Ehemalige US-Außenministerin: Hillary Clinton lässt Präsidentschaftskandidatur offen
In ihrem Buch "Entscheidungen" breitet die ehemalige amerikanische Außenministerin auf fast 900 Seiten ihre Erfahrungen in 112 Ländern der Welt aus. Die wichtigste Frage bleibt aber unbeantwortet.
Sie kamen gleichzeitig im Washingtoner Machtzirkus an. Jane Harman, mit ihren bald 69 Jahren gut zwei Jahre älter als Hillary Clinton, als Abgeordnete Kaliforniens, Clinton als First Lady. Das war 1993 und beide verkörperten damals die neue Riege starker Frauen in der amerikanischen Politik. Clinton nahm im vergangenen Jahr ihren Abschied aus der aktiven Politik, Harman hatte schon im Februar 2011 ihr Mandat aufgegeben. Am Montag eröffnete Harman, jetzt Chefin des Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, eine Veranstaltung zur Ukraine mit einer ungewöhnlichen Eingangsbemerkung: "Ich bin eine genesende Politikerin." Der Prozess der Erholung von der aktiven Politik dauert offenbar lange.
„Wenn dich dein Präsident bittet, zu dienen, dann solltest du ja sagen“
Als Barack Obama sie wenige Tage nach seinem Wahlsieg im November 2008 fragte, ob sie ihm als Außenministerin zur Seite stehen wolle, habe sie mit einem klaren Nein geantwortet, sagt Hillary Clinton. In ihrem Buch „Entscheidungen“, das gerade erschienen ist, betont sie, dass sie dieses Nein gegenüber verschiedenen Emissären wiederholt habe. Auch am 16. November, als sich John Podesta, „ein mir wichtiger Freund“, enger Obama-Berater und vor allem Stabschef von Bill Clinton im Weißen Haus, bei der Ex-First-Lady meldete. Mehr nebenbei habe Podesta betont, „wie sehr Obama wollte, dass ich zustimme“. Es kostete sie ein paar harte Tage, eine schlaflose Nacht und dann spricht die Staatsfrau: „Wenn dich dein Präsident bittet, zu dienen, dann solltest du ja sagen.“
Die Szene wiederholt sich viele hundert Seiten später. Wieder bittet der Präsident und wieder sagt Hillary Clinton Nein. „Ich habe mich gefreut“, schreibt sei, „das öffentliche Leben hinter mir zu lassen.“ Es sei eine schöne Vorstellung gewesen, „in einer Zeitzone zu bleiben. Ohne fünf, zehn oder 14 Stunden abzuziehen, wo immer ich gerade aufwache“. Clintons Buch liest sich, als ob sie sich noch in jenem Prozess der Wiederherstellung befände, von dem Jane Harman spricht.
„Einige Dinge müssen vertraulich bleiben“
Auf insgesamt fast 900 Seiten breitet die ehemalige amerikanische Außenministerin ihre Erfahrungen in 112 Ländern der Welt aus. Sie erzählt, nach Weltgegenden sortiert, welchen politischen Herausforderungen sie begegnet ist, welche Lebensbedingungen der Menschen sie vorgefunden hat, wie es um die Gleichberechtigung der Frauen weltweit steht und welche strategischen Entscheidungen sie in ihrer Amtszeit gefällt hat. Als ob sie noch dabei wäre, ihren Schreibtisch zu sortieren, arbeitet Clinton ihre Zeit im Amt in Form eines Buches auf. Und sie schildert, wie erschöpfend all diese Reisen waren, so beeindruckt sie auch beim Anblick ihres Dienstflugzeug vor ihrem ersten Auslandstrip war. Im Zuge des Lesens tritt dann allerdings auch beim Leser eine gewisse Erschöpfung ein.
Das Buch hebt weder wirklich den Vorhang („einige Dinge müssen vertraulich bleiben“) noch verfolgt die Autorin eine außenpolitische Vision. Dabei wäre es interessant gewesen zu lesen, wie sich die außenpolitische Falkin mit dem auf Rückzugskurs befindlichen Barack Obama um die Bewaffnung syrischer Rebellen gestritten hat. Wie sie, die leidenschaftliche Israel-Freundin, mit anderen im Kabinett in der Nahostfrage aufeinandergeprallt ist. Oder welchen außenpolitischen Kurs Hillary Clinton, von der Amerika annimmt, dass sie sich um die nächste Präsidentschaft bewerben wird, im Gegensatz zur derzeitigen Obama-Regierung einschlagen würde. Diese Debatte wird in diesen Wochen in den USA vehement geführt – mangels klarer Positionierung allerdings ohne Clinton.
Das ist das Problem, das das ganze Buch durchzieht. Es gewährt Einblicke, denen man gerne folgt, wie etwa die Beschreibung des Treffens der Weltmächte im September 2009 im New Yorker Waldorf Astoria am Rande der UN-Konferenz, bei dem es anlässlich aktueller Informationen über iranische Uran-Anreicherungsanlagen um schärfere Sanktionen ging. „Es war das einzige Mal, an das ich mich in meinen vier Jahren als Außenministerin erinnern kann, dass ich Lawrow (den russischen Außenminister) um Worte ringen sah“, schildert Clinton die russische Reaktion auf die damaligen Enthüllungen. Zum internationalen Ringen um die Verhinderung einer iranischen Atombombe fügt das Buch aber nichts Neues hinzu, ebenso wenig zu den anderen Konflikten auf der weltpolitischen Bühne.
Ein Buch mit politischer Funktion
Das Buch sei nicht für diejenigen geschrieben, die in der „Seifenoper“ des politischen Washington mitspielten, behauptet Clinton. Ihr Kapitel zum Überfall auf die US-Botschaft in Bengasi allerdings, bei dem am 11. September 2012 auch Botschafter Christopher Stevens getötet wurde, ist zumindest geeignet, als politisches Schutzschild zu dienen. Es wurde auch nicht zufällig vorab lanciert. Wo doch die Republikaner der damaligen Außenministerin vorwerfen, den realen Charakter der Attacke verschleiert zu haben. Eine politische Funktion hat das Buch also durchaus, auch wenn der Inhalt glattgeföhnt daherkommt.
„Entscheidungen“ ist ein Buch, das niemandem wehtut und keine politischen Verwerfungen produziert. Es liest sich interessant für die, die Clinton und ihr Engagement für Gleichberechtigung virtuell erleben wollen. Es ist hilfreich für Chronisten der Weltpolitik und für diejenigen in Washington, die zitierfähige Passagen für den Fall suchen, dass Clinton tatsächlich Kandidatin oder gar Präsidentin würde. Man kann die zwischen Buchdeckel gepresste Erholung der früheren Außenministerin vom Amt deshalb auch als Reinigungsprozess von der Vergangenheit verstehen. Welche Zukunft sie dabei im Kopf hat, lässt das Buch offen.
– Hillary Clinton: Entscheidungen. Droemer Verlag, München 2014. 896 Seiten, 22,80 Euro.