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Gegen Rechts. Schüler spielen mit bei „Mein Kampf“. 
© Ewe Rafeldt

Potsdamer Theaterprojekt mit geflüchteten Jugendlichen: Im Chor der Schutzengel

Das Poetenpack arbeitet zum zweiten Mal mit geflüchteten Jugendlichen zusammen und zeigt im T-Werk Taboris „Mein Kampf“.

2015 standen Mahdi und Naser zum ersten Mal auf einer Bühne. Gemeinsam mit den Schauspielern des freien Theaters Poetenpack brachten sie angesichts der vielen flüchtenden Menschen Lessings „Nathan, der Weise“ in der Französischen Kirche zur Aufführung.

Der 20-jährige Mahdi kam Ende 2014 aus Afghanistan und lebt jetzt als Auszubildender in der Landeshauptstadt. Naser ist erst 15, stammt aus dem syrischen Teil Kurdistans, und ist noch Schüler. Bis zum kommenden Dienstag sind beide zusammen mit acht anderen Potsdamer Schülern in insgesamt vier Aufführungen im T-Werk zu sehen.

Profis und Laien im gemeinsamen Spiel

Das Poetenpack hat diesmal seine 2011 entstandene Inszenierung von George Taboris „Mein Kampf“ für die interkulturelle theatrale Begegnung von Profis und Laien geöffnet. 40 Mal führte das Poetenpack dieses Stück inzwischen bundesweit und 2013/14 zehnmal vor Schülern in Sachsen-Anhalt auf, unterstützt von der Landeszentrale für Politische Bildung. Da er das Interesse der jungen Leute am Stoff und an den geschichtlichen Hintergründen spürte, überlegte Andreas Hueck, wie er in „Mein Kampf“ ebenfalls Jugendliche einbeziehen könne. Eine Förderung durch Mittel des Europäischen Sozialfonds und die Kooperation mit der Plattform Kulturelle Bildung ermöglichen es jetzt, dass er bis März 2019 „Mein Kampf“ in fünf Brandenburger Städten, so in Nauen und Neuruppin, aufführen und jedes Mal andere Jugendliche vor Ort einbinden kann. Eine Woche wird intensiv gemeinsam geprobt und dann funktioniert die Gemeinschaft aus Profis und Laien.

Schauspieler werden zu Theaterpädagogen

Und es mache allen Spaß, wie Andreas Hueck im Gespräch sagt. Auch Mahdi, Naser sowie Helen und Antonia, die beide das Potsdamer Humboldt-Gymnasium besuchen, bestätigen dies. Hueck hat einen „Chor der Schutzengel“, der die Gruppenszenen musikalisch kommentiert, erst jetzt mithilfe der Schüler umgesetzt. Er folgt damit einer dramaturgischen Vorgabe von Tabori. Vor der Generalprobe am Mittwochabend stehen die zehn Jugendlichen zuerst mit Clara Schoeller, die das Gretchen spielt, mit den Tagespenner-Darstellern Thomas Wiesenberg und Arne Assmann, sowie Andreas Hueck in einem Kreis. Die Schauspieler haben jetzt auch die Rollen von Theaterpädagogen inne.

„Wochenend’ und Sonnenschein“

Sie wärmen sich gemeinsam spielerisch auf und proben ein letztes Mal „Wochenend’ und Sonnenschein“, den berühmten Song der Comedian Harmonists. Das klappt erstaunlich gut nach so kurzer Einstudierung. Beim Warm-up geht es noch einmal um Präsenz und Konzentration und die Jugendlichen, das ist deutlich zu merken, sind begierige Schüler. Sie werden im Stück in weißen Alltagsklamotten und Socken auftreten und in mehreren Szenen das Geschehen als Hintergrundchor unterstützen. So gleich im 1. Akt, als der eben aus der Provinz im Männerwohnheim eingetroffene Hitler mit rauer Stimme aus dem „Tannhäuser“ anstimmt: „Oh du, mein holder Abendstern, wohl grüßt’ ich immer dich so gern“. Beim Poetenpack liegt eine jüdische religiöse Melodie drunter, die von den Jugendlichen gesungen wird, und im Hintergrund geht nicht der „Abendstern“ auf, sondern ein kleiner Judenstern. Bevor Gretchen ihren Geliebten Schlomo besucht, stimmen die Jugendlichen „Wochenend’ und Sonnenschein“ an. Später singen sie „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, ein altes deutsches Volkslied, das während der Nazizeit auch als Soldatenlied reüssierte.

Und weiter geht es 2019 mit Max Frisch

Doch um 17.30 Uhr ertönt der letzte Gong und die Jugendlichen, die gerade noch die Nachrichten auf ihrem Smartphone checkten, müssen auf ihre Position hinter der Bühne. Das Lieblingsspielzeug darf nicht mit. Da ist Andreas Hueck eisern, auch wenn Mahdi, Naser und die anderen zwischen ihren Auftritten fast eine halbe Stunde warten müssen. „Wir unterhalten uns“, sagt Mahdi, „aber nur so leise, dass es vorn nicht zu hören ist.“ Der junge Afghane, der in seinem Heimatland nie mit Theater in Berührung kam, saugt alles auf, was er während der Probenzeit erfährt. Nicht nur das Theaterspielen sei für ihn wichtig, sondern auch die deutsche Sprache, Kultur und Geschichte. Und er ist sich auch nicht zu schade, als in der Pause Getränke angeliefert werden, mit anzupacken und diese ins T-Werk zu tragen.

Hueck will die Zusammenarbeit mit Jugendlichen weiter verstärken. Im kommenden Frühjahr soll Max Frischs Drama „Biedermann und die Brandstifter“ in Zusammenarbeit mit dem Projekt „Mitmachmusik“ von Marie Kogge zur Aufführung gelangen. Und wenn eine Finanzierung gelingt, will Hueck 2020 gemeinsam mit Jugendlichen den ersten Teil des „Faust“ inszenieren. 

Zu sehen im T-Werk, Schiffbauergasse, am 17. November um 20 Uhr, am 18. November um 18 Uhr, am 19. und 20. November, jeweils um 10 Uhr

Astrid Priebs-Tröger

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