James Ellroy: Emanzipation ist Fake
"Blut will fließen“: James Ellroy rechnet mit der amerikanischen Linken ab.
Aufbruch? Emanzipation? Freiheit? Die späten Sechziger als eine Ära, in der die Schwarzen und die Frauen in Amerika begonnen haben, dieses Land zu ihrem Land zu machen? Nicht bei James Ellroy. Dunkel waren die Jahre von 1968 bis 1972, denen er den dritten Teil seiner „Underworld-Trilogie“ gewidmet hat, trügerisch ist der Anschein von Fortschritt und beginnender Gleichberechtigung – alles fake. Jede der 783 Seiten sagt: Es war eine finstere Zeit. Die Kräfte, von denen ihr glaubt, dass sie die Gesellschaft verändert hätten, waren nicht entscheidend. Entschieden haben die Zyniker und Technokraten der Macht. Manche von ihnen arbeiteten für die Regierung, andere für die Mafia. „Tricky Dick“ wurde der amerikanische Präsident Richard Nixon genannt – Ellroy lädt diesen Spitznamen mit Bedeutung auf.
Ein böses Buch, eine böse Geschichte – hochspannend, in rasendem Tempo erzählt, wie nur James Ellroy das kann, zerlegt in 131 Kapitel. Sie handelt von drei rechten Männern, zwei linken Frauen, der Liebe und der Entstehung radikaler Bewegungen in Kalifornien – und um deren Unterwanderung. Ein Umweg der Geschichte führt nach Haiti. Dort wuschen die Rechten Geld, die Linken planten einen Putsch gegen Nixons Diktatorenfreund. Die Führer der Linken aus Kalifornien probten in Haiti die Revolution.
Das liest sich nach viel Geschichte – bei Ellroy ist es vor allem Action, zum Teil brutale Action. Männer und Frauen werden unter Druck gesetzt, Geld muss beschafft werden, der Horror im Innern will betäubt werden, mit Drogen, mit Sex. Das sind die Kräfte, die Geschichte machen. Der Überbau wird nebenbei transportiert. Auch nebenbei, eine kleine Warnung: Das Buch ist sprachlich grandios, faszinierend gebaut – doch nicht leicht zu lesen. Was die Agenten Dwight Holly und Wayne Tedrow und der Privatdetektiv Crutch in wessen Auftrag tun, bekommt seinen tieferen Sinn erst, wenn man etwas Ahnung von amerikanischer Geschichte, eine Vorstellung von den Finsterlingen J. Edgar Hoover und Howard Hughes hat.
James Ellroy hält diese beiden wohl paranoiden Männer für die großen Manipulatoren der amerikanischen Politik, das war schon in anderen Romanen zu lesen. Der Blick in ein Nachschlagewerk zur jüngeren amerikanischen Geschichte ist sinnvoll, um die Bedeutung dieser beiden Hintergrundgestalten zu verstehen. Der irre Milliardär, der in einer Hotelsuite in Las Vegas lebt und nichts so fürchtet wie Krankheitskeime, hat Ellroy ebenso fasziniert wie der FBI-Chef mit seinen obskuren sexuellen Neigungen und seiner Besessenheit von belastenden Akten und Fotos. „Das alte Mädchen“ wird Hoover von den Agenten genannt – die Bezeichnung steht in einem Gänsehaut-erzeugenden Gegensatz zu Hoovers boshaft-allmächtiger Präsenz im Leben von Dwight Holly, erneuert in nächtlichen Telefonaten, in denen Hoover den Charme des Zynikers und Machtmenschen entfaltet.
Die Nähe zur Wirklichkeit und Ellroys finsteres Verständnis von Geschichte macht „Blut will fließen“ zur Verschwörungstheorie über die Morde an Martin Luther King und Robert Kennedy, über Nixons Abhängigkeit von blutigem Geld, über das Wirken des bizarren Milliardärs Howard Hughes und des nicht minder seltsamen FBI-Chefs J. Edgar Hoover.
Ellroys Behauptung: In Hoovers Auftrag und Nixons Interesse wurde die Aufbruchsstimmung der späten Sechziger so manipuliert, dass sich möglichst viele Links-Bewegte und Revoluzzer gegenseitig Probleme machten. Das war der Job der Agenten Dwight Holly und Wayne Tedrow sowie des Privatermittlers Crutch. Liebe und Ideologie verbinden im Lauf der Geschichte die drei Männer und die beiden links-bewegten Frauen – die Ideologie als Glaubensmacht fasziniert auch die, die an die Macht des Totschlägers glauben. Von „magischen Kreisen“ schreibt Ellroy – ein schönes Wort. Aber zwei von den fünfen kommen im Kampf der Gläubigen ums Leben.
James Ellroy: Blut will fließen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree. Ullstein Verlag, Berlin 2010.
783 Seiten, 24, 90 €.
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