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Wollte nie rübermachen. Rita Feldmeier, Schauspielerin am Hans Otto Theater.
© Manfred Thomas

25 Jahre Deutsche Einheit: Gespräche über Freiheit (III): „Es fehlt der Mut, sich frei zu äußern“

Was war, was ist, was bleibt: Die Schauspielerin Rita Feldmeier über neue Ängste, gute Erinnerungen und einen West-Ausflug.

Frau Feldmeier, erinnern Sie sich an Bruno Cathomas’ Potsdamer Inszenierung von „Lola“ am Hans Otto Theater?

Wie ich die Putzfrau spiele, die Mauer bröckelt ein bisschen und ich fege den Dreck zusammen? Ja, daran kann ich mich sehr gut erinnern.

Cathomas versetzte „Lola“ in die Nachwendezeit. Zu Beginn baut sich Bernd Geiling als Baudezernent an der Rampe auf und fragt: „Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Haus gehen, Aufbruch oder Gefahr?“ Das würde ich gerne Sie fragen: Was Sie sehen Sie heute, wenn Sie durch Potsdam zur Probe fahren?

Auf dem Weg zur Probe nehme ich Potsdam gar nicht so richtig wahr, denn ich komme aus Stahnsdorf, fahre einfach nur die Nutheschnellstraße runter. Generell muss ich aber sagen, dass es ein wahnsinniges Glück für die Städte in Ostdeutschland war, dass die Wende kam. Es ist ein Genuss, zu sehen, wie dieses Land jetzt blüht. Und es ist eine besonders große Freude, in unserem neuen, wunderschönen Theater zu arbeiten.

Es blüht also, das Land?

Ich finde, architektonisch schon. Gerade wenn man zum Beispiel durch Dresden oder Leipzig fährt, kriegt man eine Erinnerung davon, wie es einst dort ausgesehen hat. Viele wünschen sich ja diese alte Zeit herbei und vergessen, dass es so gar nicht hätte weitergehen können. Es gibt dabei unterschiedliche Schicksale, das ist klar. Und klar ist auch, dass die heutige Zeit nicht einfach ist. Aus heutiger Sicht könnte ich mir zum Beispiel nicht vorstellen, mit diesem Beruf zu leben.

Sie würden heute nicht mehr Schauspielerin werden wollen? Warum?

Weil der Druck so groß geworden ist. Es gibt auch nicht mehr die gleiche Wertigkeit wie früher. Erst einmal ist der Beruf nicht geschützt, jeder kann sich Schauspieler nennen. Dann die Situation, dass einem jederzeit gekündigt werden kann. Dass neu berufene Intendanten die Leute jederzeit kündigen und ihre eigene Crew mitbringen können. Das erzeugt eine wahnsinnige Angst und Abhängigkeit. Vielen fehlt der Mut, sich richtig frei und offen zu äußern. Es entsteht Existenzangst.

Weil die Leute Angst vor dem Rausschmiss haben?

Ja. Das ist sicherlich auch in anderen Branchen so. Aber es gibt nur ein Theater in einer Stadt und wenn man da rausfliegt, muss man sich eine neue Existenz in einer anderen Stadt suchen und, wenn man Glück hat und diese findet, dann mit der ganzen Familie umziehen. Ich finde, das ist brutal. Viele hören deswegen auch irgendwann auf, weil sie sagen, ich will nicht mehr Klinken putzen, ich möchte einfach frei sein. Ich selber hatte ja das Glück, mit der Wende, nach 15 Jahren im Ensemble, unkündbar geworden zu sein. Das gibt mir die Kraft, auch mal zu sagen, was mir nicht passt. Das ist ein großes Privileg.

In der neuen Freiheit steckt demnach viel Unfreiheit?

Es gibt diesen schönen Satz: „In der Demokratie darf jeder sagen, was er will – aber wehe dem, der es tut.“

Haben Sie das hier in Potsdam seit der Wende erlebt: Schauspieler, die sagten, was sie dachten und deswegen gehen mussten?

Ja, aber darüber möchte ich nicht reden. Wohl bemerkt, ich spreche über die letzten 25 Jahre, das gilt nicht unbedingt für jetzt und hier. Natürlich macht man in den verschiedenen Ensembles die gleiche Beobachtung: Wenn man versucht, gemeinsam etwas durchzukämpfen, dann darf man sich nicht darauf verlassen, dass auch alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich verstehe das sogar, aber es ist schade. Denn es geht ja nicht um Widerstand, sondern um ein positives Miteinander.

Rita Feldmeier, geboren 1954, studierte an der Schauspielschule ihrer Heimatstadt Rostock und ging 1973 ans Volkstheater Rostock. Seit 1976 gehört sie zum Ensemble des Hans Otto Theaters Potsdam. Rita Feldmeier ist auch in Film- und TV-Produktionen zu sehen – wie in „Die Architekten“ und „Das Mädchen im Fahrstuhl“ (Regie: Hermann Zschoche) und im „Tatort“. Feldmeier ist mit dem Schauspieler und Regisseur Achim Wolff verheiratet.

Und vor 1989 gab es eine andere Solidarität?

Wenn es um Rollenneid oder so etwas ging, dann gab es die nicht, das ist klar. Aber wenn es um die Sache ging, um eine Inszenierung, dann ja. Wir haben es oft gemeinsam geschafft, dass ein Regisseur umbesetzt wurde, weil wir mit der Arbeit des Regisseurs nicht zurechtkamen. Wir hatten als Ensemble schon eine andere Macht, ein anderes Mitspracherecht, denke ich.

Woher kam diese Macht? Aus der Position der Unkündbarkeit?

Ja, sicher ... Es hat sich dadurch auch in der Psyche der Menschen etwas geändert. Du wusstest, du hast ein Dach überm Kopf. Du wusstest, du wirst beschäftigt, du wirst gebraucht. Das gab dir eine ganz andere Ruhe, ein gewisses Selbstwertgefühl. Vielleicht gab es auch deswegen damals nicht so viele Depressionen wie jetzt.

Bruno Cathomas brachte in „Lola“ das Publikum dazu, Frank Schöbel zu singen ...

... „wie ein Stern in einer Sommernacht“, ja.

Was war das für ein Gefühl, eine vergessene Gemeinschaft aufleben zu lassen, die es vielleicht so nie gegeben hat?

Ich fand das rührend. Das ist ein Recht, sich an das Gute zu erinnern und dabei auch Spaß zu haben.

In einem der berührendsten Defa-Filme der Vorwendezeit spielten Sie eine Hauptrolle: in Peter Kahanes „Die Architekten“ von 1990. Ein Film, der von der Zeit überrollt wurde.

Die Wende geschah noch während der Dreharbeiten. Ich erinnere mich, wir fuhren im Auto zum Dreh und dachten: Jetzt hat der Film keinen aktuell politischen Wert mehr. Das war sehr traurig. Den Film hat dann auch kaum jemand gesehen, aber inzwischen hat er Kultstatus. Man weiß natürlich nicht, ob der Film vor der Wende so hätte gezeigt werden können, oder ob man ihn vielleicht entsprechend beschnitten dem Publikum vorgeführt hätte.

Mit der Wanda, Ihrer Rolle im Film, gaben Sie der späten DDR gewissermaßen ein Gesicht. Eine junge, schöne Frau, der man geradezu beim Verwelken zusehen kann.

Sie sieht, dass sie dabei ist, ihren Mann, den Architekten, zu verlieren. Dass dessen Traum von einer neuen Stadt nicht in Erfüllung geht, sondern er dabei ist, seine Ideale zu verraten. Ich konnte den Schmerz dieser Frau unheimlich gut nachempfinden. Ich wollte die Rolle unbedingt spielen. Obwohl ich persönlich nie den Gedanken hatte auszureisen. Nie. Ich war vor der Wende einmal in Westberlin, machte eine Stadtrundfahrt zur Siegessäule, dem Brandenburger Tor. Als ich davorstand, die Taschen voller Apfelsinen und Bananen, dachte ich: Stell dir vor, du könntest nicht zurück. Das war unerträglich. Das war meine Heimat. Heimat ist da, wo die Familie ist.

Gehörte Mut dazu, die Rolle der Wanda anzunehmen – eine junge Frau, die ausreist?

Nein, da gehörte kein Mut dazu. In den 1970er-Jahren wäre das vielleicht anders gewesen. 1989 war es schon viel offener. Ich habe eigentlich nie Angst gehabt. Wir hatten im Theater als Künstler auch so etwas wie Narrenfreiheit. Und das Publikum hörte sehr genau zu. Politische Anspielungen wurden sofort verstanden.

Hat das Publikum nach 1989 das Interesse am Politischen verloren?

Ich denke, direkt nach 1989, ja. Nach der Wende hatte jeder sehr mit sich selbst zu tun. Viele haben sehr strampeln müssen, um zu überleben. Da brauchte man das Theater, um sich ein wenig heiter zu unterhalten. Und auch in Potsdam gibt es nach wie vor die Haltung: entweder Unterhaltung oder was Politisches. Dazwischen gibt es wenig. Entweder „My Fair Lady“ oder „Anna Politkowskaja“. Aber mittlerweile zeigt zum Beispiel die große Zuschauerresonanz für den „Turm“, dass sich da vieles stark verändert hat.

Und jetzt singen Sie in „Von Kindheit an sann ich zumeist auf Böses“ Brecht-Lieder. Wie ist das heute für Sie, wenn Sie Brecht spielen?

Seine „Dreigroschenoper“ ist mir viermal begegnet. Als blutjunge Anfängerin war ich Lucy, zehn Jahre später Polly, zehn Jahre später Jenny und noch mal acht Jahre später Frau Peachum. Sonst habe ich kein anderes Stück von Brecht gespielt. Eigentlich schade ... Jetzt, bei den ersten Proben zum Brecht-Liederabend, kamen mir schon Bilder von einstigen Politveranstaltungen hoch, wo es immer hieß: Jetzt fehlt noch ein Brecht-Lied. Das führte zu einem Überdruss und leichtem Widerstandsgefühl. Aber viele, die an unserem Abend beteiligt sind, verstehen und deuten Brecht ganz anders, sie haben diesen Überdruss ja nicht erlebt und auch ich sehe das ganz neu. Es ist faszinierend, wie zeitnah er noch heute ist.

Das Gespräch führte Lena Schneider

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