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In bester Karikaturlaune. Elzemarieke de Vos und Jon-Kaare Koppe.
© HOT/HL Böhme

Kultur: Gott muss Schmierenkomödiant sein

Komödie in Öltunke: Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“ am Hans Otto Theater

„Gott ist ein DJ“, lautet ein Stücktitel des zeitgenössischen Dramatikers Falk Richter. Dass das womöglich nicht die ganze Wahrheit ist, ahnten wir schon. Es war falsch, lernen wir jetzt. Gott ist ein Regisseur, wie der britische Dramatiker Michael Frayn weiß. Wer seiner Komödie „Der nackte Wahnsinn“ in der Regie von Andreas Rehschuh am Hans Otto Theater ansichtig wurde, darf ergänzen: Gott muss ein Regisseur von Schmierenkomödien sein. Und wer im Neuen Theater gut hinsah, weiß es noch genauer: Gott trägt auch in dunklen Probenräumen eine Sonnenbrille, rote Lackschuhe sowieso. Er geht etwas schief und, was angenehm ist, scheint der eigenen Hoheit nicht immer ganz zu glauben. Dem Schauspieler Peter Pagel sei Dank.

Um zwei Dinge vorauszuschicken: Peter Pagel ist kein Schmierenkomödiant und der Text von Michael Frayn allein noch keine Schmierenkomödie. Auch wenn die unsägliche deutsche Übersetzung des Titels (Ursula Lyn) die Annahme nahelegt. „Noises off“ heißt das 1982 uraufgeführte Stück im Original. Das könnte, wer sich für Understatement interessiert, ebenso gut mit „Ruhe, bitte“ übersetzen. Es geht ums Showbusiness, und zwar nicht um die Glamourwelt der Stars und Sternchen, sondern um deren Rückseite: Showbiz aus den Kulissen heraus betrachtet. Es geht um das, was den Zuschauern verborgen bleibt – wenn alles gut geht: das reibungslose Zusammenspiel von den Einzelteilen, die Theater ausmachen, von Spielern, Technik, Sound, Requisite, Text, Regie. Letztlich umkreist es dabei immer auch das Klischee – die Utopie? – vom Ensemble als eingeschworene Gemeinschaft, als „Familie“ - projektweise aneinandergeschmiedet durch „die Kunst“, die nur entstehen kann, wenn alle alles geben.

„Nackte Tatsachen“ heißt dieses hehre Ziel in Frayns „Der nackte Wahnsinn“. Es ist ein Stück im Stück, eine offenbar unerhört inhaltlose Salonkomödie, die sich vor allem um Sardinengags und verkleidete Scheiche dreht. „Der nackte Wahnsinn“ beginnt am Vorabend der Premiere, auf der Generalprobe, springt dann im zweiten Akt in eine Vorstellung einige Wochen später und zeigt nach der (völlig verzichtbaren) Pause die letzte, endgültig katastrophale Vorstellung. Frayn macht sich einen Spaß daraus, die Dämlichkeit des Stücks im Stück auszukosten – was die Starallüren des bereits erwähnten Regisseur-Gottes Lloyd umso lächerlicher macht. „Und Gott sprach: Stopp“, raunt der anfangs aus dem Zuschauerraum. „Und Gott sah, dass es schrecklich war.“ Frayns Witz dabei: Lloyd meint nicht etwa die Qualität der Stücks, sondern Probleme im Ablauf.

Frayns Komödie geht es nicht nur um die Eitelkeiten und Empfindlichkeiten der Beteiligten, sondern auch um die Frage: Was ist das eigentlich, gute Bühnenkunst – außer Handwerk, Absprachen und Technik? Was bleibt, wenn Sand ins Getriebe der Theatermaschine gerät, wenn Türen klemmen, Spieler ihre Texte vergessen, sich mit Alkohol- und Eifersuchtsproblemen herumplagen und der Theaterapparat in seine Einzelteile zerfällt? Chaos! Der Autor hat bekanntlich in der Thematik eine gewisse Expertise: Wer etwa Frayns Drehbuch „Clockwise“ („In letzter Sekunde“) kennt, 1986 verfilmt mit dem Monty-Python-Star John Cleese, der weiß, wie schmerzlich und zwerchfellerschütternd komisch Frayn bestehende Ordnungsverhältnisse dekonstruieren kann. Wie gnadenlos, gemein! Und sogar ein bisschen anarchisch. Das alles kann man von „Der nackte Wahnsinn“ im Hans Otto Theater nicht sagen. Regisseur Andreas Rehschuh, der bislang in Potsdam Kinder- und Jugendstücke inszenierte, will die Klamotte, und er will sie ungebrochen. Die Folge: Er macht ein Theater, das aussieht wie jenes, das Frayn aufs Korn nimmt. Sardinenkomödie in Öltunke. Die Bühne von Eva-Maria Declercq und Sabine Kassebaum ist ein Barbiehaus mit rosa Blumen, weißer Treppe und jeder Menge Türen, die auch ordentlich zum Einsatz kommen. Das Ensemble ist im Achtziger-Jahre-Salonkomödien-Schick aufgemöbelt und soll so richtig auf die Boulevardpauke hauen. Und da es nichts anderes spielen darf, tut es das dann auch, mit bewundernswerter Angriffslust: Allen voran Andrea Thelemann als Diva Dotty, die in ihrer Rolle als Haushälterin immer wieder die Sardinen verlegt und sich im dritten Teil zu wunderbar hämischer Bosheit aufschwingt.

Dann in bester Karikaturlaune Elzemarieke de Vos als aufsteigender, so talentloser wie hysterischer Boulevardstern Brooke Ashton, die wiederum eine aufreizende Finanzamtangestellte gibt. Philipp Mauritz darf als Frederick Fellowes wieder einmal das neurotische Künstlersensibelchen zeigen, über das man immer so gut lachen kann: Diesmal beginnt ihm als Running Gag von jeglicher Gewalt die Nase zu bluten. Jon-Kaare Koppe trägt als Garry Lejeune Pferdeschwanz und gestreiften Anzug und verliert im letzten Teil wie alle anderen (neben den Genannten Christoph Hohmann als Schauspielerschnapsdrossel Selsdon, Florian Schmidtke als braver Allrounder Tim und Juliane Götz als verunsicherte Regieassistentin Poppy) vor lauter Pannen höchst unterhaltsam den Faden. Und sonst?

Mitten im bestens durchchoreografierten Slapstick kurz vor Ende, als keiner mehr den Text weiß und sogar Regie-Gott Lloyd auf der Bühne orientierungslos herumtaumelt, rettet Ensemblemitglied Belinda Blair (Franziska Melzer) die Szene, indem sie entscheidet, sich vom vorgeschriebenen Ablauf zu lösen und auf Teufel-komm-raus zu improvisieren. Weiter! Weiter!, ruft sie immer wieder und zerrt so die Kollegen weg von der totalen Blamage in Richtung Happy End. Das dürfte im Übrigen auch für die Spieler des Potsdamer Ensembles gelten: Durch diesen letztlich belanglosen Abend retten sie sich mit Lust am Spiel. Bleibt die Weiter-Weiter-Frage für das Theater: In welche Richtung will das Hans Otto Theater insgesamt? Mit Inszenierungen wie dieser hat es sich ganz offensichtlich für die bequeme Variante entschieden. Die Nähe zum Boulevard ist nicht zu übersehen.

Für die Vorstellung am Sonntag, dem 12. Februar um 15 Uhr im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse, verlosen die PNN dreimal zwei Freikarten: Interessenten können sich am heutigen Montag ab 14 Uhr unter Tel. (0331)2376 116 melden

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