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Der 1966 geborene Schweizer Schriftsteller Christian Kracht.
© Noa Ben-Shalom/Verlag

Christian Krachts neuer Roman "Eurotrash": Faserland ist abgebrannt

Nostalgie und Tristesse, Zitat-Pop und Familienaustreibung: Christian Krachts sonderbar dürrer autofiktionaler Roman "Eurotrash".

Dass dieses Buch eine Reise in die Vergangenheit wird, diese Reise zurück zu den Anfängen als Schriftsteller führt, daraus macht Christian Kracht gleich zu Beginn seines neuen Romans „Eurotrash“ (KiWi, Köln 2021, 208 Seiten, 22 €.) keinen Hehl. Der Ich-Erzähler muss in die Schweiz, nach Zürich, weil seine Mutter ihn „dringend“ sprechen will.

Dabei erwähnt er alles andere als beiläufig , „dass ich vor einem Vierteljahrhundert eine Geschichte geschrieben hatte, die ich aus irgendeinem Grund, der mir nun nicht mehr einfällt, Faserland genannt hatte. Es endet in Zürich, sozusagen mitten auf dem Zürichsee, relativ traumatisch“.

Also „Faserland“, die zweite nach 1995, eine Art Fortsetzung, eine weitere Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit, die „Faserland“ in seinen Grundzügen ja auch war, ein weiterer Road-Roman. Der jedoch einigen An- und Vorlauf braucht, bevor es mit dem Taxi durch die Schweiz geht.

„Traumatisch“ war vieles in Krachts Leben, Kindheit und Jugend bestimmt „von Angeberei und Übertreibung und Hochstapelei und Erniedrigung, von totem Gold“, wie es einmal heißt.

Krachts Vater machte Karriere im Axel-Springer-Verlag

So muss Kracht erst die Geschichte seiner Familie erzählen, speziell die des Vaters und des Großvaters mütterlicherseits.

Letzterer ein strammer Nazi, Parteimitglied seit 1928 und bei der SS, überdies „nach der leider vollkommen erfolglosen Entnazifizierung“ ein passionierter Sadomasochist, der sich in der jungen Bundesrepublik bevorzugt in alten SS–Netzwerken bewegt.

Dann Krachts Vater: Sohn eines Hamburger Taxifahrers, der im Konzern von Axel Springer Karriere macht, trotz aller Bemühungen aber seine Herkunft nie ganz los wird.

Und schließlich die Mutter. Sie musste, so klingt es an, ein womöglich schlimmes Leben an der Seite ihres Mannes führen, Krachts Vater, und zwar bis dieser sie verließ. Auch danach wird sie nicht glücklich.

Essentieller noch ist jedoch ein frühes schweres Trauma: Sie wurde 1949 vergewaltigt, „immer wieder“, wie der "Eurotrash"-Ich-Erzähler betont. Was er wiederum in Verbindung setzt mit dem eigenen erlittenen Missbrauch, als er offenbart, obwohl sie es lange weiß, „dass mir Ähnliches wie ihr, ebenfalls mit elf Jahren, widerfahren sei, nur eben im Jahre 1979, im kanadischen Internat.“

2018 berichtete Kracht, missbraucht worden zu sein

Christian Kracht hat von diesem Missbrauch 2018 in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen berichtet. Dieser Missbrauch sei eine Art Initiation gewesen und habe den Charakter seines Werkes mitbestimmt: „Der Akt des Schreibens selbst, die Gewalt, die Erniedrigung, die Grausamkeit, der körperliche Ekel und die fetischisierte, oft verlagerte männliche Sexualität sind Topoi meiner Arbeit, deren ich mir erst jetzt bewusst werde, die aber sozusagen mit der ersten Zeile von Faserland alles bestimmt haben.“

Einiges davon findet sich in „Eurotrash“. Trotzdem wird bei der Lektüre nie deutlich, was Kracht motiviert haben mag, diesen autofiktionalen Roman zu schreiben und dabei an seine Ursprünge auch als Schriftsteller zurückzukehren. Ob es mit dem Alter zu tun hat, er die Zeit gekommen sah, Bilanz zu ziehen?

Oder es ihn nach den Missbrauchsenthüllungen dazu drängte, mit seiner Herkunft ins Gericht zu gehen und die Familienübel aus sich rauszutreiben? Nur: Was Kracht über seine Familie schreibt, über die Männer, die Nazi-Verbindungen seines Großvaters, die Kaltherzigkeit und deprimierenden Angebereien seines Vaters, verbleibt größtenteils an der Oberfläche, ähnelt mitunter den Wikipedia-Einträgen so mancher Figur dieses Romans.

Darunter findet sich nur wenig keine Beziehungsstrukturen, lediglich Andeutungen großen Unglücklichseins und vage Erinnerungen an Gemälde, abgefackelte Häuser des Vaters, eine abgefackelte Grundschule.

Alle Tränen, die Mutter und Sohn vergießen über ihre Vergewaltigungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass von einer Traumaaufarbeitung nur unzureichend die Rede sein kann (der Missbrauch ist dann weiter kein Thema mehr) - und schon gar nicht von einem veritablen, tiefschürfenden Familienroman.

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Stattdessen nimmt der Ich-Erzähler seine alkohol- und tablettensüchtige, vermeintlich depressiv-demente und auf einen Rollator angewiesene, über 80 Jahre alte Mutter auf eine Fahrt durch die Schweiz mit: erst nach Gstaad und Umgebung, wo er seine Kindheit verbracht hat, dann in die Berge in der Nähe der französischen Schweiz, um ein Edelweiß in der Natur stehen zu sehen, schließlich nach Genf und nach Montreux, wo die Mutter ihren Erinnerungen an ein kurzes Techtelmechtel mit einem dort in einem Hotel lebenden Schriftsteller (na, wer wohl?) nachhängt.

Nun sind viele dieser Szenen durchaus komisch. Kracht verfährt hier nach einem seiner Credos aus eben jener Poetikvorlesung, dass „alles, was sich zu ernst nehme, reif für die Parodie sei“.

Mutter und Sohn sind in diesem Roman ein wirklich seltsames, mitunter psychopathisch wirkendes Pärchen, das in einer obskuren Herberge übernachtet, mit Geld um sich wirft, weil es eklig ist, weg muss, Ausdruck der Leblosigkeit der Kracht-Familie ist, und das stundenlang in einer Gondel stecken bleibt.

Einmal wird Kracht mit Daniel Kehlmann verwechselt

Die Mutter entwickelt sich auf dieser Fahrt zu einer interessanten ambivalenten Figur, die auf konfrontativer Dialoghöhe mit ihrem Sohn ist.

Doch schon die Geschichten, die er ihr immer wieder erzählen soll, sind nicht gut und originell. Im Verein mit den Verweisen auf nicht nur „Faserland“, sondern auch andere seiner Romane, auf seine bekannte Rastlosigkeit überdies, demonstrieren diese Geschichten, dass Christian Kracht zwar ein schillernder, nie ganz zu greifender Schriftsteller ist, aber alles andere als ein außergewöhnlicher Erzähler.

So klappert dieser Roman brüchig vor sich hin, seine nach thematisch immer spürbarer werdende Dürre nur schlecht verbergend. Hier eine Anekdote aus der Familie, dort eine über eine Prügelei mit Joschka Fischer bei einer KiWi-Verlagsparty; hier literarische Späßchen, etwa mit Daniel Kehlmann verwechselt zu werden (was bei Thomas Glavinic alles viel komischer war) oder der Borges-Grabbesuch, dort eine Phenobarbital für die Mutter, die ihren Sohn schon mal mit „Herr Hysmans“ anspricht; hier das ewige Barbour-Jäckchen, dort andere modische Accessoires, die die Leere in dieser Familie nur notdürftig anfüllen konnten.

„Eurotrash“ ist Zitat-Pop. Bloß funkelt der nicht mehr so wie in den achtziger Jahren, und auch nicht mehr so schön wie 1995, als „Faserland“ die Popliteratur zur Blüte brachte.

"Das waren erfundene Figuren, aber wir sind echt"

Richtig matt wird es, als die Mutter ihren Sohn darauf hinweist, dass sie gerade wie bei Cervantes beschrieben würden und zu ihm sagt, als er die Namen Don Quichotte und Sancho Pansa fallen lässt: „Das waren erfundene Figuren, aber wir sind echt“. Woraufhin er fragt: „Wie können wir denn gleichzeitig echt sein und erfunden?“ Am Ende ist es der Taxifahrer, der andeutet, die Geschichte von Mutter und Sohn, die so gar keine ist, aufschreiben zu wollen.

Spätestens hier sehnt man sich geradezu nach Joachim Lottmann, einem Schriftsteller und Meister im Erfinden realer Figuren, im betont unseriösen Vermengen von Realität und Fiktion.

„Eurotrash“ liest sich gut und leicht, das schon, selbst wenn Kracht in manchen Passagen zu oft und zu oft hintereinander das Berliner Plusquamperfekt gebraucht, sich manchmal die Syntax eines Thomas Bernhard in seine Prosa schleicht. Aber sonst? Mehrgenerationenroman? Roadroman? Kino? Allergrößter Spaß? Erkenntnisgewinn? Alles Fehlanzeige. „Eurotrash“ wirkt leicht aus der Zeit gefallen, nicht zeitlos, sondern etwas antiquiert. Und bei aller Tristesse, aller Familien- und Geschichtsaustreibung regiert die Nostalgie.

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