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„Wir haben eine Möglichkeit, Nein zu sagen.“ Nina Gummich vor dem Hans Otto Theater.
© Andreas Klaer

Nina Gummich über Frauen am Theater: „Ich brülle zurück“

Nina Gummich ist eine Ausnahmespielerin auf der Bühne und im Film. Wie denkt sie über die MeToo-Debatte? Ein Abschiedsgespräch.

Nina Gummich, eine Schauspielkollegin von Ihnen sagte kürzlich in einem Interview: „Schauspielerei ist in sich ein übergriffiger Beruf.“ Stimmt das?

Ja. Ich würde sagen schon. Gewollt übergriffig allerdings. Übergriffig heißt für mich in dem Fall, dass jemand eine Grenze überschreitet. Man kann auch sich selbst gegenüber übergriffig sein. Die Schauspielerei ist ein sehr emotionaler Beruf, daher sind Grenzen ohnehin sehr leicht übertretbar. Was mich als Schauspielerin am meisten reizt, ist, in emotionale Höhen und Tiefen zu gehen. Manchmal wünsche ich mir regelrecht, dass die Regie übergriffig wird. Dass sie mich herausfordert, piesackt, weil es Dinge in mir auslöst, an die ich sonst nicht herangekommen wäre. Mit sexueller Übergriffigkeit hat das allerdings nichts zu tun, da muss man stark differenzieren.

Da klingt durch, was im Rahmen von MeToo als „Arschlochhaftigkeit“ beschrieben worden ist. Kann die nützlich sein?

Es hängt sehr von der Figur ab, die man spielt. Wenn ich eine Nebenrolle spielte, die eher lustig ist, dann brauche ich niemanden, der mich anschreit. Im Übrigen bin ich auch jemand, der dann zurückschreien kann. Ich glaube, dass mein gesunder Menschenverstand nicht aussetzt auf der Probe, dass ich trotzdem meine Grenzen abstecken kann. Es gibt eine Art von Aggression, die in der Arbeit helfen kann. Wojtek Klemm, mit dem ich „Die schönen Dinge“ gemacht habe, kann zum Beispiel auch mal laut werden in der Probe. Dann schaukeln wir uns gegenseitig hoch – ohne dass das meine Person betreffen würde. Er würde nie mich persönlich angreifen. Und ich glaube auch nicht, dass so eine Art von persönlichem Angriff irgendeiner Arbeit helfen würde.

Wie schafft man das, in einer Position zu sein, die einen zurückbrüllen lässt?

Indem man seine Grenzen kennt und sie absteckt. Das ist ein Thema, was mich 2017 sehr beschäftigt hat und weiterhin beschäftigt. Ich finde das wahnsinnig wichtig. Es gibt verschiedene Arten, seine Grenzen abzustecken. Ich selbst brülle vielleicht zurück, jemand anderes sagt ganz ruhig „ich verlasse jetzt die Probe“, noch jemand anderes sagt gar nichts und geht einfach. Mir fällt das vielleicht leichter, weil ich durch meine Eltern in dem Beruf aufgewachsen bin. Das höre ich oft von anderen Kollegen: Du redest ja mit dem Regisseur, als wäre er ebenbürtig. Aber ich sehe uns einfach als ebenbürtig an. Ich sehe den Regisseur nicht als jemanden, der als Einziger weiß, wo’s langgeht. Eine Theaterarbeit ist eine partnerschaftliche Arbeit.

Mussten Sie diese Souveränität selber auch erst lernen? Ihre Mutter ist Schauspiel-Dozentin, Ihr Adoptivvater Regisseur.

Auch mein leiblicher Vater ist Regisseur. Deswegen waren Regisseure für mich immer ganz normale Menschen, von denen ich genauso etwas will wie sie von mir. Ich habe mich nie als eine Angestellte gesehen, die nur da wäre, um etwas zu erfüllen, was andere sich vorstellen. Mein Vater hat mir vor einiger Zeit einen guten Tipp gegeben: Such dir am Theater deine Freunde, nicht deine Feinde, die hast du sowieso. Nach diesem Prinzip führe ich meinen Beruf aus.

Gab es einen Tipp, den Ihnen Ihre Mutter mit auf den Weg gegeben hat, als klar wurde, dass Sie auch spielen wollen?

Ich saß schon als Zehnjährige während Dreharbeiten bei Schauspielkollegen auf dem Schoß, das war mir damals gar nicht so bewusst, aber meine Mutter hatte immer ein Auge drauf. Das hatte allerdings immer etwas Väterliches. Das geht mir teilweise auch heute noch so, dass ich Regisseure immer eher als Vaterfiguren wahrnehme, nicht in erster Linie als Männer. So geht es mir oft bei viel älteren Männern. Was vielleicht auch schädlich ist, wenn man bei einer Kritik immer das Gefühl hat: Der Papa schimpft mit mir.

Der Berliner Festspiele-Leiter Thomas Oberender findet eben dieses Eltern-Kind- Verhältnis zwischen Regisseur und Schauspieler grundsätzlich problematisch.

Beim Schauspielstudium gab es zweimal, zu Beginn und dann im zweiten Jahr, je eine Arbeitswoche mit einem Psychologen zu dem Thema. Im Rahmen eines Vortrags hat er dann auch über die Gefahren gesprochen, die dieses Verhältnis birgt. Dass man versuchen soll, genau diese Art der Beziehung nicht einzugehen.

Das ist die Theorie. Hilft sie in der Praxis?

Mir schon. Das ist ein Prozess, ein Immer-wieder-Bewusstmachen. Was nicht heißt, dass man nicht wieder solche Beziehungen eingehen wird, mir wird das wahrscheinlich immer wieder passieren. Aber man kann sich bewusstmachen, dass das mit der Arbeit zu tun hat, dass es zu Ende sein wird, wenn die Arbeit zu Ende ist. Dass man die Liebe dieses Menschen nicht braucht zu seinem Glück, darauf nicht angewiesen ist.

Die Strukturen des Stadttheaters werden oft als feudal beschrieben: Einer sitzt oben an der Spitze, die anderen folgen. Gerade wenn der an der Spitze gleichzeitig Regie führt, kann das problematisch werden. Sollte man diese Struktur überdenken?

Ach was, es braucht einen Führer! (lacht) Im Ernst, ich glaube, dass es eine Gesamtleitung geben muss. Die gibt es in jedem Berufszweig, wenn du nicht dein eigener Chef bist. Ich erlebe das in unseren Proben: Wenn die Schauspieler über alles mitentscheiden dürften, würden wir uns schlicht und ergreifend die Köpfe einschlagen, denn jeder von uns hat zu einem Thema eine sehr starke, andere Meinung. Was es allerdings geben muss, ist ein offenes, kommunikatives Miteinander, denn wir sind eben kein Betrieb wie jeder andere, das Theater lebt von jedem Individuum, was in ihm arbeitet. Wenn das nicht gegeben ist, muss man aufstehen und laut werden. Was ich nicht schlecht finde, ist das Prinzip, dass Intendanten an dem Theater, das sie leiten, dort nicht selbst inszenieren. Ich kann mir vorstellen, dass es zu sehr viel mehr Druck führt, es macht ja sehr viel mehr Arbeit. Man sollte mal die beiden Systeme vergleichen: Wie läuft ein Theater, wo der Intendant inszeniert, wie eins, wo das anders ist?

Ein Regisseur-Intendant hat doppelte Macht. Ihm gegenüber kann man sich eventuell nicht so frei äußern

na ja, ich schon!

Immer?

Ich denke schon. Ich hatte sehr viel Glück, bis hin zur Rollenauswahl. Das ist natürlich je nach der Position, die ein Schauspieler an einem Theater hat, anders. Tobias Wellemeyer hat mir zweimal erlaubt, an anderen Theatern mitzuwirken, hat Dreharbeiten von mir ermöglicht. Ich habe hier in Potsdam sehr viele Freiheiten genossen, das muss ich sagen.

Es gab in Potsdam bereits 2016 eine Diskussion, ob das Theater gut geleitet wird. Der Schauspieler Axel Sichrowski sagte damals, dass es ihm als Schauspieler zu wenig Mitspracherecht gab. Wurden Schauspieler in Potsdam zu wenig einbezogen?

Ich weiß nicht genau, worauf sich Axel damals bezog, ob er vielleicht Projekte vorhatte, die dann nicht realisiert werden konnten. Ich wollte mal einen Liederabend machen, alle fanden es gut, aber ich habe es nie zustande gebracht. Ich erlebe es auch oft, dass man gar nicht den Ansatz macht, mitzusprechen, aber sich darüber aufregt, dass man nicht mitsprechen darf. Manchmal muss man vielleicht erst einmal den Versuch wagen, um zu sehen, dass man auf offene Türen trifft.

Axel Sichrowski bemängelte konkret, dass die Stückauswahl nicht offen genug kommuniziert wurde. Sollten Schauspieler da mitreden dürfen?

Ich finde das schon schwierig. Es gibt so viele verschiedene Meinungen im Ensemble, wenn alle dazu etwas sagen würden, würde kein Spielplan entstehen. Ich glaube auch, seitdem Axel darüber gesprochen hat, hat sich hier am Theater etwas geändert. Seitdem ich hier bin, gab es immer sehr lange Vorstellungen der Stücke, wer was warum machen wird. Dazu muss ich aber auch sagen, dass ich zu Beginn, als ich neu war, auf andere Dinge geachtet habe: Welche Rollen spiele ich, wie mache ich das? Ich glaube, wenn man viele Jahre an einem Haus ist, hat man vielleicht andere Ambitionen, schaut man auf die Strukturen anders.

MeToo hat das Theater viel später als den Film erreicht, über einen Brief von Mitgliedern des Burgtheaters, die Ex-Intendant Matthias Hartmann anprangerten. Gibt es im Theater weniger Sexismus als im Film?

Nein, das würde ich nicht sagen. Die Filmbranche ist machtvoller, was die Öffentlichkeit und das Finanzielle angeht. Und im Theater fühlt man sich noch zusammengehöriger. Da ist es noch schwieriger, das eigene „Familienmitglied“ an den Pranger zu stellen. Da arbeiten die Leute über Jahre eng zusammen, im Film nur ein paar Wochen.

Hartmann wurden keine sexuellen Übergriffe vorgeworfen, sondern dass er eine Atmosphäre der Angst, des Geducktseins verbreitet habe. Haben Sie Ähnliches erlebt?

Nein. Ich habe aber als Studentin den Übergriff eines Dozenten erlebt. Inzwischen arbeitet der nur noch mit Männern, das war eine Konsequenz dieses Vorfalls. Von dem Dozenten wurde mir schon vorher von ganz vielen Seiten gesagt: Pass auf, das ist ein Grabscher – was seltsam genug ist, dass solche Dinge bekannt sind und Menschen wie er trotzdem an Schauspielschulen arbeiten dürfen.

Was ist damals passiert?

Ich war neu an der Schauspielschule, und der zog mich stark ins Vertrauen, auf einer sehr persönlichen Ebene. Da passierte das, was die Gefahr an dem Beruf ist: Ich hatte das Gefühl, sofort mit diesem Menschen zu verschmelzen. Ich weiß noch, wie sehr ich geweint habe, nachdem mein erster Dreh zu Ende war. Dieser Dozent hat mich total gehypt, mir gesagt, ich sei die Beste aus dem Studiengang, dass er mich später besetzen würde. Es gab keinen sexuellen Übergriff in dem Sinne, aber als wir in der Bar waren, legte seine Hand unter meinen Hintern, später fasste er mir auch mal in den Ausschnitt. Ich habe das erst gar nicht so registriert.

Wie das?

Auf der Schauspielschule fasst man sich unter den Studenten ohnehin ständig an, daher habe ich das weggelacht. Ich wollte nicht, dass unsere Atmosphäre kaputtgeht. Erst später, als ich einer Freundin davon erzählte, wurde mir klar, dass das nicht okay war. Sie drängte mich dazu, von dem Vorfall in der Auswertung zu berichten. Ich kam mir wie eine Verräterin vor, habe es aber gemacht. Der Dozent hat mir dann einen langen vorwurfsvollen Brief geschrieben.

Er hat Sie als die Schuldige hingestellt?

Ja. Daher kann ich das gut verstehen, warum viele Frauen erst einmal schweigen, Vorfälle nicht zur Anzeige bringen. Das ist ein Riesenproblem. Ein anderes Problem ist aber, dass es meiner Meinung nach mindestens genauso viele Frauen gibt, die sich Dinge ausdenken oder total übertreiben.

Sogar ein so langsam agierender, männerdominierter Apparat wie der Bühnenverein kommt jetzt aber in Bewegung. Er will eine Stelle einrichten, wo Fälle wie der Ihre gemeldet werden können.

Mich ärgert immer noch, dass es mir als Studentin damals nicht möglich war, Nein zu sagen oder zu sagen: Hast du eine Meise, mir die Hand auf den Po zu legen? Das hat sich jetzt schon verändert. Ich finde es allerdings auch gefährlich, sich nur als Opfer hinzustellen. Ich habe Frauen im Freundeskreis, die Sachen sagen wie: Er hat mich einfach geküsst, was sollte ich denn machen? Da denke ich dann: Dreh einfach deinen Kopf weg. Punkt. Wir haben eine Möglichkeit Nein zu sagen. Das muss man manchen Frauen bewusstmachen.

Jetzt haben Sie sich für den Film entschieden – und gegen eine Verlängerung am Hans Otto Theater. Warum?

Es war keine Entscheidung gegen das Theater, sondern gegen die Festanstellung. Nach den vier Jahren auf der Schauspielschule und drei Jahren Festanstellung, was sehr feste Regeln und Zeiten hat, habe ich einfach eine ganz große Sehnsucht danach, meinen Tagesablauf selbst zu bestimmen. Tatsächlich macht es auch finanziell einen großen Unterschied, und ich habe das Gefühl, dass ich beim Film jetzt nicht nur Geld verdienen, sondern eine gute Arbeit machen kann. Man verbringt in diesen Mauern hier schon sehr viel Zeit. Wenn ich da mal den Stundenlohn berechnen würde, würde ich ganz schön stutzen. Ich will diese Fließbandarbeit nicht mehr. Letztlich ist das wie in einer Beziehung, denke ich. Da sagt man ja nach sieben Jahren vielleicht auch: Wollen wir uns jetzt mal nicht sehen? So ist das gerade mit mir und dem Theater.

Das Gespräch führte Lena Schneider


Zur Person:

Nina Gummich, geboren 1991 in Leipzig, studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und war danach ab 2013 im Schauspielstudio des Staatsschauspiels Dresden.

Bereits als Kind stand sie regelmäßig vor der Kamera. Für ihre Rolle im Film „Die Wölfe“ (R: Friedemann Fromm) erhielt sie 2009 den Förderpreis des Deutschen Fernsehpreises und für „Allein unter Schülern“ (R: Oliver Schmitz) 2010 den Nachwuchsförderpreis des Bayerischen Fernsehpreises. Seit der Spielzeit 2015/16 ist sie festes Ensemblemitglied am Hans Otto Theater, das sie mit dem Intendantenwechsel im Sommer verlassen wird.

Am Sonntag ist sie zum letzten Mal in der Doppelrolle als Pauline und Claudine in „Die schönen Dinge“ nach Virginie Despentes in der Regie von Wojtek Klemm zu sehen.

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