Moderne Kriegsführung: Im Dschungel
Felix Wassermanns Untersuchung zur asymmetrischen Kriegführung. Eine Rezension
Asymmetrie ist allmählich in aller Munde. In der Geschichte des Kriegswesens ist sie allerdings alles andere als neu, sie wurde in den vergangenen Jahren lediglich neu entdeckt – von Akteuren auf Kriegsschauplätzen wie von Beobachtern und Analysten in Wissenschaft, Politik und Medien. In Deutschland gilt Herfried Münkler als einer der wichtigsten Köpfe des Nachdenkens über neue und alte Kriegsformen und den Umgang mit ihnen. Daher lässt es aufhorchen, trotz der wahren Flut an Publikationen zu gegenwärtigen Gewaltausprägungen, wenn nun ein Schüler des an der Humboldt-Universität lehrenden Politologen eine grundlegende politiktheoretische Untersuchung zur Kriegführung im 21. Jahrhundert vorlegt.
Geschichte und Theorie des Krieges
Felix Wassermann vermisst das immer wieder aufs Neue unübersichtlich wirkende Terrain des asymmetrischen Krieges wohltuend systematisch. Sein Leitmotiv ist dabei der treffende Begriff des „Dschungels“. Seiner Entstehung, seinem Charakter, seinen verschiedenen Ausprägungen in Geschichte wie Theorie des Krieges ist das erste Viertel der Studie gewidmet – vom symmetrischen Krieg im Westfälischen Staatensystem, über die asymmetrischen Dekolonisierungskriege und die parallele Symmetrie des atomaren Wettrüstens im 20. Jahrhundert bis zu den heutigen asymmetrischen Kriegen. Darauf aufbauend macht sich Wassermann an die Durchdringung des „Dschungels“, indem er versucht, Diskurspfade durch den asymmetrischen Krieg zu schlagen – angefangen bei Figuren, Metaphern und Bildern von Asymmetrie, ihren verschiedenen Ausformungen in den Kategorien Kraft, Organisationsform und Strategie, über die diesbezüglichen wissenschaftlichen Debatten schließlich hin zur Topografie des asymmetrischen Krieges.
Hier gibt Wassermann mit einer bisher in der Forschung nicht derart stringent aufgefächerten Landschaft von Asymmetrien einen erhellenden Überblick über dieses Phänomen. In dieser Landschaft gibt es neben den Asymmetrien von Kraft und Organisationsform sechs weitere Formen: erstens Asymmetrien von Entschlossenheit, auch in Kombination mit Kräfteverhältnis, psychisch-sozialer Verfasstheit, Ideologie und Religion; zweitens Asymmetrien von Verwundbarkeit, wiederum in Verbindung mit Kräfteverteilung, Organisationsform, Entschlossenheit und strategischem Bewusstsein; drittens Asymmetrien von Selbstbindung, erneut im Verhältnis zu Organisationsform und nicht zuletzt zu Normativität; viertens Asymmetrien von Legitimität, im Spiegel von Völkerrecht und Öffentlichkeit; fünftens Asymmetrien des Raumes, in Zusammenspiel mit Technologie, Geografie und der Zivilbevölkerung; sechstens schließlich Asymmetrien von Zeit, im Wechselspiel mit Kraft, Organisationsform, Entschlossenheit, Verwundbarkeit, Selbstbindung, Legitimität und Raum.
Sorge Dich um Deinen Ruf. Sei biegsam
Wie überlebt man nun in diesem Dschungel von sich gegenseitig überlagernden Asymmetrien? Münklers politikwissenschaftliche Schule mit in Politik wie Medien stark nachgefragter Rolle als Berater und Erklärer ist bei Wassermann nicht nur in seiner Systematik, sondern auch in der Praxisbezogenheit zu spüren. Er skizziert regelrecht eine Bedienungsanleitung für die asymmetrische Kriegführung, durchdekliniert in zehn „Gesetzen des Dschungels“: Stärke Deine Kräfte. Denke viel – und anders. Sieh das Ganze. Nutze Hebel. Erkenne Schwächen. Mach Dich unverwundbar. Stärke Deinen Willen. Meide – und nutze – Fesseln. Sorge Dich um Deinen Ruf. Sei biegsam.
Wassermann arbeitet klar heraus, dass es meist keiner Seite in einem asymmetrischen Krieg vollends gelingt, sämtliche „Dschungelgesetze“ gleichzeitig zu befolgen. Dazu stellt er zunächst die Strategien von Gegnern des Westens vor: Als ihren gesamtstrategischen Zweck bezeichnet er die Symmetrierung der Legitimität, als ihr gesamtstrategisches Ziel die Symmetrierung der Kraft und als ihr gesamtstrategisches Mittel die Asymmetrierung der Kampfstrategie. Daraus ergeben sich nach Wassermanns luzider Analyse drei Dilemmata: Die Asymmetrierung der Kampfstrategie steht meist der Symmetrierung der Legitimität entgegen. Zu ihr im Widerspruch steht oftmals auch die Symmetrierung der Kraft, die wiederum nicht selten die Asymmetrierung der Kampfstrategie behindert.
Hingegen haben die westlichen Staaten in ihren Antwortversuchen auf derlei Gegner in Wassermanns Augen als gesamtstrategischen Zweck die Asymmetrierung der Legitimität, verfolgen als gesamtstrategisches Ziel die Asymmetrierung der Kraft und bedienen sich als gesamtstrategischem Mittel der Symmetrierung der Kampfstrategie. Doch auch hier bilden sich Dilemmata: Der Symmetrierung der Kampfstrategie stehen immer wieder die Asymmetrierung von Kraft wie von Legitimität gegenüber, die sich nur schwer miteinander verbinden lassen.
Was bedeutet dies für die nähere Zukunft der Kriegführung? Überaus realistisch wirkt Wassermanns Prognose, dass das Nebeneinander und der fließende Übergang von Symmetrien und Asymmetrien auch weiterhin das Kriegsgeschehen und die internationale Politik charakterisieren werden. Nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine und die Bekämpfung des Islamischen Staats stehen hier für Mischformen. Daher dürften die Kriegsforschung wie die Außen-, Sicherheits- und Weltordnungspolitik, die militärische und zivile Strategieentwicklung und generell die gesamtgesellschaftliche Sicherheitsdiskussion gut beraten sein, auf Wassermanns klugen Rat zu hören: weder vollständig in ihrem Denken und Handeln auf Asymmetrie umzustellen noch strikt am Orientierungsrahmen der Symmetrie festzuhalten. Thomas Speckmann
– Felix Wassermann: Asymmetrische Kriege. Eine politiktheoretische Untersuchung zur Kriegführung im 21. Jahrhundert. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2015. 357 Seiten, 29,90 Euro.
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