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"Die Blumen von gestern" von Chris Kraus gewann 2017 die "Clio", den Preis des Filmfestivals Moving History.
© Filmverleih

Potsdams neues Filmfestival Moving History: Geschichte hört nie auf

Potsdam hat ein neues Filmfestival. „Moving History“ hat sich dem historischen Film verschrieben. Der Auftakt zeigte, wie das aussehen kann: mutig, streitbar, prominent besetzt.

Potsdam hat ein neues Filmfestival – und wer verstehen will, wie dieses Festival tickt, der sollte sich den ersten prämierten Film des festivaleigenen Preises ansehen. „Clio“ heißt der Preis, benannt nach einer der neun Musen – jener, die für Geschichte zuständig ist. Denn: Potsdams neues Filmfestival „Moving History“ hat sich der Geschichte verschrieben. Wie wird Geschichte im Film, diesem massenwirksamsten Medium, dargestellt, was wird gezeigt, was weggelassen? Das sind Fragen, denen „Moving History“ künftig nachgehen will – und der „Clio“ soll jährlich an eine aktuelle Produktion gehen, die sich „auf besondere Weise“ mit einem historischen Thema befasst.

Der Clio 2017 wurde am Mittwochabend im Filmmuseum an „Die Blumen von gestern“ von Chris Kraus verliehen. Die Art und Weise, wie „Die Blumen von gestern“ sich der Geschichte – konkret des Holocausts – annimmt, ist in der Tat besonders: als bitterböse Komödie mit fingerdicker Kitschglasur. Totila Blumen, ein Holocaust-Forscher mit „Täterhintergrund“ und Potenzproblemen trifft hierin auf Zazie, eine junge jüdische Historikerin aus Frankreich, deren Großmutter in Auschwitz vergast wurde – und die am Ende Totilas Potenzprobleme beheben wird.

Niederschmetternd oder Woody-Allen-haft schlagkräftig?

Als der Film im Januar 2017 in die Kinos kam, ist er von der Kritik teilweise niederschmetternd verrissen worden. Gleichzeitig wurden ihm aber auch Dialoge mit Woody-Allen-hafter Schlagkraft attestiert. Auch die aus den acht Vorstandsmitgliedern des Festivalvereins Moving History e.V. bestehende Jury des Filmpreises sei untereinander uneins gewesen, wie Jurysprecher Christoph Classen (ZZF Potsdam) zur Verleihung gestand. Die Entscheidung für „Die Blumen von gestern“ (mit Lars Eidinger) verteidigend, kam von Classen dann der wohl klügste unter den vielen klugen Sätzen am Eröffnungsabend des Festivals: „Wir können der Präsenz der Vergangenheit nicht entgehen – was aber nicht heißt, dass man in ihr gefangen sein muss.“

Sich durch einen Humor, der keine Grenzen kennt, schon gar nicht die der Political Correctness, von Fängen der Vergangenheit befreien, ohne sie hinter sich zu lassen: Das ist so ungefähr auch die Strategie von „Die Blumen von gestern“. Die Laudatio auf Regisseur Chris Kraus, der sich ausdrücklich freute, „ein umstrittener Preisträger zu sein“, hielt der Historiker Per Leo, der 2014 in dem Roman „Flut und Boden“ seine eigene NS-verwickelte Familiengeschichte aufgeschrieben hat. Leos bemerkenswerte Laudatio schaffte das geradezu unmögliche Kunststück, Chris Kraus’ Film erwartungsgemäß zu huldigen – und ihm gleichzeitig sein Scheitern vorzuhalten. 

Kann diese ganze Scheiße nicht mal aufhören? Nein, kann sie nicht

Leo nennt Kraus’ Film „eines der größten Werke deutscher Erinnerungskultur“, einen „grandiosen Film, der grandios scheitert“ – scheitern muss. Denn so, Leos These, aus der begrüßenswert gewagten Konstellation führt kein Weg heraus, der diese Konstellation nicht verrät. Soll heißen: an dem Kitsch-Ende, dem Versöhnungssex zwischen Täter-Kind und Opfer-Kind und dem (glücklicherweise nur angedeuteten) Happy End führt kein Weg vorbei. Es muss sein, damit die Möglichkeit einer Verarbeitung im Film überhaupt durchgespielt werden kann.

„Kann diese ganze Scheiße nicht endlich mal aufhören?“, ruft Totilas Frau (Hannah Herzsprung), in „Die Blumen von gestern“ einmal, und meint damit das, womit sich Totila Tag und Nacht beschäftigt: die deutsche Vergangenheit. Nein, das kann sie nicht. Darum geht es dem Festival, und daher ist es auch gerade in Potsdam, in dieser Stadt, in der sich verschiedene Geschichtsebenen glockenturmhoch türmen, am richtigen Platz. Die „Scheiße“, der dreckige Schatten einer dreckigen Vergangenheit, hört nie auf.

Schirmherrin Margarethe von Trotta gab eine Masterclass

Schirmherrin des ersten „Moving History“-Festival ist die Regisseurin Margarethe von Trotta. Auch sie war am Eröffnungsabend zu Gast. Als Antwort auf die Frage, wie es zur Schirmherrschaft kam, berichtete sie von ihren frühesten Kindheitserinnerungen im zerbombten Berlin. Von ihrer Flucht aus dem engen Adenauer-Deutschland nach Frankreich als Au-Pair, wo sie, die mit einem grauen „Fremdenpass“ für Staatenlose aufgewachsen war, plötzlich zur „Boche“ wurde, zur blöden Deutschen. Und heute lebt sie in Paris, wo sie erlebt, wie präsent die Vergangenheit dort ist. „Die Revolution war gestern, Napoleon lebt immer noch.“ Vor drei Jahren war sie im französischen Pessac zu Gast, bei dem Film-Festival, das Vorbild für „Moving History“ ist. So ein Festival müsste es auch in Deutschland geben, dachte sie. Jetzt ist es da.

Am gestrigen Donnerstag nahm Margarethe von Trotta diesen gedanklichen Faden im Rahmen einer Master Class in der Filmuniversität Babelsberg wieder auf. Filmische Beschäftigungen mit historischen Frauengestalten wie Gudrun Ensslin („Die bleierne Zeit“,1981), Rosa Luxemburg (1986), oder Hannah Ahrendt (2012) seien für sie Versuche, „ohne Geländer zu denken“. Nie stand für sie bei der Entscheidung für ein Thema die historische Epoche im Vordergrund, immer das Interesse an konkreten Biografien. Und die Frage: Wie geht ein Mensch mit dem Zwang, sich unterzuordnen, um? Wie gelingt es ihm, die eigene Integrität zu bewahren? Fragen, die das Festival noch bis Sonntag bewegen werden – und im nächsten Jahr vermutlich wieder. Sie hören nie auf.

Weitere Informationen zum Festival finden Sie hier.

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