Tatorte - eine Ausstellung: Festung Europa
Seit 2006 unternimmt die Künstlerin Eva Leitolf fotografische Reise an die Grenzen Europas. Was sie dort vorfindet, ist in der Galerie Kehrer zu sehen
Ein Wald verdeckt ein Haus, eine Liege steht auf dem Sonnendeck eines Schiffes, ein idyllischer Rastplatz lädt zum Picknick, Orangen leuchten, ein Hochstand überragt ein Feld. Sie wirken wie harmlose Ansichtskarten belangloser Motive, so unprätentiös und nüchtern kommen die Fotografien von Eva Leitolf in der Galerie Kehrer daher. Erst wenn man die dazu gehörenden Texte liest, entfalten sich in kleinen Erzählungen die Schattenseiten eines sich abschottenden Europas. Das Haus im Wald steht auf dem Areal eines ehemaligen Luftabwehrstützpunktes im Seeligstädter Wald, dessen Gebäude ab 1992 zwei Jahrzehnte lang als Asylbewerberheim genutzt wurden. Wegen gravierender hygienischer und baulicher Mängel forderte Amnesty International die Schließung, die Gemeinde war dagegen, da sie die Flüchtlinge formal eingemeindet hatte und dafür Umlagen aus dem sächsischen Finanzausgleich erhielt.
Hinter dem Picknickpark wächst der Zaun gegen Illegale
Auf dem Sonnendeck des Schiffes reiste die Fotografin für 19,20 Euro von einer der beiden spanischen Enklaven in Marokko nach Almeria in Spanien - bei dem Versuch, den umgekehrten Weg über das Meer zu nehmen, sind in den vergangenen Jahren Zehntausende Flüchtlinge ertrunken. Und nur bei genauem Hinsehen erkennt man hinter dem Picknickpark in Rostrogordo an der spanisch-marokkanischen Grenze den hohen Zaun einer elf Kilometer langen Grenzanlage, die mit Unterstützung der Europäischen Union um die Stadt errichtet wurde, um illegale Einwanderer abzuhalten. Der Baum der Orangenplantage im italienischen Rosarno erzählt die traurige Geschichte von der Drangsalierung ausgebeuteter osteuropäischer und afrikanischer Saisonarbeiter durch Einheimische. Man könnte die Geschichten unendlich weitererzählen. Zum Beispiel auch die von den Jägerständen, auf denen in der Saison die Jäger mit Nachtsichtgeräten hocken, um illegale Grenzübertritte zu verhindern. Oder von den vielen langen selbstgebauten Holzleitern, mit denen Hunderte Flüchtlinge den Grenzzaun um die spanische Exklave Melilla überwinden wollten, als bekannt wurde, dass die Grenzanlagen noch verstärkt werden sollten. Auf Eva Leitolfs Fotografie sind nur die gestapelten Leitern zu sehen.
Eine Tatortfotografie ohne Opfer
Schnell wird klar, dass es sich bei den unspektakulären Motiven um Tatorte handelt und bei der Arbeit von Eva Leitolf um eine feinsinnige Konzeptarbeit in der Tradition Joel Sternfelds, die hintergründig und in leisen Tönen von den alltägliche Tragödien an den Außengrenzen Europas erzählt. Und als wolle die 1996 in Würzburg geborene Fotografin die Nüchternheit ihrer Arbeit – die sie seit 2006 betreibt und als fortlaufendes Archiv versteht – noch steigern, trägt jede Aufnahme neben dem Titel mit Ort und Jahr der Entstehung auch noch eine lange Nummer, die an ein kompliziertes Karteikartensystem erinnert: „PF0171-ES-100109“ oder ähnlich heißt es da.
Die bilderlosen Postkarten mit den Texten zu den Fotografien ließen sich übrigens tatsächlich verschicken und so die Nachricht über Europa und seine Grenzpolitik in die Welt hinaus tragen. Eine Tatortfotografie ohne Opfer und Täter entfernt sich weit von der üblichen emotionalen Bebilderung solcher Themen in der Medienwelt und schafft Platz für eigene Bilder und Assoziationen. Zu Recht war das Projekt von Eva Leitolf bereits 2013 im Hannoverschen Sprengel Museum zu sehen (Auflage: 7, Preis: 2400 € pro Print).
Kehrer Berlin, Potsdamer Str. 100; bis 30.11, Mi-Sa 11-18 Uhr
Angela Hohmann
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