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Kultur: Geheim und dienstlich

CIA an der Strippe: John le Carrés bemerkenswerter Roman„Marionetten“

Zwei Tage lang, sagt John le Carré, habe er mit Murat Kurnaz gesprochen, „dann machte es plötzlich ‚klick’, und ich hatte meine Story.“ Damit ist nicht die persönliche Leidensgeschichte des Türken aus Bremen gemeint, der viereinhalb Jahre schuldlos in Guantanamo inhaftiert war: Le Carrés neuer Roman „Marionetten“ ist kein Schlüsselroman, sondern eine Erzählung, die souverän den „Krieg gegen den Terror“ und seine Aktualität, typische Versatzstücke des Politthrillers und moralische Grundfragen ausbalanciert.

Issa heißt le Carrés junger Held aus Tschetschenien, der – nach Haft und Folter in Russland und der Türkei – in Hamburg landet, wo ihn ein Vermögen erwartet. Das hat sein Vater, sowjetischer Oberst und postsowjetischer Mafioso, in einer Privatbank deponiert; Issa will es jedoch seinem „leidenden tschetschenischen Volk“ zukommen lassen. Dabei soll ihm der islamische Gelehrte und Wohltätigkeitsguru Dr. Abdullah helfen. Zunächst aber muss er sich dem Rat eines charmanten Paares anvertrauen. Thomas „Tommy“ Brue, schottischer Privatbankier und assimilierter hanseatischer Gentleman, verwaltet Issas Blutgeld; Annabel Richter, eine idealistische junge Rechtsanwältin will ihn um jeden Preis vor der Abschiebung retten.

Sie alle bewegen sich wie Marionetten an unsichtbaren Schnüren im Fadenkreuz rivalisierender Geheimdienste. Und all ihre gutgemeinten Pläne verkehren sich in ihr Gegenteil. Dabei spielt nun auch die aktuelle Politik ihre Rolle: Der Verfassungsschutz in Hamburg hat versagt, er gilt als Sanierungsfall, seit Mohammad Atta unter seinen Augen die Anschläge vom 11. September plante. Der Konkurrenzkampf der Dienste, Abteilungen und Karrieristen befindet sich in einer glühend heißen Phase. Deshalb scheitert etwa der Plan des hemdsärmeligen Bachmann vom Verfassungsschutz, Issa und Abdullah langfristig als Agenten aufzubauen, zunächst am Machtkampf in den deutschen Reihen und dann an einem Machtwort aus den USA. Der „Krieg gegen den Terror“ braucht Gefangene, und zwar so schnell wie möglich. So werden der naive Issa und der etwas undurchsichtige Dr. Abdullah zu islamistischen Terroristen erklärt und ohne weitere Umstände in einem amerikanischen Van deportiert (man darf sich denken, wohin).

„Marionetten“ sind freilich nicht nur sie, sondern auch die sympathisch-naiven Helfer, die am Ende mehrfach düpiert zurückbleiben. Und selbst Agenten wie Bachmann, die sich bei ihrer Arbeit auch moralisch verpflichtet fühlen und schmerzlich erkennen müssen, dass andere die entscheidenden Fäden ziehen.

All diese Themen kennt man zwar nur zu gut aus John le Carrés Romanwelt: die Aversion gegen die amerikanischen „Vettern“, die sich in der Ära Bush verschärft hat, die internen Intrigen der Geheimbürokratien. Und die zarte Neigung des alternden Gentleman zur jungen, alternativen Anwältin mit Fahrrad, Regenhose und Anorak, seiner „Minischönheit im Tarnanzug“. Dies ist ein Genre-Roman, spannend und auch etwas sentimental. Jede einzelne Seite des Romans aber zeigt auch, dass hier ein Meister dieses Fachs aus seinem Repertoire schöpft. Dass „Marionetten“ ein herausragender Roman ist, auch im Vergleich mit le Carrés vorigen, mehr ins Komödiantische spielenden, liegt gewiss an seiner Mischung aus Aktualität, Spannung und Moral. Nicht zuletzt aber auch an seinem Schauplatz. Le Carrés vorherige Bücher hatten uns nach Panama oder Kenia, auf die äußeren Hebriden oder Heidelberg entführt. Jetzt ist es Hamburg, die deutsche Stadt, die le Carré am nächsten ist – und nicht Berlin oder gar Bonn, das er einst als „kleine Stadt in Deutschland“ beschrieb. In Hamburg stand der junge David J.M. Cornwell im Dienste ihrer Britischen Majestät, als „Der Spion, der aus der Kälte kam“ 1963 zum Welterfolg wurde, und dorthin kehrte er als Privatmann gern zurück. Von dieser Vertrautheit profitieren jetzt die Orts- und Milieubeschreibungen, vom Hauptbahnhofsvorplatz bis zur Lobby des Hotels Atlantic. Sachliche und orthographische Fehler, wie sie britischen Autoren so oft unterlaufen, wenn es um „Germany“ geht, gibt es in „Marionetten“ nicht. Dieser Engländer kennt sein Deutschland gut – und er scheint diese Deutschen sogar zu mögen!

Dass sie die „beste Verfassung in Europa und vielleicht in der Welt“ hätten und eben deswegen die Aushöhlung der Menschenrechte à la George W. Bush verweigern sollten, sagt der Roman nicht ganz so explizit. Diesen politischen Klartext hatte le Carré für die Interviews reserviert, die er hierzulande gab. Das war außergewöhnlich für ihn und keine bloße Werbeveranstaltung: Le Carré sorgt sich um Deutschland und die Deutschen – nicht zuletzt, weil er in Großbritannien „mit Blair“ bereits schlechte Erfahrungen gemacht hat. Also hören wir ihm gut zu. John le Carrés „Marionetten“ ist ein klar- und weitsichtiger Deutschland-Roman, den seine einheimischen Kollegen und Kolleginnen nicht schreiben wollen oder nicht schreiben können.

John le Carré: Marionetten. Roman.

Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson.

Ullstein Verlag,

Berlin 2008.

367 Seiten, 22,90 €.

Jochen Vogt

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