Kultur: Es muss leben
Die Potsdamer BizarrKapelle lässt sich musikalisch nicht einordnen
Angefangen hat es mit Tanz. Vor einem Jahr arbeitete der Amerikaner Patrick Scully in der fabrik drei Wochen lang an einem Stück über die Fratze des Faschismus. Als Scully für „Shadows of Cabaret“ dann eine Blaskapelle suchte, fragte die fabrik Olaf Mücke. Der trommelte seine Lieblingsmusiker zusammen, man probte, verstand sich und beschloss weiterzumachen. Ein Name musste her. Die fünf Musiker dachten an Scullys finstres Programm über schwullesbische Kunst in der Nazizeit, an die Mischung aus Transvestiten und Rockern und nannten sich „BizarrKapelle“.
Ein Jahr später sitzen zwei der Bandmitglieder in einer Potsdamer Küche und erzählen. Darüber, wie schwierig es ist, für fünf Leute Probenzeiten zu finden. Und wie ihre Musik so etwas wie eine feste offene Form ist, wie beim Jazz. Thorsten Müller (26) spielt Klarinette, Olaf Mücke (42) ist zuständig für Blechgitarre und „den Versuch, zu singen“. Um musikalische Brüche zu erzeugen und dem Repertoire der 20er und 30er einen authentischen Sound zu geben, den Charme alter Grammophonaufnahmen, arbeitet er viel mit dem Megaphon. Der Stil der BizarrKapelle? „Eigentlich können wir fast alles spielen“, erzählt Mücke. „Von Country über Pop, Ska, Swing und Bossa Nova bis Samba, Rumba und Cha Cha Cha. Und das verwursten wir gnadenlos.“ Entscheidend ist letztlich nicht, was gespielt wird, sondern wie. Das heißt für die BizarrKapelle: akustisch, ohne technische Schummelei. Und wenn dann Arne Assmann am Saxophon oder der Flöte ist, Beate Wein am Schlagzeug, Volkmar Große am Bass, Thorsten Müller an der Klarinette und Olaf Mücke an der Gitarre, dann klingt das vor allem so: „Nach uns“.
Es gibt Fischsuppe mit Fischköpfen. Lachs. Wer sich bei Olaf Mücke zum Gespräch einlädt, wird fürstlich bedient. Und erfährt nicht nur, wie man eine Suppe kocht, sondern auch ein wenig, wie diese Stadt musikalisch gestrickt ist. Die meisten Mitglieder der BizarrKapelle hatten schon vorher in verschiedenen Kombinationen zusammen gespielt. Jeder kannte jeden irgendwie, zumindest vom Sehen.
Olaf Mücke ist aus der Potsdamer Musikszene nicht mehr wegzudenken. Seine Geschichte ist auch ein Stück DDR-Geschichte. Obwohl aus einem Sportlerelternhaus, lernt er mit Zwölf Gitarre, spielt Hits am Lagerfeuer. Geht an die Helmholtzschule, um Musiklehrer zu werden. Doch er macht „Fehler“: Er tritt aus der FDJ aus und verweigert den Dienst an der Waffe. Also darf er darf nicht studieren, arbeitet statt dessen in einer Fabrik. Nachdem er den „externen Berufsausweis“ als Musiker schafft, darf er trotzdem in Galabands spielen, alles vom Schlager bis zum Swing. Im Mai 1989 wird er Bausoldat, im Herbst fällt die Mauer. Wie viele kann Mücke nach der Wende von der Musik nicht leben. Weil er zwei Söhne hat – inzwischen 19 und 21 – verkauft er Waschbecken und fährt Taxi. Erst 1993 macht er wieder Musik. Spielt Jazz im „Bruno Jazz Trio“, später Soul mit den „Kitchen Grooves“ und Latino-Rhythmen mit dem „thursday night soul club“. Und seit einem Jahr eben den unverwechselbaren Mix der BizarrKapelle. Auf goldenen Hochzeiten, Begräbnissen und Straßenfesten, vor Greisen und Teenagern. Die Band, sagt Mücke, ist generationsübergreifend.
Olaf Mücke ist der einzige der Kapelle, der vom Musik-Machen allein leben kann. Die anderen unterrichten nebenbei in Musikschulen oder geben Nachhilfe. Thorsten Müller spielt derzeit als Aushilfe in einer Inszenierung des Berliner Ensembles. Er macht Musik, seit er denken kann. Zu Schulzeiten nimmt er Saxophonunterricht, auf einer Klassenfahrt nach Prag kauft er sich für 200 D-Mark eine Klarinette und bringt sich selber das Spielen bei. Klavier und Akkordeon kann er auch, aber nicht für die Bühne. Derzeit lernt er Bassklarinette. Klischees und Allgemeinplätze mögen beide nicht. Wenn Olaf Mücke daher halb ironisch vom „großen kreativen Potential“ der BizarrKapelle spricht, glaubt man nichts lieber. Warum nicht mal Heavy Metal ausprobieren? So wenig, wie sich die Band musikalisch einordnen lassen will, möchten ihre Musiker sich auf Einflüsse oder gar Vorbilder festlegen – Tom Waits ausgenommen.
Gute Musik, sagt Thorsten Müller, erkennt man einfach daran, dass die auf der Bühne es ehrlich meinen, ganz unabhängig vom Stil oder Professionalität. Genau, sagt Olaf Mücke. „Es muss leben.“ Vom Tanz ist die BizarrKapelle nie ganz weggekommen. Zum Glück.
Heute 21 Uhr treffen sich Musiker der BizarrKapelle im LapisLazuli zur Session.
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