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Märchen mal anders. Auch in der Adapation von Thomas Freyer verhilft der Kater in Stiefeln (David Kramer, v.r.) dem trägen Müllersohn (Gregor Knop, l.) zu Glanz und Gloria. Aber anders als in Grimms Vorlage soll hier auch ganz anarachisch gefragt werden: Muss das Produktivsein denn sein?
© HL Böhme / HOT

"Der gestiefelte Kater" am Hans Otto Theater: „Ich träum nicht mehr“

Thomas Freyer hat Grimms „Gestiefelten Kater“ neu geschrieben – als Ermutigung zum Handeln.

Der Mann ist alles andere als ein Märchenonkel. Der Dramatiker Thomas Freyer, geboren 1981 in Gera, ist ein Mann für große, schwere Themen. Ein Mann, der den Finger immer wieder in eine Wunde legt, die man mit „Wendeverlierer“ beschreiben könnte – obwohl Freyer eine solche Vereinfachung ganz sicher nicht gefiele. Seine Texte sind feine Seismografen, die die Stimmungen im Osten des Landes hautnah verfolgen. Wo es zu Beben kommt, docken sie an.

Gleich Freyers erster Text spiegelte so ein Beben wider. „Amoklauf mein Kinderspiel“ (2006) ist angelehnt an den Amoklauf eines Schülers in Erfurt aus dem Jahr 2002. Die Tat schockte damals viele, machte sprachlos. Thomas Freyer destillierte aus der Sprachlosigkeit einen aufrüttelnden Text über drei Jugendliche, die mit dem Untergang des Landes DDR, in dem ihre Eltern aufgewachsen waren, jedes Gefühl für Heimat verloren haben – und nach Schuldigen an dieser Situation suchen. Nach Opfern. „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Wer hat Angst vor mir?“ heißt es immer wieder in dem Text. Es ist der Versuch, eine Generation zu porträtieren, die jede Orientierung verloren hat. Dass 2014 mit „mein deutsches deutsches Land“ ein Text über die NSU-Morde folgte, ist nur konsequent. Es ist die gleiche Wunde.

Auf halber Strecke zwischen „Amoklauf“ und „mein deutsches deutsches Land“ schrieb Thomas Freyer ein Märchen. 2010 war das, das Märchen hieß „Der gestiefelte Kater“. Es liefert die Vorlage für das diesjährige Weihnachtsmärchen am Hans Otto Theater. Wie kam es dazu? Ging es Freyer gerade um einen Gegenpol zur harten, unerfreulichen Realität, die er sonst beschreibt – oder um die Möglichkeit einer neuen, anderen Auseinandersetzung mit den Themen, die ihn ohnehin beschäftigen?

Eher Letzteres offenbar. „Das Träumerische, Verzauberte bei Märchen ist für mich als Autor vor allem die Möglichkeit eines neuen Blickwinkels“, sagt er. „Gerade durch die festgeschriebene Struktur der Erzählung. In diesem Sinne ist meine Überschreibung der Figuren, die ich dahin treibe, wo es mich interessiert, eher eine Fortsetzung meiner Auseinandersetzung.“ Und was ist der Reiz an dieser festgeschriebenen Struktur, dem Märchen? „Es schafft immer wieder ganz grundsätzliche, verständliche Situationen, in denen die Figuren agieren.“ Dabei ging es ihm darum, dass ein Theater entsteht, das sowohl für Kinder als auch für Erwachsene funktioniert. Kinder werden sich an einprägsamen Reimen und der knappen, frischen Sprache freuen – Erwachsene dazu an der stark poetischen Komponente, die Freyers Texten immer eigen ist.

Freyer hat keine Wort-für-Wort-Adaption geschrieben, sondern die Grimmsche Vorlage als Spielplatz benutzt, hat sich von einfacher Märchenmoral im Sinne einer eigenen inhaltlichen Spurensuche verabschiedet. „Meine stärkste Veränderung ist wohl das Thema Arbeit. Vor allem interessiert hat mich die Frage nach dem Wert. Welche Stellung hat Arbeit in meinem Leben?“ Womit wir mitten drin wären im Freyerschen Themenkomplex: Ob in „Separatisten“ (2007) oder „Im Rücken die Stadt“ (2011): In Freyers Stücken tummeln sich die am Rand der Gesellschaft Stehenden, oft Arbeitssuchende, oft in städtischen Randbezirken Lebende, teilweise sind sie (wie in „Separatisten“) konkret in einer „Platte“ verortet. Freyer wuchs selbst in einer auf. In Lusan, dem Marzahn von Gera. Kein Zufall also, dass das Hans Otto Theater 2008 – damals noch unter der Leitung von Erik-Uwe Laufenberg – gerade ihn beauftragte, ein Stück über den Schlaatz zu schreiben. „Von Schlössern und Schlaatzen“ war ein denkwürdiger und nach wie vor einmaliger Versuch, das disparate Potsdamer Doppelgesicht – hier die Reichen, dort die Randgruppen – im Theater zu verhandeln. Überhaupt ist Potsdam nicht ganz unbeteiligt an Freyers Werdegang: Bevor er an der Berliner Universität der Künste Szenisches Schreiben studierte, legte er hier 2001 einen Zwischenstopp ein: als Dramaturgiepraktikant am Theater.

Statt um Schlösser und Schlaatze geht es im „Gestiefelten Kater“ um Müller und Könige – in dem Blick auf gesellschaftliche Abgründe ist Freyer sich auch im Märchenformat treu geblieben. Ein politisches Märchen also? Natürlich, das Thema Arbeit müsse immer ein politisches sein, sagt Freyer. Was den Kater betrifft, der sich vom Ofenbank-Schläfer zum aktiven Helfer seines Freundes mausert, könne man das durchaus als Aufruf zum Handeln verstehen. Aber es gehe eben auch um die Frage, wie sehr sich ein Mensch über Arbeit definiert – und „um Alternativen zu einem ausschließlich produktiven Leben“. So oder so: Freyers Geschichte ist eine Ermutigung, das Gegebene selbst in die Hand zu nehmen. Am Ende heißt es: „Ich träum nicht mehr und weiß doch eins. Ein Leben ist das. Meins.“

„Der gestiefelte Kater“ im Hans Otto Theater wieder am 27. November

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