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Petersen
© dpa

Bachmann-Preis: Ich bin die Erregung

Still ruht der Wörter See: Jens Petersen gewinnt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt.

Mit der Stadt Klagenfurt und dem hier seit 1977 jährlich stattfindenden Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb hat der Literaturbetrieb seine eigenen, merkwürdigen Probleme. Wer hierher kommt, um sich neue deutschsprachige Gegenwartsliteratur vorlesen zu lassen, beklagt sich gern über die biedere Schnuckeligkeit der Stadt und noch mehr über ihre politischen Würdenträger, allesamt Haidermänner und Rechtsausleger. Und zeigt sich dann, nach drei langen Lese- und Diskussionstagen im Klagenfurter ORF- Theater, entsetzt über die miese Qualität der Texte und den Zustand der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Trotzdem, und das ist das Seltsame, sind Jahr für Jahr alle immer wieder da: die Literaturagenten, die Programmleiter, Lektoren und Pressefrauen der Verlage, die Kritiker der großen und nicht so großen Feuilletons. Und nicht zu vergessen die Bachmann-Preisträgerin 2006, Kathrin Passig, die auch dieses Jahr wieder tapfer im Café saß, mit dem Laptop als fünfter Extremität, um hier die Punkte für den von ihr ausgelobten alternativen www.riesenmaschine.de-Literaturpreis zu vergeben. Verstand man Passig früher als Agentin der Subversion, gehören sie und ihre Plattform mittlerweile selbst zur Klagenfurt-Folklore.

Und dennoch, das ist die andere Seltsamkeit, liest sich die Teilnehmerliste seit 1977 wie ein Who is Who der deutschen Gegenwartsliteratur. Beim Bachmann-Wettbewerb haben Ingo Schulze, Julia Franck und Sibylle Lewitscharoff gelesen und Preise gewonnen, ganz zu schweigen von Autoren wie Wolfgang Hilbig, Hermann Burger oder Rainald Goetz, mit dem Bachmannpreis im Gepäck haben Uwe Tellkamp oder Tilman Rammstedt ihre Wege gemacht.

Dieser Wettbewerb hat also historischen Glanz, er ist gewachsen, unverwüstlich und widerständig, und insofern dürfte es ihm nichts anhaben, dass das Wehklagen dieses Jahr wieder besonders laut war. Wie schlimm es um Klagenfurt und die Kärntner Landespolitik bestellt ist, konnte man gleich am Eröffnungsabend Josef Winklers aufwieglerischer und poetischer Eröffnungsrede entnehmen. Nebenher setzte er noch die Messlatte, die in den folgenden Tagen keiner der 14 Autoren zu überspringen in der Lage war. Es präsentierte sich nämlich ein schwacher Jahrgang.

Keiner der Beiträge hatte etwas Herausragendes, so nie Gehörtes, lud zu Begeisterungsstürmen ein. Nirgends hörte man: „Wir haben hier einen großen Autor entdeckt!“ Nicht einmal Philipp Weiss sorgte mit seiner Blätterfraßeinlage in Rainald-Goetz-Tradition für größere Aufregung, sondern nur für Unverständnis. Sein Text war eine zwar solide, aber sehr papierene Thomas-Bernhard- Fingerübung.

Es war bezeichnend, dass es erst am zweiten Tag einen Beitrag gab, der bachmannpreistauglich war: Ralf Bönts historisches Physiker-Doppelporträt „Der Fotoeffekt“ über Michael Faraday und Heinrich Hertz. Bönt ließ ein Phonon, also ein Schallteilchen, als Ich-Erzähler auftreten, „Ich bin die Erregung“, und schob seine Porträts gekonnt ineinander, manchmal Satz an Satz. Die Jury wollte das nicht würdigen, belohnte das Wagnis dann aber mit dem zweiten Preis, dem mit 10 000 Euro dotierten Kelag-Preis. Allerdings teilte sich die Notwendigkeit, genau diese Geschichte zu erzählen, das was sie über Forschungsgebiete und Lebensschicksale der Physiker hinaus besonders macht, nicht in Bönts Text mit.

In sich geschlossener, klarer in ihrer erzählerischen Intention, zumal beklemmend wirkten dagegen zwei weitere Arbeiten: Jens Petersens Romanauszug „Bis dass der Tod“, in dem ein Mann seine todkranke Partnerin erschießt und dann den von ihm geplanten Suizid doch nicht ausführt. Und Andreas Schäfers Erzählung „Auszeit“ über einen Piloten, der versucht, den Mord an seinem 15-jährigen Sohn zu verarbeiten und gleichzeitig seinen Beruf weiter auszuüben. Gut erzählt, sauber gearbeitet, in ihrer Einfühlung perfekt. Der eine, Petersen, mitreißender, aufdringlicher, eine unerhörte Begebenheit darstellend und Reaktionen hervorrufend. Der andere, Schäfer, unterkühlter, nüchterner. Jens Petersen, im Erstberuf übrigens Arzt, gewann dann auch den mit 25 000 Euro dotierten Bachmann-Preis.

Tagesspiegel-Autor Andreas Schäfer dagegen musste erfahren, wie tückisch die Klagenfurter Jury-Abstimmungen sein können. Er erhielt für jeden der vier Preise Stimmen, musste sich aber Runde um Runde jemand anderem geschlagen geben. Am Ende reichte es nicht mal für den mit 7000 Euro dotierten Ernst-Willner-Preis, der an Katharina Born ging.

Auch Gregor Sander, der mit dem 3Sat-Preis (7500 Euro) ausgezeichnet wurde, gefiel mit seiner Erzählung über drei Männerschicksale im Osten und Westen Deutschlands, im Güstrow der Vorwendezeit und dem Kiel der Nachwendezeit. Auch dies eine ruhige, ausgewogene Erzählung, die auf weitere Eigenheiten dieses 33. Jahrgangs hinwies.

So dominierte die Textsorte, in der es um Leben und Tod ging, um Menschen in Extremsituationen, manchmal vor dem Hintergrund der deutsch-deutschen Geschichte, wie auch bei Karsten Krampitz, der den Publikumspreis gewann (vermutlich wegen seines launig-berlinernden Vortrags). Weitere Protagonisten waren Menschen, die sich in der Mitte des Lebens nach dem Sinn des Lebens fragen, wie bei Bruno Preisendörfer; in denen es familiären Trouble mit ’68er-Einfärbungen gibt, wie bei Katharina Born; oder die als Sonderlinge die Welt bevölkern, wie bei Lorenz Langenegger.

Der digitale Irrsinn, das mediale Dauerrauschen, die Welt der Arbeit und der Popkultur, Reflexionen politischer Art – all das kam so gut wie nicht vor. Oder es missglückte wie bei der Österreicherin Linda Stift, die versuchte, Migrationsbewegungen abzubilden, aber literarisch-ästhetisch daran scheiterte. Was ebenfalls fehlte: der humorige Text, die Lichts, Schmidts und Passigs dieser Welt, die zuletzt den Wettbewerb erfolgreich aufgemischt hatten.

In der Diskussion über Gregor Sander zeigte sich zudem, wie weit die Mitglieder der Jury oft auseinanderlagen: Während Meike Feßmann bei Sander sprachliche Unzulänglichkeiten bemoserte, nannte Karin Fleischanderl seine Erzählung sprachlich perfekt. So wogte es in der Jury hin und her, nicht wirklich spritzig, nie hochfahrend, nie hysterisch, aber solide, mal niveauvoll, mal nur am Inhalt sich entlangschlängelnd. Und mit zwei guten Neulingen. Meike Fessmann, die am besten vorbereitet schien und klug argumentierte, sowie Paul Jandl, der stets für ein Bonmot gut war.

Was auffiel, waren die deutsch- österreichischen Streitereien, verkörpert durch Fessmann und Ijoma Mangold auf der einen und Jandl und Fleischanderl auf der anderen Seite. Die Deutschen, zuweilen assistiert vom Schweizer Alain Claude Sulzer, redeten dem Realismus das Wort, ohne gleich Forderungen nach Alltagsabbildung stellen zu wollen. Die Österreicher brachten dagegen die Moderne in Stellung: Sprach-Experimente wie den verunglückten Wir-Text von Stift und den noch verunglückteren Ich-Text von Andrea Winkler, bei dem man sich nach wenigen Zeilen fragte: Was erzählt die denn da?

Dass die Jury den läppischen Text von Caterina Satanik ungeschoren ließ, mochte an deren Status als Debütantin liegen, die noch nie etwas veröffentlicht hat, vielleicht auch an der Erschöpfung der Jury: Satanik war die letzte Vorleserin dieses Jahrgangs.

Zu der Ermüdung trug auch die dreinplappernde Moderatorin Clarissa Stadler bei, die sich als Anwältin der Autoren verstand (warum bloß?), mitdiskutierte und vom Juryvorsitzenden Burkhard Spinnen in die Schranken gewiesen wurde. Bei der Petersen-Diskussion glaubte sie sogar, sich einbringen zu müssen: „Wissen Sie überhaupt, wie das ist, wenn man einen nahen Angehörigen verliert? Ich habe das schon erlebt.“ Peinlich. Man wünschte sich bei dieser Moderation bisweilen den angenehm drögen, stoisch-unbeteiligten Ernst A. Grandits zurück.

Doch selbst eine Performance wie die von Clarissa Stadler kann den Bachmann-Wettbewerb nicht ins Wanken bringen. So was hält er – ebenso wie einen schwachen Jahrgang – locker aus. Und auf die Schönheit des Wörthersees können sich ohnehin immer alle einigen.

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