zum Hauptinhalt
 Bundespräsident Richard von Weizsäcker hält seine Rede zum 8. Mai 1985.
© picture alliance / dpa

Die Weizsäckers: Einmal oben, immer oben

Über den unaufhaltsamen Aufstieg einer deutschen Familie.

Was macht eine Familie bedeutend? Helden, Schurken, Nobelpreisträger? Geld, Macht? Gute Gene schaden nicht, aber Ehrgeiz, Kompetenz und ein langer Atem sind die wichtigsten Zugaben. Der angesehene und mit Preisen reich bedachte Biograf Hans-Joachim Noack, der über Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl geschrieben hat, hat sich nun die Familie Weizsäcker vorgenommen und bei ihr ein weiteres Muss entdeckt, das quer durch die Generationen bei allen in der Öffentlichkeit sichtbaren Mitgliedern auffällt: „ein unerschütterliches Selbstbewusstsein“.

Auf Anhieb fällt jedem der Bundespräsident Richard von Weizsäcker ein, andere mögen sich noch an seinen älteren Bruder, den Physiker und Philosophen Carl-Friedrich von Weizsäcker, erinnern. Der Vater der beiden, der Diplomat Ernst von Weizsäcker, ist nur noch wenigen ein Begriff. Dessen Großvater, Karl Hugo von Weizsäcker, war der letzte Ministerpräsident im königlichen Württemberg. Den kennen nur noch schwäbische Historiker. Die Kinder und Urenkel der Genannten sind freilich immer noch dabei, den Ruhm der Sippe zu mehren.

"Es muss gefälligst gelingen"

Promotionen scheinen bei den Weizsäckers Standard zu sein. „Wofür man sich einsetzt, hat gefälligst zu gelingen“, fasst Noack das Erfolgsgeheimnis der Familie zusammen. Da ist der Naturwissenschaftler Ernst-Ulrich, Co-Präsident des Club of Rome, der für die SPD im Bundestag saß und, lange bevor es schick wurde, vor dem ökologischen Kollaps warnte. Sein Bruder, der Nationalökonom Carl-Christian, dockte schließlich bei den Liberalen an. Bei Jüngeren fallen Georg und Jakob von Weizsäcker auf: Der eine lehrt an der Humboldt-Universität Mikroökonomische Theorie, der andere wurde nach Lehrjahren im Europaparlament kürzlich von Olaf Scholz zum Chef seiner Grundsatzabteilung ernannt.

Alles eitel Sonnenschein in der Familie Weizsäcker – und das seit den Tagen, als ein Müller namens Niclaus Wadsacker aus der im Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Pfalz nach Öhringen im Hohenloher Land einwanderte und seine Kinder und Kindeskinder erfolgreiche Müller wurden. „Was man aus Mehl alles machen kann“, witzelte Richard Weizsäcker einmal gegenüber Noack. Doch der Urenkel, Gottlieb Jacob (1736–1798), gibt die Müllerei auf und wird Koch beim Fürsten Hohenlohe-Öhringen – „wodurch die Weizsäckers zum ersten Mal mit der herrschenden Schicht des Landes auf Tuchfühlung stehen“, wie Noack feinsinnig anmerkt. „An dieser einträglichen Verbindung halten sie im Laufe der Zeit in immer einflussreicheren Positionen fest, bis sie am Ende selbst zur Elite gehören.“

Der Kompass versagt

Doch auch die Weizsäckers sind Kinder ihrer Zeit und können den Fallstricken der deutschen Geschichte nicht ganz entkommen. Präsidentenvater Ernst, Staatssekretär unter Nazi-Größe Joachim von Ribbentrop, lavierte sich durch das „Dritte Reich“ zwar geschmeidig hindurch, aber nicht gerade als Mann mit intaktem moralischen Kompass. Er wird von Noack als Mann mit standesgemäßem Antisemitismus geschildert, nicht als Nazi, aber doch als nationalkonservativ. Am Ende wird er in den Nürnberger Prozessen schuldig gesprochen, die Deportation der Juden aus Frankreich nach Auschwitz nicht verhindert zu haben. Bereits 1950 wird er begnadigt.

Die Söhne – Richard hatte im Prozess gegen den Vater neben dem späteren Bildungsforscher Hellmut Becker als Hilfsverteidiger mitgewirkt – fanden das Urteil immer unfair, der Staatssekretär selbst hatte sich eher eine Nachkriegskarriere im neuen Deutschland ausgemalt. Sein Wunsch, „ohne Fleck auf dem Namen der Familie zu enden“, erfüllte sich nicht. Besser kommen da schon sein Bruder Viktor und sein Sohn Carl-Friedrich weg. Beide schaffen es, ihre Nähe zu berüchtigten Programmen des Regimes herunterzuspielen. Viktor bewegte sich als Neurologe im Dunstkreis der Euthanasie, Carl-Friedrich arbeitete am militärisch wichtigen Atomprogramm. „Beide sind darauf bedacht, ihr Verhalten in der nationalsozialistischen Ära in möglichst mildem Licht erscheinen zu lassen“, notiert Noack.

Nach '45 setzt das Umdenken ein

Freilich merkt der kritische Biograf Noack auch an, „wie die Familie nach der großen Menschheitskatastrophe umdenkt“. Am deutlichsten der Physiker Carl-Friedrich: „Die Entschiedenheit, mit der sich der Gelehrte in den frühen Jahren der Bundesrepublik von einem Exponenten der NS-Nuklearprogramms zum Vertreter der Friedensbewegung und notorischen Gegner jeglicher Art von Wiederbewaffnung wandelt“, urteilt Noack, „spricht eindeutig für ihn.“

Sein „kleiner Bruder“ Richard steht als Bundespräsident mit der berühmten Rede zum 8. Mai 1985, dem vierzigsten Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, nicht nur für eine „Sternstunde in der Geschichte der Bundesrepublik“, wie der israelische Botschafter Ben-Ari damals schwärmte. Mit dem Schuldeingeständnis zum Holocaust trassiert er auch einen neuen Weg der Erinnerungskultur.

Zusammenhalt zu jeder Zeit

Kaum eine deutsche Familie ist ohne Schuld durch die Geschichte gegangen, aber neu zu denken und Einsichten zu produzieren, die sich historisch niederschlagen, und als Verbund stets zusammenzuhalten, ist nicht jeder Familie gegeben. Die Weizsäckers haben das bis heute erstaunlich konstant und kontinuierlich geschafft. Hans-Joachim Noack hat es seinerseits vermocht, ein spannendes und erhellendes Buch zu schreiben, das weit mehr ist als eine chronologische Aufzählung.

Hans-Joachim Noack: Die Weizsäckers. Eine deutsche Familie. Siedler Verlag, München 2019. 429 S. m. 50 Abb., 28 €.

Zur Startseite