss zurück an den Hof, will dort wahrscheinlich auch nur für die vorgeschriebene Trauerzeit bleiben und dann hat er diesen Traum, in dem sein Vater ihm sagt, er solle auf ihn hören, soll endlich mal was zu Ende bringen. Ihn rächen. Er muss Verantwortung übernehmen und soll endlich mal ein „Mann“ sein. Schließlich mordet er, das ist etwas, was ich mir zum Beispiel überhaupt nicht vorstellen kann. Was ist das für ein Gefühl, wenn man jemanden getötet hat?
Sie sprechen viel von Gefühlen. Was ist mit dem politischen Aspekt des Stückes?
Den habe ich aus Gründen der Gesamtspieldauer leider weglassen müssen. Ungestrichen dauert Hamlet sechs Stunden! Man kann bei Hamlet nicht alles erzählen, man muss und darf neu zusammensetzen. Ich musste mir überlegen, welche Geschichten will ich erzählen und der Krieg ist hier in Deutschland gerade nicht unser aktuellstes Thema. Gesellschaftlich haben wir eine eher antriebslose junge Generation, die nicht so richtig weiß, wo sie in ihrem Leben hin möchte. Die dann rebelliert und bewusst anecken will. Davon wollte ich erzählen. So ist auch Hamlet, der will provozieren.
Er ist also pubertär?
Nein, Hamlet ist nicht pubertär, er durchläuft eher diese „Thirty-Something-Crisis“. Im Stück ist er ja auch dreißig und braucht das Gefühl etwas erreicht zu haben – das aber hat er nicht. Dann begeht er einen Mord, verliert endgültig die Unschuld, seine Kindheit. Jetzt ist er nicht mehr der Zögerer, sondern ein junger Mann, der seine Mitte verloren hat.
Was war denn überhaupt der Grund „Hamlet“ zu inszenieren, es ist ja doch ein schwerer Stoff?
Nein, Hamlet ist nicht schwer, das ist ein geiles Stück, wie eine Wundertüte. Und es ist vor allem das erste psychologischen Drama in seinen Monologen. Außerdem ist das Stück Theater im Theater und das passt wieder gut zu uns als umherziehende Schauspieltruppe. Im Hamlet wird auch formuliert, wie gutes Theater gespielt werden soll oder dass umherziehende Theater ein festes Haus bekommen sollten. Das ist doch großartig, das ist unsere Geschichte, ich wünsche mir auch manchmal ein festes Haus, am liebsten ein eigenes Globe in Potsdam.
Und was sind die nächsten Projektes des Neuen Globe Theaters?
Wir inszenieren im Herbst „Die Räuber“ von Schiller im T-Werk. Da spiele ich den Karl Moor und muss mich jetzt erstmal aus dem Hamlet wieder ausgraben und in Schiller reindenken. Aber ich freue mich drauf, weil ich dann auch wieder spiele. Regie führe ich dann wieder nächstes Jahr im Sommer. Da inszeniere ich einen weiteren Shakespeare und zwar „König Lear“ – auch wieder „all-male“, weil im nächsten Jahr ja auch der 400. Todestag von Shakespeare ansteht.
Gibt es da auch moderne Bezüge?
Ja, Lear ist für mich ein dementer Mensch. Er ist ein Mann, der im Alter spürt, er ist nicht mehr Herr der Lage – er gibt seine Verantwortung ab. Das Einzige, was er behalten möchte, ist sein Name. Die Frage ist dann, wie geht seine Umgebung damit um? Mit dieser Starrsinnigkeit im Alter und dem Verwirrtsein. Er spürt, dass er etwas verliert und jeder bekommt es mit, die meisten sind irritiert. Nur seine Tochter Cordelia hat die Lösung: Liebe. In diesem Prozess stecke ich gerade noch, das ist ähnlich wie beim Hamlet, ich arbeite mich da Stück für Stück tief rein, hinterfrage viel und das macht auch einfach furchtbar viel Spaß.
>>„Hamlet“ hat heute Abend, 19 Uhr, auf dem Schirrhof in der Schiffbauergasse, Premiere, bei Regen im T-Werk. Weitere Vorstellungen am morgigen Freitag und am Samstag und Sonntag jeweils um 19 Uhr