Ausstellung: Eins, zwei, drei, viele Vietnams
Die Kunst der Flucht: Wie der Künstler und Konzeptualist Danh Vo sich unsichtbar macht – und dafür einen Preis erhält.
Ein Händedruck, nicht zu lasch, nicht zu fest, als Begrüßung genau richtig. „Danh Vo“, sagt das noch etwas verschlafene Gegenüber, er spricht es wie Jan Wo aus, streicht sich durchs Haar und blickt auf den Boden, bevor er in die Küche läuft. Angenehm, wirklich. Man fürchtete schon, er wäre ein Geist. Ausgedacht von einem überambitionierten Konzeptkünstler. Im Internet ist nur ein Kinderporträt von ihm zu finden: ein asiatischer Junge mit großer Brille. In Interviews antwortet Vo meist gar nicht oder nur in Nonsenssätzen. Und dann diese legendäre Geschichte, wie er einmal dem berühmten Künstlerduo Elmgreen & Dragset Namen, Konzept und Unterschrift klaute, um sich damit beim dänischen Art-Council erfolgreich um Gelder zu bewerben. Danh Vo, ein Name wie ein Gerücht, ein Versprechen oder ein Witz. Je nachdem.
Und nun kommt das Gerücht aus der Küche und schleppt große Kartons heran. Danh Vo möchte reden.
„Ich erzähle Autobiografien, aber so, dass ich das Prinzip Autobiografie unterwandere“, beginnt der 32-Jährige. Das sagt sich leichthin, doch der in Südvietnam geborene und in Dänemark aufgewachsene Danh Vo macht Ernst. Der Künstler heiratete mehrmals, nur um seinen Nachnamen immer weiter und weiter zu verlängern. Zur Verleihung des Abschlusszeugnisses schickte der Absolvent seine Eltern in die Königliche Kunsthochschule Kopenhagen, er selbst blieb zu Hause. Den Coup mit Elmgreen & Dragset dokumentierte Vo – als Gipfel der Dreistigkeit – in ihrer Berliner Galerie Klosterfelde.
Es gibt kein wahres Ich, jedenfalls kein beständiges, darauf besteht Danh Vo. Klingt asiatisch, buddhistisch, ist aber nicht ausdrücklich so gemeint. Die konzeptionellen Arbeiten Vos sind ein radikaler Versuch, Ernst zu machen mit dem berühmten Tod des Autors, wie er in der französischen Philosophie der sechziger, siebziger Jahre mehr gefordert als festgestellt wurde. Vielleicht sucht der Däne aber auch nur nach einer Stimme, angemessen seine Geschichten zu erzählen. Geschichten, die keine Festlegungen dulden. Geschichten, die häufig vom Unterwegs und Dazwischen handeln, vom Verschwinden, Verweigern, Verwirren.
Im Moment ist Danh Vo in Berlin angekommen. Seinem Kreuzberger Wohnatelier haftet allerdings etwas Vorübergehendes an; wirklich eingerichtet ist es jedenfalls nicht. Vom Balkon blickt Vo auf die U-Bahn-Hochtrasse, Skalitzer Straße. Lange kann man den Zügen nachsehen, wie sie über den Wassertorplatz Richtung Westen schaukeln. An der Wand hängt eine Reisebürorechnung, darauf verbucht ist die Route Berlin – Bangkok – San Francisco – LA – Sao Paulo – Rio – Berlin. Weihnachten geht’s los. Über der Rechnung steht der Name Mr. Trung Ky Danh Roscario. Eine Kurzversion?
Überhaupt hängen, stehen, liegen hier viele interessante Dinge rum. Ein Grabkreuz auf dem Balkon, ein Kleid mit dem Aufdruck „Nixon“, ein Berg von Pantoffeln, zusammengetragen aus verschiedenen Hotels. Danh Vo findet für sein Unterwegs und Dazwischen konkrete Gegenstände und überführt sie in neue Zusammenhänge. Im vergangenen Frühjahr etwa zeigte Vo in Berlin Fotografien eines schwulen Amerikaners, den er eher zufällig kennengelernt hatte. Der Anthropologe stellte in den sechziger Jahren in Vietnam Händchen haltenden Jungen – in Südostasien unter Heteromännern nichts Außergewöhnliches – heimlich mit der Kamera nach. Auch diese bizarre Paparazzigeschichte von Begehren, Exotik und gegenseitigen Erwartungen inszenierte der ebenfalls homosexuelle Danh Vo als eine Art Autobiografiefetzen. „Hätten die Amerikaner den Vietnamkrieg gewonnen und wären also meine Eltern in Saigon geblieben, hätte ich heute schon vier Kinder“, sagt der Künstler und freut sich herzlich bei der Vorstellung.
Nach dem Fall von Saigon wurde Vos Familie gemeinsam mit 20 000 anderen Südvietnamesen auf die Insel Phu Quoc gebracht. Vos Vater baute ein Boot, und gemeinsam starteten die Flüchtlinge nach vier Jahren Überlebenskampf Richtung Amerika. Schon bald fischte ein Frachtschiff der dänischen Reederei Maersk die Flüchtlinge auf – so wurde der Vierjährige Däne und nicht Amerikaner. Der Künstler hat diese Urgeschichte seinem Lehrer an der Frankfurter Städel- Schule, Tobias Rehberger, erzählt. Nach den Beschreibungen von Vater Vo baute Rehberger das Boot nach und stellte es als Skulptur aus. Danh Vo kokettiert mit dem Image des gewissenlosen Flüchtlingskindes, das sich nimmt, was es braucht. Doch er verschenkt auch Ideen.
Umgekehrt heißt Aneignung bei Vo, dass er Erlebnisse und Dinge auf sich bezieht. Solche Beziehungen sichtbar machen – das kann kein ethnologisches Museum. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet Danh Vo, dessen Arbeiten zudem die für den Kunstbetrieb doch so wichtige Wiedererkennbarkeit fehlt, den hochdotierten Blauorange-Preis der Volks- und Raiffeisenbanken erhält. Für Danh Vo ist es die Gelegenheit, mehr zu werden als ein Gerücht. Aber möchte er das überhaupt?
Danh Vo öffnet eine Kiste und zieht antiquierte Pulverhörner, ein Schwert, Bogen und Köcher heraus: Utensilien eines zentralvietnamesischen Bergvolkes, das sich nie Vietnam zugehörig fühlte, mit den französischen Kolonialherren zusammenarbeitete, später mit den GIs. Vo sortiert die Gegenstände für die Begleitausstellung und deutet auf eine bunt gewebte, folkloristische Decke. Man muss hinschauen – und erkennt: Die Muster auf der Textilie setzen sich zusammen aus kleinen schematischen Darstellungen von Helikoptern, Bomben, Gewehren – der Krieg hat auch hier seine Spuren hinterlassen. „Genau hinzusehen, ist eine ethische Frage“, sagt Vo. „Alles wird heute im Kunstbetrieb so schnell verstanden. Ich selbst verstehe kaum etwas.“
Preisverleihung: Freitag, 19 Uhr, Brandenburgischer Kunstverein (Brandenburger Straße 5, Potsdam). Ausstellung bis 20. Januar, Di-So 12-18 Uhr; Katalog 30 €.
Daniel Völzke
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